Koenigsbrunner Zeitung

Wo die Mächtigen wirklich sitzen

- VON TILMANN MEHL time@augsburger-allgemeine.de

V orbei die Zeiten ohne Schiedsric­hter. Auf dem Bolzplatz gab es nur einen Grund für Elfmeter: drei Ecken. Der Reklamatio­n, ein Foulspiel habe vorgelegen, wurde einzig stattgegeb­en, wenn das Schienbein aus der Wade lugte. Das Spiel beendete kein Unparteiis­cher, sondern der Besitzer des Balles. Oder die Mutter, die zum Abendessen rief.

Erste Erfahrunge­n mit behördlich­er Willkür machen Jugendspie­ler mit dem Eintritt in eine Vereinsman­nschaft. Schiedsric­hter, die diesem grenzenlos­en Vergnügen einen Rahmen geben sollen. Die unterschei­den sollen zwischen passivem und aktivem Abseits. Die sich physikalis­cher Phänomene wie der Vergrößeru­ng der Körperfläc­he in Sekundenbr­uchteilen annehmen. Sie achten auf die Umsetzung der Regeln. Regeln, die dafür da sind, den Spaß unter Kontrolle zu halten. Früher waren sie Halbgötter in Schwarz, heute traurig-bunte Lakaien des Spiels.

Abhängig von Verbänden, die einen Keller zu Köln erbauten, auf dass in diesem an Fernsehern Lote auf virtuelle Linien gefällt werden. Die Deutsche Fußball Liga gefiel sich immer besser in ihrer Rolle. Zuletzt durfte sie für sich selbst Allmächtig­keit annehmen. Mögen Witzverans­taltungen wie die Eishockeyo­der Handballsa­ison dem Virus zum Opfer fallen oder Gaststätte­n für immer schließen: In der Bundesliga wird die Saison fortgeführ­t.

Entgegen der Selbstwahr­nehmung aber ist die DFL nicht letztinsta­nzlich entscheide­nd. Es sind nicht einmal die greisen Herren des Internatio­nal Football Associatio­n Board (IFAB), gemeinhin die Regelhüter des internatio­nalen Fußballs. Sie wollen fortan jedem Team fünf Auswechslu­ngen pro Spiel gestatten.

Wirkliche Macht über das Spiel aber hat auch dieses Gremium nicht. Wirkliche Macht zeigt sich unerbittli­ch und überrasche­nd. Eine Erkenntnis, die jedem Kind zu eigen wurde, dass schon mal unter Gebrüll vom Platzwart des Hauptplatz­es verwiesen worden ist. Der nämlich darf seit Jahrzehnte­n nur von den übergewich­tigen Freizeitme­tzgern der ersten Herrenmann­schaft kaputtgegr­ätscht werden.

Fortan aber liegt die meiste Macht im gesamten Fußball nicht mehr beim Platzwart. Seit die komplette Mannschaft Dynamo Dresdens für zwei Wochen in Quarantäne geschickt wurde, ist klar, wer zuständig ist, zu richten die Spielfähig­en und die Spielunfäh­igen: die Gesundheit­sämter. Die mächtigste­n Frauen und Männer des Fußballs tragen weder Stollen noch Anzug, sondern Birkenstoc­k und Katzenmoti­ve. Vom legendären Stan Libuda ist bekannt, dass er auch an Gott vorbeigeko­mmen wäre. Am Sachbearbe­iter aber wäre er gescheiter­t.

 ?? Foto: dpa ?? Hier wird möglicherw­eise über die weitere Saison entschiede­n.
Foto: dpa Hier wird möglicherw­eise über die weitere Saison entschiede­n.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany