Wo die Mächtigen wirklich sitzen
V orbei die Zeiten ohne Schiedsrichter. Auf dem Bolzplatz gab es nur einen Grund für Elfmeter: drei Ecken. Der Reklamation, ein Foulspiel habe vorgelegen, wurde einzig stattgegeben, wenn das Schienbein aus der Wade lugte. Das Spiel beendete kein Unparteiischer, sondern der Besitzer des Balles. Oder die Mutter, die zum Abendessen rief.
Erste Erfahrungen mit behördlicher Willkür machen Jugendspieler mit dem Eintritt in eine Vereinsmannschaft. Schiedsrichter, die diesem grenzenlosen Vergnügen einen Rahmen geben sollen. Die unterscheiden sollen zwischen passivem und aktivem Abseits. Die sich physikalischer Phänomene wie der Vergrößerung der Körperfläche in Sekundenbruchteilen annehmen. Sie achten auf die Umsetzung der Regeln. Regeln, die dafür da sind, den Spaß unter Kontrolle zu halten. Früher waren sie Halbgötter in Schwarz, heute traurig-bunte Lakaien des Spiels.
Abhängig von Verbänden, die einen Keller zu Köln erbauten, auf dass in diesem an Fernsehern Lote auf virtuelle Linien gefällt werden. Die Deutsche Fußball Liga gefiel sich immer besser in ihrer Rolle. Zuletzt durfte sie für sich selbst Allmächtigkeit annehmen. Mögen Witzveranstaltungen wie die Eishockeyoder Handballsaison dem Virus zum Opfer fallen oder Gaststätten für immer schließen: In der Bundesliga wird die Saison fortgeführt.
Entgegen der Selbstwahrnehmung aber ist die DFL nicht letztinstanzlich entscheidend. Es sind nicht einmal die greisen Herren des International Football Association Board (IFAB), gemeinhin die Regelhüter des internationalen Fußballs. Sie wollen fortan jedem Team fünf Auswechslungen pro Spiel gestatten.
Wirkliche Macht über das Spiel aber hat auch dieses Gremium nicht. Wirkliche Macht zeigt sich unerbittlich und überraschend. Eine Erkenntnis, die jedem Kind zu eigen wurde, dass schon mal unter Gebrüll vom Platzwart des Hauptplatzes verwiesen worden ist. Der nämlich darf seit Jahrzehnten nur von den übergewichtigen Freizeitmetzgern der ersten Herrenmannschaft kaputtgegrätscht werden.
Fortan aber liegt die meiste Macht im gesamten Fußball nicht mehr beim Platzwart. Seit die komplette Mannschaft Dynamo Dresdens für zwei Wochen in Quarantäne geschickt wurde, ist klar, wer zuständig ist, zu richten die Spielfähigen und die Spielunfähigen: die Gesundheitsämter. Die mächtigsten Frauen und Männer des Fußballs tragen weder Stollen noch Anzug, sondern Birkenstock und Katzenmotive. Vom legendären Stan Libuda ist bekannt, dass er auch an Gott vorbeigekommen wäre. Am Sachbearbeiter aber wäre er gescheitert.