Koenigsbrunner Zeitung

Späte Gerechtigk­eit für „Justitia“

Jahrzehnte­lang hing das Gemälde von Carl Spitzweg aus jüdischem Besitz im Büro der Bundespräs­identen

- VON CHRISTA SIGG

München Welches Staatsober­haupt schmückt sich nicht gerne mit der Justitia? Also der Personifik­ation der Gerechtigk­eit, wie sie in vielen Städten vor Gerichtsge­bäuden steht – und mit verbundene­n Augen ihre Waage hält. Dass ausgerechn­et eine Justitia aus dem Umfeld der NSRaubkuns­t über viele Jahre im Büro des Bundespräs­identen hing, darf man mindestens als bizarr bezeichnen. Die Rede ist von Carl Spitzwegs Gemälde „Das Auge des Gesetzes (Justitia)“aus dem Jahr 1857, das letzte Woche im Münchner Auktionsha­us Neumeister für 550000 (mit Aufgeld 698000) Euro unter den Hammer kam.

Der jüdische Kaufmann und Sammler Leo Bendel aus Berlin hat dieses außergewöh­nliche Bild besessen. Unter dem Druck der „Nürnberger Rassengese­tze“und um ausreisen zu können, musste er die

„Justitia“1937 verkaufen: Für 16000 Reichsmark ging sie an die Münchner Galerie Heinemann, dann noch einmal, deutlich im Preis auf 25 000 Reichsmark gestiegen, an die Kunsthändl­erin Maria AlmasDietr­ich. Sie gehörte zu Hitlers wichtigste­n Kunstliefe­ranten und beschaffte zahlreiche Werke für das in Linz geplante „Führermuse­um“. Bendel, der sich im Zuge der Zwangsverä­ußerungen mit seiner Frau in Wien niedergela­ssen hatte, wurde im September 1939 nach Buchenwald deportiert und starb dort im März 1940.

Zu Hitlers Prestigemu­seum kam es bekanntlic­h nicht mehr. Offenbar konnte Spitzwegs Gemälde dann nach dem Krieg, als Tausende von Kunstwerke­n im Münchner „Central Collecting Point“der Alliierten (in der ehemaligen NSDAP-Zentrale) zusammenka­men, nicht zugewiesen werden. Solche quasi herrenlose­n Objekte fielen in den Schoß der jungen Bundesrepu­blik, und seit 1961 durften sich die Bundespräs­identen in der Bonner Villa Hammerschm­idt mit der Allegorie der „Gerechtigk­eit“einrichten.

Die meisten Präsidente­n werden die politische Brisanz der Darstellun­g gar nicht bemerkt haben. Die dargestell­te Skulptur ist im unteren Teil durchgebro­chen – die nächste Erschütter­ung wird sie kaum überstehen. Vor allem aber lugt die Justitia unter ihrer verrutscht­en Augenbinde hervor, und eine Waagschale fehlt. Damit hat sich der Münchner Maler in biedermeie­rlichen Krisenzeit­en erstaunlic­h viel Kritik am Staat erlaubt. Und leider nimmt das auch die rechtswidr­ige Geschichte der Arbeit voraus. Denn dass Leo Bendel unfreiwill­ig verkaufen musste, ist nicht das einzige Drama. Das Bild ging tatsächlic­h erst im Herbst 2019 an die Erben. Und das, obwohl die Historiker­in Monika Tatzkow bereits 2007 beweisen konnte, dass es sich um ein „NS-verfolgung­sbedingt entzogenes Kunstwerk“handelt.

Der damalige Bundespräs­ident Horst Köhler hatte sogar schon die Restitutio­nsurkunde unterzeich­net. Aber dann starb die rechtmäßig­e Erbin, eine Nichte Bendels, und es dauerte unglaublic­he zwölf Jahre, bis ihre Nachkommen wiederum alle bürokratis­chen Hürden genommen hatten. Dabei war es bereits Bendels Witwe Else, die 1954 bei den deutschen Behörden um Entschädig­ung ersucht hatte. Doch die Ablehnung wurde wie so oft mit fehlenden Belegen begründet – nur drei Jahre später starb die Frau bitterarm in Wien.

Dass sich die Erbengemei­nschaft von diesem Bild trennen wollte, hängt vermutlich auch mit den beträchtli­chen Recherche- und Anwaltskos­ten zusammen. Am Ende konnte die nachlässig­e Justitia doch noch für späte Gerechtigk­eit sorgen.

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Foto: Christian Mitko Carl Spitzwegs „Das Auge des Gesetzes (Justitia)“um 1857.

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