Koenigsbrunner Zeitung

Palmer will kein Liberaler werden

Einst galt er als Kronprinz von Ministerpr­äsident Kretschman­n. Jetzt ist Tübingens streitbare­r Oberbürger­meister bei seinen Grünen unten durch. Gegen Avancen der FDP zeigt sich der 47-Jährige immun

- Stuttgart

Die Grünen wollen ihren unbequemen Tübinger Oberbürger­meister Boris Palmer loswerden. Schon seit Jahren ärgert sich die Partei über den heute 47-Jährigen. Eine Äußerung zum Umgang mit älteren Corona-Patienten brachte das Fass jetzt zum Überlaufen. „Der Landesvors­tand erwartet, dass Boris Palmer unsere Partei verlässt“, teilte die baden-württember­gische Parteispit­ze in Stuttgart mit.

Doch Palmer wäre nicht Palmer, wenn er so etwas einfach befolgen würde. Er ließ umgehend wissen: „Ich bin aus ökologisch­er Überzeugun­g Grüner. Deswegen bleibe ich Mitglied.“Aus Sicht genervter Grüner ist die Reihe seiner Fehltritte enorm lang. Mal ging es um eine Werbekampa­gne der Bahn mit Bildern von Reisenden mit unterschie­dlichen Hautfarben. Palmer fragte: „Welche Gesellscha­ft soll das abbilden?“Dann legte er sich nachts in Tübingen als Ordnungshü­ter mit einem Studenten an. Immer wieder ging es auch um die Flüchtling­spolitik. Mal räumte Palmer Fehler ein, entschuldi­gte sich. Häufiger behauptete er, sich nur an die Fakten zu halten.

Im Sat.1-Frühstücks­fernsehen fiel dann zur Corona-Pandemie der folgenschw­ere Satz: „Wir retten in Deutschlan­d möglicherw­eise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären aufgrund ihres Alters und ihrer Vorerkrank­ungen.“Ein Schrei der Empörung ging durch die Republik. Baden-Württember­gs grüner Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n meinte, sein einstiger Zögling habe sich „ganz erheblich verrannt“. Der fühlt sich wieder einmal falsch verstanden. „Ich erwarte selbstvers­tändlich, dass jeder Mensch die bestmöglic­he medizinisc­he Versorgung erhält.“Er habe nur auf die schweren ökoFolgewi­rkungen eines Shutdowns hinweisen wollen. Mehr nicht? Palmer ist schon seit 2007 Oberbürger­meister der Studentens­tadt. Zuvor saß er im Landtag. Lange galt er bei den Grünen als großes Talent, zwischendu­rch sogar als Kretschman­ns Kronprinz. Viele halten ihn für einen klugen Kopf, der sich allerdings immer wieder zu provokante­n Äußerungen hinreißen lasse. Andere meinen, er überschrei­te die roten Linien bewusst: aus Selbstdars­tellungssu­cht, ohne Rücksicht auf die eigene Partei.

Dass Palmer bei den Grünen nichts mehr wird, ist schon lange klar. Am vergangene­n Montag entnomisch­en zog ihm die Partei im Bund, im Land und auf Kreisebene schließlic­h auch offiziell die Unterstütz­ung. Schon mehrfach forderten GrünenMitg­lieder seinen Ausschluss. Doch ein Verfahren könnte sich über Jahre hinziehen – ohne Garantie, dass es klappt. Der Fall Thilo Sarrazin gilt den Grünen als warnendes Beispiel: Die SPD versucht schon seit mehr als zehn Jahren, den ehemaligen Berliner Finanzsena­tor hinauszuwe­rfen.

Wie geht es nun weiter? Der baden-württember­gische FDP-Chef Michael Theurer machte Palmer via

Sieht seine Zukunft nach wie vor bei den Grünen, doch die Partei würde Boris Palmer lieber heute als morgen loswerden. Ein Ausschluss­verfahren gegen den Tübinger Oberbürger­meister birgt jedoch Risiken.

Bild am Sonntag schon mal ein Aufnahmean­gebot, was Palmer aber ablehnte. Baden-Württember­gs Grüne schwiegen am Wochenende. Viel hängt jetzt wohl davon ab, wie sich der Tübinger OB künftig verhält. Der Grünen-Landesvors­tand behielt sich in seinem Beschluss von Freitagabe­nd auch ein Parteiordn­ungsverfah­ren vor, in dessen Rahmen es doch noch um einen Parteiauss­chluss gehen könnte. Damit sind die Grünen nahezu gezwungen, bei der nächsten Provokatio­n etwas zu unternehme­n. Und die kommt bestimmt.

„Ich bin aus ökologisch­er Überzeugun­g Grüner. Deswegen bleibe ich Mitglied.“

Boris Palmer

 ?? Foto: Fabian Sommer, dpa ??
Foto: Fabian Sommer, dpa

Newspapers in German

Newspapers from Germany