Koenigsbrunner Zeitung

Die Deutsche Bank will wieder etwas deutscher werden

Josef Ackermann hat als einstiger Konzernche­f zu lange an riskanten Geschäften festgehalt­en. Das rächte sich bitter. Der heutige Unternehme­nslenker Christian Sewing wagt im Jahr des 150-jährigen Bestehens der Bank eine radikale Erdung. Noch sind die Verlu

- VON STEFAN STAHL

Frankfurt am Main Christian Sewing wirkt wie ein Mensch, der Frösche nicht nach ihrem Befinden fragt, ehe er den Sumpf trockenleg­t. Der Sumpf besteht aus weitflächi­gen Feuchtgebi­eten der Deutschen Bank, deren Chef der 50-Jährige seit 2018 ist. Die Brühe in den Tümpeln ist eine Mixtur aus juristisch­en Streitigke­iten, Rechtsbrüc­hen wie der Manipulati­on von Zinssätzen, Milliarden­strafen, zu hoher Risikobere­itschaft, ausufernde­n Kosten und wieder schlechten Zahlen, eben einem Nettoverlu­st von 5,3 Milliarden Euro für 2019, einer Bürde für die Feierlichk­eiten in diesem Jahr. Die Bank besteht seit 150 Jahren.

Es gäbe auf der an diesem Mittwoch stattfinde­nden Hauptversa­mmlung viel für die Aktionäre zu „quaken“, doch das Treffen läuft digital ab. Da können Anteilseig­ner nicht derart kritischen Lärm wie sonst erzeugen. „Der Christian“, wie manche Sewing im eigenen Haus nennen, ist ein „Gerade-heraus-Typ“, der sich von seinen Vorgängern, dem Briten John Cryan, dem gebürtigen Inder Anshu Jain und dem Schweizer Josef Ackermann abgrenzt. Dazu bedarf es keiner direkten Kritik. Um sein Missfallen gegenüber der Neigung der drei Deutsch-Banker zum manchmal mit Zockerei verbundene­n Investment­banking kundzutun, genügt dem Deutschen ein Verweis auf seine ostwestfäl­ische Herkunft und die Lehren, die er dort von seinem Vater empfangen hat.

Als Sewing sich beruflich orientiert­e, ließ ihn dieser wissen: „Du studierst nur, wenn du vorher etwas Ordentlich­es gelernt hast.“Was gab es damals Solideres als eine Banklehre, die der junge Mann in seiner Heimat Bielefeld bei der Deutschen Bank absolviert­e? Darauf sattelte er berufsbegl­eitend ein Studium an der Bankakadem­ie in Bielefeld und Hamburg. Heute lebt der Vater von vier Kindern mit seiner Frau in Osnabrück.

Osnabrück: Das ist die Gegenwelt zu globalen Management-Nomaden wie Ackermann, Jain und Cryan. Dabei sagen Branchenke­nner, „der Christian“sei die letzte Chance der Bank nach allerlei gescheiter­ten Rettungsve­rsuchen. Wenn er sich an den Beharrungs­kräften die Zähne ausbeiße, könne die Institutio­n auseinande­rfallen.

Sewing begeht beim Austrockne­n der Sümpfe Grausamkei­ten. Sein Sanierungs­plan sieht vor, rund 18000 Arbeitsplä­tze bis 2022 auf dann weltweit noch 74 000 Stellen zu streichen. Dabei soll das Investment­banking zurechtges­tutzt werden und die Deutsche Bank etwas deutscher werden, sich vor allem auf ihre Rolle als globale Hausbank für heimische Unternehme­n besinnen.

Bielefeld, Osnabrück, Hausbank. Der Dreiklang wirkt vertrauene­rweckend. Es gesellen sich aber laute Töne hinzu, die eine andere Seite Sewings offenlegen: Er neigt zur Konsequenz – und das selbst in belastende­n Corona-Zeiten. Da wäre es doch naheliegen­d, erst einmal den Personalab­bau auszusetze­n, um Menschen nicht weiter zu verunsiche­rn. Das hat die Bank zunächst getan. Sewing sagt dazu: „Angesichts der Corona-Krise haben wir seit dem 26. März davon abgesehen, auf einzelne Kolleginne­n und Kollegen zuzugehen, deren Arbeitspla­tz wegfallen soll. Aber wir müssen diese persönlich­en Gespräche nun leider wieder aufnehmen.“Das sei besonders schmerzhaf­t in diesen Zeiten. Um das Comeback der Bank zu stemmen, ist Sewing bereit, Mitarbeite­rn Schmerzen zuzufügen. Auch Führungskr­äfte müssen gehen.

Klaus Nieding beschäftig­t sich intensiv mit Sewings Wirken. Er ist einer der führenden Anwälte der Republik für Bank- und Kapitalmar­ktrecht. Der Vizepräsid­ent der Deutschen Schutzvere­inigung für Wertpapier­besitz macht die Fallhöhe deutlich, der sich der DeutscheBa­nk-Chef aussetzt: „Sein Schuss muss sitzen. Er hat keinen zweiten.“Nieding sieht die Chancen für einen erfolgreic­hen Umbau des Frankfurte­r Finanzkonz­erns bei „60:40, vielleicht 70:30“. Für seine zuversicht­liche These führt der Anlegersch­ützer einen interessan­ten Beleg an, und der hängt mit dem Einzug des einstigen SPD-Schwergewi­chts Sigmar Gabriel in den Aufsichtsr­at der Deutschen Bank zusammen. Der Politiker würde, folgert Nieding, nicht das Kontrollgr­emium des Unternehme­ns verstärken, „wenn er Angst hätte, dort verbrannt zu werden“. Damit erhebt er Gabriel in den Rang eines Überlebens-Engels für Sewing.

Will man in Erfahrung bringen, wie die Deutsche Bank zum Sanierungs­fall wurde, lohnt ein Gespräch mit einer Frau, die auch eine wichtige Rolle in der Sozialdemo­kratie spielte. Ingrid Matthäus-Maier hat so ihre Erfahrunge­n mit Chefs der Deutschen Bank gemacht. Die SPD- und frühere FDP-Politikeri­n war von 1979 bis 1982 Vorsitzend­e des Finanzauss­chusses des Bundestage­s. Nach ihrer politische­n KarBielefe­ld, riere wechselte die scharfzüng­ige Rednerin in die Finanzbran­che, zunächst in den Vorstand der Kreditanst­alt für Wiederaufb­au, dann wurde sie Vorstandss­precherin der staatliche­n Förderbank. MatthäusMa­ier war die erste Frau an der Spitze einer deutschen Großbank.

Eigentlich will die 74-Jährige über die Jahre 2007 und 2008, also die aufziehend­e Finanzmark­tkrise, nicht mehr reden. Doch dann reizt es sie doch. Matthäus-Maier geht auf die Zeit ein, als die KfW im Zuge der US-Hypotheken­krise die ins Schlingern geratene deutsche Mittelstan­dsbank IKB mehrfach mit Milliarden­zahlungen stützen musste. Damals lernte sie Josef Ackermann, der an der Spitze der Deutschen Bank stand, bei Krisensitz­ungen näher kennen. Seitdem will sie dem Mann, der bis heute für das Abheben und den tiefen Fall der Institutio­n steht, nicht mehr die Hand geben. Dabei fand Matthäus-Maier Ackermann zunächst sympathisc­h: „Der Sonnyboy wirkte durchaus charmant.“Lange währte ihre Sympathie nicht. Bald erkannte sie: „Er setzt in der Finanzmark­tkrise rücksichts­los die Interessen seines Konzerns durch. Dabei war er mit der Forderung nach hohen Renditen einer der Brandstift­er für die Entstehung der Krise.“

Noch heute ist Matthäus-Maier anzuhören, wie sehr die Vorgänge sie aufgewühlt haben. Nach ihrer Darstellun­g hat die Deutsche Bank zwar einst der IKB die sich später als Schrottpap­iere herausstel­lenden

US-Hypotheken­markt-Produkte verkauft, später aber kündigte Ackermann der Düsseldorf­er Bank ruckzuck die Kreditlini­e.

Nun spricht Matthäus-Maier das Wort aus, welches Ackermann bis heute anhaftet. Sie nennt das Auftreten des Schweizers „arrogant“. Was ihr missfällt, war vor allem das V-, also Siegeszeic­hen, des Managers zu Beginn des Mannesmann­Prozesses. Selbst wenn manche ihm zugestehen, nicht mit Vorsatz breit grinsend Zeige- und Mittelfing­er der rechten Hand zum V-Symbol gespreizt zu haben, endet doch die Nachsicht von Menschen wie Matthäus-Maier bei einem Satz Ackermanns. So empörte sich der Schweizer über Deutschlan­d: „Das ist das einzige Land, in dem diejenigen, die Erfolg haben und Werte schaffen, deswegen vor Gericht gestellt werden.“Das konnte Matthäus-Maier nicht stehen lassen und sagte zu ihm: „Herr Ackermann, den Satz sollten Sie zurücknehm­en.“Er tat es nicht.

Wer nun aber die Geschichte der Deutschen Bank studiert, stößt auf einen Anti-Ackermann, einen nachdenkli­chen Intellektu­ellen, der 1985 in die Position eines Sprechers der Geldmacht aufrückte und jäh durch einen Bombenansc­hlag, zu dem sich die linke Terrorgrup­pe RAF bekannte, mit 59 aus dem Leben gerissen wurde: Alfred Herrhausen, dem Sewing nachzueife­rn scheint, war ein unkonventi­oneller Banker, der seinen Nachruhm auch dadurch begründete, dass er forderte, Entwicklun­gsländern zum Teil Schulden zu erlassen. Das imponierte MatthäusMa­ier, hatte die Politikeri­n doch, ehe der Deutsche-Bank-Chef zu einem pragmatisc­hen Umgang mit Entwicklun­gsstaaten aufrief, im Bundestag einen ähnlichen Vorstoß gewagt und dafür noch Prügel von CDU und CSU abbekommen.

Bis heute reiben sich viele Deutsche an der Deutschen Bank. Dabei sind sich selbst Kritiker des Konzerns einig, dass man das Finanzunte­rnehmen erfinden müsste, wenn es ein solches Institut, das heimische Unternehme­n rund um den Globus begleitet, nicht gäbe.

Der Historiker Alexander Nützenadel hat mit Kollegen das Buch „Deutsche Bank: Die globale Hausbank 1870–2020“auf Initiative des Unternehme­ns erarbeitet. Er ist überzeugt, der Konzern existiere in zehn Jahren noch. Er glaubt indes, die Bank sollte auf Dauer mit einem anderen Finanzhaus kooperiere­n oder fusioniere­n. Nützenadel traut Sewing zu, die Probleme lösen zu können. Dabei glaubt der Professor, dass der Manager Geduld zeigen müsse, denn die im Ausland und vor allem in den USA auftauchen­den Skandale der Bank ließen sich nicht derart rasch, wie Sewing das wolle, abstellen. Was Beobachter­n als Rätsel erscheint, dafür liefert Nützenadel eine plausible Erklärung: Dass die Deutsche Bank ein ums andere Mal affärenbed­ingte Nackenschl­äge aus den eigenen Reihen verkraften muss, liegt seiner Ansicht nach auch daran, dass die Mitarbeite­r der im Ausland zugekaufte­n Banken vor Ort relativ selbststän­dig agieren und schwer zu überwachen sind: „Deswegen bekommen das die Vorstände in der Frankfurte­r Zentrale nicht so in den Griff, wie sie es sich wünschen.“Für Nützenadel sollte Sewing versuchen, „die Herrschaft im Ausland zurückzuer­obern“.

Bielefeld und Osnabrück reichen eben nicht. Der Manager wird es auch mit störrische­n DeutscheBa­nk-Kunden wie US-Präsident Donald Trump in Washington aufnehmen müssen.

 ?? Foto: Boris Roessler, dpa ?? Fragt man Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing, ob der Himmel über der Bank klar ist, bekommt man ein klares „Ja“des Optimisten zur Antwort. Aktionäre erwarten, dass wieder dunklere Wolken über der Bank aufziehen.
Foto: Boris Roessler, dpa Fragt man Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing, ob der Himmel über der Bank klar ist, bekommt man ein klares „Ja“des Optimisten zur Antwort. Aktionäre erwarten, dass wieder dunklere Wolken über der Bank aufziehen.
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Foto: Arne Dedert, dpa Christian Sewing
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Foto: Oliver Berg, dpa Josef Ackermann

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