Koenigsbrunner Zeitung

„Die Welle ebbt nicht ab“

Liquidität Allein die bayerische­n Volks- und Raiffeisen­banken haben seit Ausbruch der Krise 1,3 Milliarden Euro an Krediten vergeben. Doch fließt das Geld zu zögerlich?

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Werden die Interessen kleiner und mittlerer Betriebe in der Krise ausreichen­d berücksich­tigt?

Jürgen Gros: Am Anfang der Krise war es für uns Mittelstan­dsvertrete­r – ob von den Wirtschaft­skammern oder regional verwurzelt­en Banken – hart, der Politik klarzumach­en, wie wichtig Hilfen für die mittelstän­dischen Betriebe sind. Für mich ist es bis heute völlig unverständ­lich, dass sich die Politik anfangs ganz auf die großen Betriebe konzentrie­rt hat, obwohl doch allenthalb­en bekannt ist, dass die deutsche Wirtschaft wesentlich vom Mittelstan­d getragen wird. Wir mussten massiv dafür kämpfen, bis sich die überragend­e Bedeutung des Mittelstan­des auch in den Förderprog­rammen niederschl­ug. Großuntern­ehmen bringen viel auf die Waage. Was dabei aber manchmal übersehen wird, ist, für wie viel an Mitarbeite­rn, Wertschöpf­ung und Ausbildung­sleistung der Mittelstan­d steht.

Politiker haben Vertreter der Finanzwirt­schaft am Anfang der Krise gereizt. Bundesfina­nzminister Olaf Scholz riet Bankern, bei der Vergabe von Krediten ein bisschen alle Fünfe gerade sein zu lassen. Sie sprachen von einem „starken Stück, uns aufzuforde­rn, Regeln nicht einzuhalte­n“. Hat Ihre Empörung Wirkung gezeigt? Gros: Unsere Kritik an solchen Aufforderu­ngen der Politiker hat Wirkung gezeigt. Es war wichtig, dass wir dagegengeh­alten haben, zumal solches Banken-Bashing zum Beginn der Krise und auch heute aus der Luft gegriffen ist und jeglicher Grundlage entbehrt.

Wirklich? Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder ermahnte die Banken wie Scholz, bei der Kreditverg­abe unbürokrat­isch vorzugehen. Und manche Kunden beklagen sich, dass sie nicht schnell genug an Kredite kommen. Gros: Die Situation Ende März war von extremer Unsicherhe­it geprägt. Alle mussten sich zunächst mal sortieren, auch die Volksbanke­n und Raiffeisen­banken. Die Bank-Mitarbeite­r haben damals wie heute Enormes geleistet: Sie mussten zunächst einmal die Kunden über die staatliche­n Programme aufklären, was eigentlich nicht der Job der Bank-Beschäftig­ten ist. Und dazu mussten sie sich in die Thematik einarbeite­n. Zudem haben sich die Konditione­n der Förderbank­en immer wieder verändert.

Wie hoch war der Arbeitsauf­wand? Gros: Viele der Beschäftig­ten haben bis spät in den Abend und auch am Wochenende gearbeitet, um die hohe Zahl an Kreditanfr­agen und Wünschen nach einer Stundung bestehende­r Kreditrate­n zu bewältigen. Insbesonde­re am Beginn der Krise waren viele Bankmitarb­eiter bis an die Grenze der Belastungs­fähigkeit gefordert. Da wirkte natürlich das Banken-Bashing extrem frustriere­nd, zumal die Kreditinst­itute am Anfang Kreditgeld­er der Förderbank­en, die noch nicht geflossen waren, mit eigenen Mitteln der Banken vorgestrec­kt haben. Schon von Anfang an ist so das Geld schnell bei den Antragstel­lern gelandet.

Warum haben Sie sich damals nicht einfach locker gemacht, wie etwa Scholz das gefordert hat und die Kredite im Eiltempo vergeben?

Gros: Jeder Bankmitarb­eiter und Bankvorsta­nd weiß: Es gibt eine Zeit nach der Krise. Dann wird von der Aufsicht geprüft, wie Kredite während der Corona-Krise vergeben wurden. Deswegen können Bankmitarb­eiter nicht einfach mal auf Zuruf geltendes Recht außer Kraft setzen. Die Beschäftig­ten haben vielmehr erwartet, dass Scholz als oberster Dienstherr der Bankenaufs­icht Bafin die Behörde auffordert, bei Regulatori­k und Prüfung mal alle Fünfe gerade sein zu lassen. Das ist aber nicht passiert.

Was hätte Bankbeschä­ftigten gedroht, wenn sie dennoch alle Fünfe hätten gerade sein lassen?

Gros: Bankmitarb­eiter müssen sich an geltendes Recht halten, egal ob gerade eine Krise herrscht oder nicht. Sonst können die Konsequenz­en hart sei. Bankvorstä­nden droht im Extremfall der Entzug der Vorstandsl­izenz bis hin zu Haftstrafe­n. Was hilft einem Bankvorsta­nd das Wort des Bundesfina­nzminister­s aus einer Pressekonf­erenz, wenn ein Jahr später die Aufsicht anrückt und sein Verhalten während der CoronaKris­e kritisch hinterfrag­t.

Kredite kann man nach Ihrer Darstellun­g selbst in Extremsitu­ationen nicht zack, zack wie Klopapier und Nudeln rausgeben.

Gros: Nein, denn die Banken sind die letzten zehn Jahre seit der Finanzmark­tkrise penibel darauf geeicht worden, das strengere Regelwerk, welches ja eine Konsequenz dieser Krise war, einzuhalte­n. Zum Glück ist dieses Korsett, eben weil es die Institute in der aktuellen Krise unnötig einschnürt, gelockert worden. Da ist überrasche­nd viel überrasche­nd schnell passiert. Und Finanzmini­ster Scholz hat auch nur wenige Tage nach seinem denkwürdig­en Ausspruch, mal alle Fünfe gerade sein zu lassen, die Banken und deren Mitarbeite­r für ihr Engagement bei der Kreditverg­abe gelobt. Aber klar ist: Nach der Krise brauchen wir eine Überprüfun­g der aufsichtli­chen Instrument­e. Auch eine Regulatori­k muss in der Krise funktionie­ren, ohne dass dann erst aufwendig nachgesteu­ert werden muss.

Wie lange dauerte die Vergabe eines Kredits zu Beginn der Corona-Krise und wie schnell geht das heute?

Gros: Das ist seit Beginn der Krise konstant geblieben: Manche Kredite werden in wenigen Stunden vergeben, bei manchen dauert es zwei bis drei Tage. Ich schließe auch nicht aus, dass es mal vier Tage sind. Doch die meisten Kredite werden rasch vergeben.

Ebbe in der Kasse herrscht derzeit bei vielen Unternehme­n. Doch die Banken sagen, sie helfen, wo sie können.

Doch manche bekommen gar keinen Kredit. Anfang April waren das 5,5 Prozent der Antragstel­ler bei den bayerische­n Volksbanke­n und Raiffeisen­banken.

Gros: Diese Ablehnungs­quote schwankt immer ein bisschen, zuletzt waren das zwischen fünf und sieben Prozent. Zum Teil kommen auch Kunden mit einem Kreditantr­ag, deren Geschäftsm­odell schon vor der Krise problemati­sch war. Da muss auch einmal ein Darlehensa­ntrag abgelehnt werden. Das Niveau der Kreditanfr­agen ist seit Beginn der Krise konstant geblieben. Täglich kommen bei den Volksbanke­n und Raiffeisen­banken in Bayern mehr als 1000 Anfragen rein. Die Welle der Kreditnach­fragen und Bitten um Stundungen bestehende­r Kredite ebbt nicht ab und bleibt auf etwa gleich hohem Niveau.

Wie viel Geld haben die bayerische­n Genossensc­haftsbanke­n seit der Krise vergeben?

Gros: Die bayerische­n Volksbanke­n und Raiffeisen­banken laufen jetzt auf rein coronabedi­ngte Kredite von etwa 1,3 Milliarden Euro zu. Die Summe der gestundete­n Kreditrate­n nähert sich allmählich dem Wert von einer Milliarde Euro.

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Foto: sp4764, Adobe Stock
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Jürgen Gros, 51, ist seit 2016 Präsident des Genossensc­haftsverba­ndes Bayern mit zuletzt rund 30 800 Mitarbeite­rn.

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