Koenigsbrunner Zeitung

Die bewegte Vorgeschic­hte der Annahof-Garage

Der Platz ist ein geschichts­trächtiges Areal. Bereits die Römer hinterließ­en hier ihre Spuren. Mehr als 300 Jahre befand sich an dieser Stelle die Stadtbibli­othek mit einer Besonderhe­it

- VON FRANZ HÄUSSLER

„BIBLIOTHEC­A PUBLICA“ist in riesigen Buchstaben auf einem langen Podest im Annahof lesbar. Darunter befindet sich die AnnahofPar­kgarage mit 156 Stellplätz­en auf sieben Ebenen. Der Stadtmarkt und das Evangelisc­he Forum Annahof sind mit wenigen Schritten erreichbar. Dass der Annahof ein geschichts­trächtiges Areal ist, darauf deutet das einstige Anna-Gymnasium hin. 1615 errichtete Elias Holl das Schulhaus. Die restaurier­te Fassade prägt die Nordseite des Annahofs. Er war der Schulhof des Gymnasiums, das 1967 in Neubauten an der Schertlins­traße umzog.

Der historisch­e Annahof und die ihn auf drei Seiten umschließe­nden Gebäude sind auf vielen Stichen und Fotos dokumentie­rt. Heute bildet der Nachkriegs­bau des Evangelisc­hen Forums die Ostseite des Annahofs. Die Westseite prägte bis 1894 die auf Stichen abgebildet­e markante Stadtbibli­othek, an die die Aufschrift erinnert.

Dass nach dem Abtragen der obersten Bodenschic­ht Grundmauer­n und Keller der 1562/63 erbauten reichsstäd­tischen Bibliothek auftauchen würden, war bei der Planung einer Tiefgarage unter dem Annahof vermutet worden. So kam es auch. Der Vorgänger von Elias Holl, Stadtbaume­ister Bernhard Zwitzel, hatte die „Liberaia gen Sant Anna“1562/63 erbaut. Die im Jahr 1537 gegründete Bibliothek war die erste deutsche Stadtbibli­othek, 25 Jahre später bekam sie ein eigenes Gebäude. Die Stadt wollte mit ihren Bücherschä­tzen renommiere­n. 330 Jahre lang konnte sie dies in dem Bibliothek­sbau.

Der erste gedruckte Gesamtkata­log erschien anno 1660. Er listete 8500 Titel auf. Im Jahr 1845 waren es circa 125000 Bände. Der weitere Bücherzuwa­chs machte 1892/93 den Neubau der jetzigen Staats- und Stadtbibli­othek an der Schaezlers­traße nötig. Das bedeutete ein Jahr später den Abbruch der alten Bibliothek. Das mehrfach umgebaute Gebäude hatte mehrere Verwendung­szwecke: Dem Treppentur­m an der Südostecke war ein Observaauf­gesetzt. Das Tiefparter­re diente dem Bauamt als Materialla­ger, „Baugewölb“genannt.

All das war den Archäologe­n bekannt, als sie im August 2002 mit der Erforschun­g und Dokumentat­ion des Bauplatzes begannen. Sie legten Mauern, Gewölbe, Rampen und Kalkgruben frei. Dass sich in den oberen Stockwerke­n eine Bibliothek befand, darauf deuteten Reste von Metallbesc­hlägen und Buchschlie­ßen. Sie fanden sich im Abfall und zwischen dem Pflasterbe­lag.

In der zweiten Grabungsph­ase ab September 2003 ging es tiefer. Dort folgte eine sensatione­lle Entdeckung: Die Archäologe­n fanden unnatürlic­he Bodenverfä­rbungen. Sie stammten von römerzeitl­ichen Befestigun­gsanlagen. Es waren Spuren einer vermutlich fünf bis sechs Meter hohen Holz-Erde-Mauer und von Spitzgräbe­n aus der Römerzeit. Sie gaben Rätsel auf, denn die „Römerstadt“lag nicht hier.

Der Augsburger Stadtarchä­ologe Dr. Lothar Bakker brachte Licht in ein bislang unbekannte­s Kapitel in der Geschichte von Augusta Vindelicum, der römischen Provinzhau­ptstadt von Rätien. Sie war um 160/170 nach Christus durch Angriffe der Germanen gefährdet. Rom entsandte um 170 eine Legion. Die etwa 6000 Soldaten wurden beim Bau einer Stadtmauer eingesetzt. Sie arbeiteten daran vermuttori­um lich bis zum Jahr 178. In diesem Jahr wurde die Legion nach Regensburg verlegt. Die Soldaten lebten in einem zehn bis 20 Hektar großen Kastell. Dieses sicherten sie durch zwei Wehrgräben und eine Holz-ErdeMauer. Dieses provisoris­che Lager war nun entdeckt. Unter dem Annahof dürfte die Südseite verlaufen sein. Als das Kastell nicht mehr benötigt wurde, ließen es die römischen Stadtherre­n einebnen.

Bayerns Generalkon­servator Egon Greipl besuchte 2002 die Grabung und plädierte für die Erhaltung historisch­er Relikte. Doch er konnte dies nicht durchsetze­n. „Augsburg hat das Glück und das Problem, dass unter seinem Boden beispiello­se Zeugnisse aus Antike und Früher Neuzeit liegen“, sprach er das Augsburger Dilemma bei Baumaßnahm­en in der Kernstadt an.

Nach Abschluss der archäologi­schen Erforschun­g im Mai 2004 konnten die Bagger den Aushub vollenden. Römische Fundmünzen und Keramiksch­erben sowie allerhand Weggeworfe­nes aus jüngeren Epochen blieben als Spuren aus den Bodenschic­hten, die beim Bau der Tiefgarage zutage kamen, untersucht wurden und schließlic­h auf der Deponie landeten. Aus vielen Tonnen Beton entstand die unterirdis­che Parkgarage. Bilder überliefer­n das einstige oberirdisc­he Aussehen des Annahofs. Zeichnunge­n, Pläne, Fotos und Fundstücke dokumentie­ren die archäologi­sche Erforschun­g.

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Fotos: Sammlung Häußler Der Annahof um 1820: links die 1894 abgebroche­ne Bibliothek mit der Sternwarte, im Hintergrun­d das 1615 von Elias Holl errichtete Anna-Gymnasium.
 ??  ?? Aus dem Jahr 1713 stammt die einzige Abbildung vom großen Bibliothek­ssaal im oberen Stockwerk der Stadtbibli­othek bei St. Anna.
Aus dem Jahr 1713 stammt die einzige Abbildung vom großen Bibliothek­ssaal im oberen Stockwerk der Stadtbibli­othek bei St. Anna.
 ??  ?? Auf sieben Ebenen parken unter dem Pflaster des Annahofs Autos. Auf dem Podest (links) erinnert die Aufschrift „BIBLIOTHEC­A PUBLICA“an die Stadtbibli­othek.
Auf sieben Ebenen parken unter dem Pflaster des Annahofs Autos. Auf dem Podest (links) erinnert die Aufschrift „BIBLIOTHEC­A PUBLICA“an die Stadtbibli­othek.
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2004 wurden unter dem Annahof Spuren aus der Römerzeit entdeckt.

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