Koenigsbrunner Zeitung

Ein kühner Plan

Merkel und Macron wollen der EU mit einem Milliarden­programm helfen. Die Kanzlerin vollzieht damit einen Paradigmen­wechsel. Doch welche Chancen hat das deutsch-französisc­he Rettungspa­ket überhaupt?

- VON BIRGIT HOLZER UND STEFAN LANGE

Berlin/Paris Es war ein großer und womöglich auch kühner Plan, den Bundeskanz­lerin Angela Merkel und der französisc­he Präsident Emmanuel Macron da vorgelegt hatten. Befürworte­r und Gegner rieben sich verwundert die Augen: Deutschlan­d und Frankreich haben gemeinsam endlich wieder eine große europäisch­e Initiative angestoßen. Ein Programm zur wirtschaft­lichen Erholung nach der Corona-Krise. Damit hat vor allem Merkel für Deutschlan­d eine spektakulä­re politische Wende hingelegt, die Europa für lange Zeit prägen könnte.

Noch vor wenigen Wochen stemmte sich die Kanzlerin vehement gegen eine gemeinsame europäisch­e Schuldenau­fnahme. Was jetzt geplant ist, unterschei­det sich zwar etwas vom in Deutschlan­d verpönten Konzept der „CoronaBond­s“. Dennoch geht der deutschfra­nzösische Vorschlag weiter als je zuvor: Die EU-Kommission soll in die Lage versetzt werden, 500 Milliarden Euro über Anleihen am Kapitalmar­kt aufzunehme­n und dieses kreditfina­nzierte Geld über den EUHaushalt als Zuwendunge­n für Investitio­nen in Krisenregi­onen der EU auszuzahle­n.

Im Ergebnis bedeutet das: europäisch­e Schulden, die gemeinsam abgezahlt werden müssen. Deutschlan­d bekommt aller Wahrschein­lichkeit nach kaum etwas von den Krisenhilf­en, begleicht aber die Schulden über künftige EU-Haushalte zum Großteil mit – immerhin ist Deutschlan­ds Beitrag zum EUHaushalt rund 27 Prozent. Nach dieser Rechnung müsste Berlin langfristi­g 135 Milliarden des 500 Milliarden schweren Pakets schultern. Die eigene Staatsvers­chuldung wird damit weiter ansteigen. Es ist eine Umverteilu­ng in einem bisher ungekannte­n Maß.

Dahinter stehen handfeste wirtschaft­liche Interessen, aber auch die Sorge um den Zusammenha­lt der EU. Südländer wie Italien oder Spanien werfen Deutschlan­d in der Corona-Krise mangelnde Solidaritä­t vor – und dort lauern Rechtspopu­listen nur auf eine Schwäche Europas. Zudem befürchtet die Kanzlerin, dass China und Russland Einfluss in Osteuropa gewinnen könnten. Europa ist für die Exportnati­on Deutschlan­d zudem der wichtigste Handelspar­tner. Wenn die europäisch­en Partnerlän­der wirtschaft­lich nicht wieder auf die Beine kommen, würde das deutschen Unternehme­n massiv schaden.

Aber: Der deutsch-französisc­he Plan ist nur eine Idee, offiziell wartet man nun auf den Vorschlag der EU-Kommission am 27. Mai. Und dann folgt vermutlich erbitterte­r Streit, wie immer in der EU bei Haushaltsf­ragen. Und gegen den deutsch-französisc­hen Plan regt sich bereits jetzt Widerstand. Österreich, die Niederland­e, Dänemark und Schweden pochen darauf, dass die EU nur rückzahlba­re Kredite und keine Zuschüsse ausgibt. Österreich­s Kanzler Sebastian Kurz sagte noch am Abend, er habe sich mit den Regierungs­chefs der Niederland­e, Dänemarks und Schwedens ausgetausc­ht. „Unsere Position bleibt unveränder­t“, twitterte Kurz.

In Deutschlan­d übt vor allem die Opposition Kritik. „Ich bin insofern überrascht, hier soll eine 180-GradKehrtw­ende gemacht werden, dass

sich die Europäisch­e Union doch verschulde­n darf“, sagte der stellvertr­etende FDP-Fraktionsc­hef Alexander Graf Lambsdorff. Er sei „sehr skeptisch“, dass der Plan Wirklichke­it werde, er halte ihn auch nicht für gerechtfer­tigt.

Im restlichen Berlin war es hingegen bemerkensw­ert still. Doch zustimmen muss dem Plan auch der Bundestag. Und selbst Leute aus dem eigenen Lager können der neuen Linie nur schwer folgen, ohne an Glaubwürdi­gkeit einzubüßen. CSULandesg­ruppenchef Alexander Dobrindt, CDU-Fraktionsc­hef Ralph Brinkhaus und viele mehr hatten sich stets gegen CoronaBond­s und damit Gemeinscha­ftsschulde­n ausgesproc­hen. Brinkhaus sagte zwar jetzt dem Spiegel: „Dieser Vorschlag zeigt: Europäisch­e Solidaritä­t funktionie­rt auch ohne Vergemeins­chaftung von Schulden.“Der Finanzexpe­rte weiß aber, dass mit dem Plan von Merkel und Macron genau das passieren würde: Deutschlan­d nimmt Geld auf, um die Schulden anderer Länder zu bezahlen. Entspreche­nd vorsichtig ist die Einschätzu­ng von Dobrindt: „Der Merkel-Vorschlag, der sich nach erster Betrachtun­g innerhalb der europäisch­en Verträge bewegt, kann ein Weg sein, um die europäisch­e Solidaritä­t und den Zusammenha­lt zur Bewältigun­g der Corona-Krise zu stärken“, sagt der CSUPolitik­er. „Wir werden uns die Details anschauen, werden den Weg aber konstrukti­v begleiten.“Der Schwerpunk­t der Hilfen sollte dabei auf Investitio­nen und Innovation­en liegen und „es kann keinesfall­s darum gehen, nationale Haushalte durch Corona-Hilfsmaßna­hmen zu sanieren.“

Sorge gibt es darüber, ob der Schritt einen Dammbruch bedeuten würde. Merkel nannte das Paket eine „außergewöh­nliche, einmalige Kraftanstr­engung“. Aber ob der neue Ansatz für Gemeinscha­ftsschulde­n tatsächlic­h einmalig bleibt, kann heute niemand sagen. Denn Merkel sagte am Montagaben­d auch klar, was sie nun schon ein paar Mal angedeutet hat: Sie will mehr Europa, und der deutsch-französisc­he Plan ist eine Art Grundstein.

Es waren aber auch die Zwischentö­ne, die nach der Pressekonf­erenz viel Beachtung fanden. „Zusammenge­rauft“hätten sich Paris und Berlin, sagte Bundeskanz­lerin Merkel. War dies etwa ein Eingeständ­nis der Differenze­n, die beide Länder wochenlang entzweit hatten? Das Verhältnis zu Macron war schon vor der Corona-Krise belastet, durch die Pandemie und den Rückfall in die Kleinstaat­erei wurde es nicht besser. Macron beklagte nationalis­tische Tendenzen in Berlin, das saß tief bei der deutschen Regierungs­chefin. Doch üblicherwe­ise wollen Berlin und Paris den Eindruck zumindest bei offizielle­n Auftritten vermeiden, es knirsche in der Freundscha­ft. Stattdesse­n gilt die Sprachrege­lung, man sei einander der wichtigste Partner und verstehe sich trotz mancher Meinungsve­rschiedenh­eiten prächtig – Punkt.

Nun also der Schultersc­hluss. Beide Länder waren zu Zugeständn­issen bereit – Merkel mit der grundsätzl­ichen Bereitscha­ft zu gemeinscha­ftlicher Schuldenau­fnahplötzl­ich me, Macron mit der Zustimmung zum Umfang des Pakets, nachdem er zunächst deutlich mehr Geld gefordert hatte. In Paris wurde Merkels überrasche­nde Wende als lange erwarteter Paradigmen­wechsel gefeiert, der den innenpolit­isch geschwächt­en Macron stärkt – war er es doch, der der „eisernen Kanzlerin“das Zugeständn­is abgetrotzt hat. Einmal mehr sollte die oft wiederholt­e Regel gelten, dass es ohne einen deutsch-französisc­hen Kompromiss keine europäisch­e Bewegung kann. Sie baut auf der Erkenntnis auf, dass beide Länder per se von verschiede­nen Positionen ausgehen, ob beim Verständni­s von Solidaritä­t, bei der Bewertung von Staatsschu­lden oder dem Risiko gemeinsame­r Haftung. Hinter einer Einigung kann sich je ein Teil der übrigen EU-Staaten wiederfind­en – um sich idealerwei­se irgendwo in der Mitte zu treffen.

Die Coronaviru­s-Krise hat in vielerlei Hinsicht als Brennglas gewirkt, Schwachste­llen aufgedeckt und Konflikte belebt – national wie internatio­nal. Statt zusammenzu­arbeiten und gemeinsam nach Lösungen zu suchen, schotteten sich die Nationalst­aaten ab. Deutschlan­d schloss seine Grenzen zu Frankreich ohne vorherige Absprache und machte so eine als gewiss geltende Errungensc­haft zunichte: die des freien Übergangs von einer RheinSeite zur anderen. Dabei hatten Paris und Berlin im Zuge des Aachener Vertrages im vergangene­n Jahr eine weltweit in dieser Form einmalige Deutsch-Französisc­he Parlamenta­rische Versammlun­g mit dem Schwerpunk­t auf dem Zusammenwa­chsen der Grenzregio­nen geschaffen.

Funktionie­rt die Achse Berlin–Paris wieder?

 ?? Foto: Sandra Steins/BPA-Pool/dpa ?? Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) spricht im Bundeskanz­leramt während einer gemeinsame­n Videokonfe­renz mit Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron.
Foto: Sandra Steins/BPA-Pool/dpa Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) spricht im Bundeskanz­leramt während einer gemeinsame­n Videokonfe­renz mit Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron.

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