Hunderte Menschen kommen zur „Corona-Demo“
Auf dem Rathausplatz ist es am Samstag überraschend voll. An die Einhaltung des Mindestabstandes ist nicht zu denken. Warum die Spaltung der Gesellschaft angesichts der Infektionsschutzregeln hier deutlich wird
Angekündigt waren bei der Stadt Augsburg 50 Demonstranten, die auf dem Rathausplatz gegen Corona-Maßnahmen protestieren wollten. Es sind allerdings hunderte Menschen, die sich hier am Samstagnachmittag einfinden. An einen Mindestabstand ist bei dieser Kundgebung nicht zu denken.
Zum Schluss wird das bekannte Lied des Sängers Marius MüllerWesternhagen auf dem Augsburger Rathausplatz gespielt: „Freiheit“. Dazu schwenken die Demonstranten ihre selbstbemalten Schilder. „Kein Maskenzwang“, „Ich gehe mit meinem Land durch dick und dünn, aber nicht durch dumm und dümmer“, „Raus aus der Massenhypnose – zurück zu den Grundrechten“ist darauf zu lesen. Zu der Protestaktion hat die neu gegründete Gruppe „Grundrechte wahren“aufgerufen.
Es ist inzwischen die dritte Demonstration der Augsburger Gruppierung in der Innenstadt. Doch so viele Menschen wie an diesem Samstag sind bislang nicht gekommen. 50 Demonstranten waren offiziell angemeldet. Nach Schätzung der Polizei halten sich ab 15 Uhr circa 500 Menschen auf dem Rathausplatz auf. Angesichts des gefüllten Platzes können es durchaus noch mehr Besucher sein. Es ist gar nicht möglich, den vorgegebenen Mindestabstand von 1,50 Metern einzuhalten.
Die meisten Menschen auf dem Platz tragen keine Masken. Dafür einige von ihnen Protestschilder. Alexander Linder, der für die Gruppe bei der Kundgebung als Sprecher auftritt, betont, dass man sich hier für die Grundrechte versammle. Über Mikrofon und Lautsprecher übt der Augsburger Friseur harsche Kritik am Vorgehen der Regierung. „Biergärten dürfen demnächst bis acht Uhr öffnen, weil Corona erst um neun kommt“, ruft er sarkastisch ins Mikro. Die Menge lacht und applaudiert.
Es sind die unterschiedlichsten Menschen von Jugendlichen bis Senioren, die sich hier versammeln. Unter ihnen etwa Künstler, Handwerker, Pädagogen, alternativ angehauchte Menschen mit Dreadlocks und Rocker mit Kutten. Der 60-jährige Helmut Trabert demonstriert das erste Mal in seinem Leben, erzählt er. „Ich bin entsetzt, dass wir wieder Blockwarte in unserem Land haben. Ich weiß nämlich aus erster Hand, wie viele ,Verstöße‘
Leute der Polizei melden, nur weil Menschen Menschen sind“, echauffiert er sich. Die Maßnahmen gegen das Coronavirus halte er von Anfang an für überzogen.
Eine 60 Jahre alte Frau, die ihren Namen nicht nennen will, meint: „Ich bin hier wegen der Freiheit, ich bin gegen Masken, gegen Impfpflicht und gegen eine Diktatur, die über das Hintertürchen bei uns eingeführt wird. Das sind wir unseren Kindern und Enkelkindern schuldig.“Viele machen sich ihrem Ärger Luft – nicht nur über die Politik, auch über die Medien. Jemand verteilt Zettel mit einem Songtext des umstrittenen Künstlers Xavier Naidoo.
Auch wenn die Stimmung teils geladen ist, der Protest bleibt friedlich. Dazu haben die Veranstalter zu Beginn appelliert. Die Aktion zieht auch Gegner der Kritiker an. Die 25 Jahre alte Jasmin Nimar etwa zeigt sich angesichts der Menschenmenge auf dem Rathausplatz völlig entsetzt. So viele Leute hat sie nicht erwartet. „Das alles hier sind Egoisten und Verschwörungstheoretiker“, schimpft die junge Frau. Sie und ihre Freunde basteln sich Hüte aus Alufolie und setzen sie sich auf die Köpfe – ein gern verwendetes „Accessoire“, um sich gegen Verschwörungstheoretiker lustig zu machen. Eine Gegendemonstrantin hat auf einem Protestschild sogar eine Aluhut-Bastelanleitung aufgemalt.
„Für diese Leute hier ist es anscheinend völlig in Ordnung, wenn ältere Menschen oder Menschen mit Vorerkrankung an Corona sterben“, sagte die 23-Jährige, die ihren Namen nicht preisgibt. „Ich bin auch nicht immer begeistert von der Politik. Aber in dem Fall versucht man uns zu schützen.“
Das sehen viele Demonstranten anders. Manche tun ihrem Unwillen über die Infektionsschutzbestimmungen via Lautsprecher kund.
Auch Guido Fiedler schnappt sich das Mikrofon. Der umstrittene ExKickbox-Weltmeister, der eine Kampfsportschule betreibt und für die Bürgervereinigung „Wir sind Augsburg“in den Stadtrat wollte, ruft laut: „Wir wollen wieder Sport machen für unsere Gesundheit. Wir sind Lehrer, wir müssen den Kindern was beibringen.“
Überrascht von dem Ausmaß der Versammlung auf dem Rathausplatz scheint die Augsburger Polizei. Zwar wird sie von der Bereitschaftspolizei unterstützt, aber bei Kundgebungen dieser Größenordnung hat man in der Vergangenheit auch schon mehr Beamte gesehen. „Es sind schon, wie angemeldet, 50 Demonstranten“, zieht Einsatzleiter Jörg Eisele vor Ort ein erstes Fazit. Aber es seien rund 500 Zuschauer gekommen, meint er. Ob die Polizei wegen des Ignorierens des Mindestabstandes nicht einschreiten müsse? „Wenn sie mir sagen, wie ... das ist nicht machbar“, sagt der Polizist und fügt hinzu: „Die Menschen stehen hier freiwillig zusammen.“Es werde einen Bericht an die Stadt geben, so der Einsatzleiter der Polizei. „Sie hat die Veranstaltung genehmigt.“
Auch in München, wo am Samstag rund 3000 Menschen gegen die aus ihrer Sicht zu strikten Bestimmungen protestieren, schreitet die Polizei nicht ein. Die Polizei habe mit Lautsprecherdurchsagen versucht, auf die Einhaltung der Bestimmungen zu dringen, erläutert der Sprecher des Polizeipräsidiums München. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit hätten die Ordnungshüter die Demonstration laufen lassen und sie nicht aufgelöst. So wie in Augsburg auch. Einsatzleiter Eisele gibt eine persönliche Einschätzung: „Das hier ist eine Minderheit“Die meisten Menschen wüssten die Corona-Regeln zu schätzen.