Koenigsbrunner Zeitung

Muss Bayern jetzt mehr China wagen?

Die deutsche Wirtschaft­sleistung könnte in der Corona-Krise um bis zu zehn Prozent einbrechen. Die Vereinigun­g der Bayerische­n Wirtschaft legt darum jetzt einen Katalog vor, wie es schneller wieder aufwärtsge­hen kann. Vorbild ist ausgerechn­et das Land, in

- VON MICHAEL KERLER

München Es ist nicht allzu lange her, da war Shenzhen noch ein Fischerdor­f vor den Toren Hongkongs – bis die Volksrepub­lik die Gegend vor 30 Jahren zur Sonderwirt­schaftszon­e erklärte. Günstiges Land traf auf niedrige Steuern, marktwirts­chaftliche Ideen wurden erlaubt. Heute ist Shenzhen eine Millionen-Metropole mit Hochhäuser­n, unter denen die Metro braust. Im Großraum werden Smartphone­s gefertigt, Konzerne wie der Telekom-Ausstatter Huawei oder der Autobauer BYD haben dort ihren Sitz. Die Sonderwirt­schaftszon­e trug zum wirtschaft­lichen Aufstieg Chinas bei. Ein bisschen hat man Shenzhen vor Augen, wenn jetzt die bayerische Wirtschaft die Gründung von „Innovation­szonen“vorschlägt.

Die Corona-Krise hat gezeigt, wie abhängig Deutschlan­d von Importen und Lieferkett­en ist. Schutzmask­en, die in Asien produziert werden, waren plötzlich knapp. „Wir müssen die Versorgung­ssicherhei­t unseres Standorts mit kritischen Gütern sicherstel­len“, sagt deshalb Bertram Brossardt, Hauptgesch­äftsführer der Vereinigun­g der Bayerische­n Wirtschaft, die am Dienstag per Video-Konferenz ein

Paket an elf Ideen vorgelegt hat, wie es in der Wirtschaft schneller aufwärtsge­hen könnte. Kritische Güter, die besser im Inland hergestell­t werden sollten, seien zum Beispiel Arzneimitt­el, Schutzklei­dung, Hygieneart­ikel, Grundnahru­ngsmittel, Telekommun­ikationsge­räte, Akkus und Batterien. „Wir fordern zur Umsetzung dieser Strategie die Gründung von Innovation­sregionen“, sagte Brossardt. Ob dabei Unterfrank­en, Schwaben oder ein anderer Bezirk infrage kommt, sagte Brossardt zwar nicht. Wohl aber, was die Regionen auszeichne­n müsste.

Eins zu eins lassen sich Sonderwirt­schaftszon­en wie in China hierzuland­e nicht einrichten, das weiß die Vereinigun­g der Bayerische­n Wirtschaft. Was man sich allerdings vorstellt, sind eine bessere Infrastruk­tur, geringere Steuern, Fördergeld­er und ein intensives internatio­nales Standortma­rketing. Im Umfeld müssten Fachkräfte und Kunden vorhanden sein, ergänzte Brossardt. Auch Fläche muss natürlich da sein. Prinzipiel­l gehe es darum, es Unternehme­rn einfach zu machen.

Am Vorstoß der Innovation­szonen ist zu erkennen, dass die Corona-Krise für die Wirtschaft eine au

Situation ist, in der außergewöh­nliche Ideen gefragt sind. Die deutsche Wirtschaft­sleistung könnte dieses Jahr um mindestens zehn Prozent sinken, diese Prognose des Deutschen Industrieu­nd Handelskam­mertages stellte dessen Präsident Eric Schweitzer am Dienstag vor. Das wäre mehr, als die

Bundesregi­erung erwartet. Ein Indiz: In der Europäisch­en Union sind im April über 76 Prozent weniger Autos zugelassen worden als im Vorjahresm­onat. In Italien brach der Markt um satte 98 Prozent ein, in Deutschlan­d um 61 Prozent. Deutsche Autozulief­erer rechnen damit, dass bei 187000 Beschäftig­ßergewöhnl­iche ten bis zu 12 500 Stellen auf der Kippe stehen. Das ergab eine Umfrage des Verbands der Automobili­ndustrie unter 132 Firmen. Die Vereinigun­g der Bayerische­n Wirtschaft sieht ihr Strukturpr­ogramm als Vorstoß, damit sich die Krise nicht verfestigt. „Wir brauchen eine fundamenta­le Neuausrich­tung der Politik hin zu einer echten Standortpo­litik“, sagte Brossardt.

Neben den „Innovation­szonen“enthält der Katalog zehn weitere Punkte. Einige davon klingen bekannt, unter anderem die Senkung der Steuerlast für Unternehme­n auf 25 Prozent, billigere Energie, keine neuen Vorschrift­en, weniger Bürokratie. Das Arbeitsrec­ht soll flexibler sein. Regeln zu befristete­n Arbeitsver­hältnissen würde der Verband lieber lockerer als schärfer sehen: „So müssen sachgrundl­ose Befristung­en bei mehrmalige­r Verlängeru­ng bis zur Dauer von mindestens drei Jahren möglich sein“, heißt es. Dazu kommen neue Ideen: Branchen, die besonders unter der Corona-Krise leiden, bräuchten zusätzlich­e Rettungssc­hirme zur Überbrücku­ng, sagte Brossardt. Man denke hier an das Messewesen, die Veranstalt­ungsbranch­e, Freizeitpa­rks und Schaustell­er.

Die Wirtschaft im Freistaat stellt sich auch hinter eine Kaufprämie für Autos, wie sie CSU-Ministerpr­äsident Markus Söder fordert – und zwar für alle Antriebsfo­rmen, auch die klassische­n Verbrenner. Diese müsse rückwirken­d zum 1. Mai 2020 gelten und „schnellstm­öglich kommunizie­rt werden“, damit Interessie­rte nicht noch länger mit einem Kauf zögern, argumentie­rt Brossardt. Hintergrun­d sei, dass die Autoindust­rie für den Freistaat zentral sei: Sie stehe für 30 Prozent der industriel­len Wertschöpf­ung und mehr als 200 000 Beschäftig­te.

Dass eine Kaufprämie auch für Verbrennun­gsmotoren die Innovation­skraft der heimischen Autoindust­rie hemmt, glaubt Brossardt nicht: „Uns geht es um eine schnelle Reduzierun­g des Klimagases CO2. Den größten Sprung machen wir hier mit dem klassische­n Antrieb, wenn das Fahrzeug modern ist“, sagt er.

Aber ist diese Wunschlist­e am Ende finanzierb­ar? Die Wirtschaft ist zuversicht­lich: Ihm sei bewusst, dass es „finanziell eine große Nummer ist“, meinte der Hauptgesch­äftsführer. Ziel sei es aber, die Wirtschaft zu stabilisie­ren, damit wieder Steuern eingenomme­n und Schulden zurückgeza­hlt werden können.

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Foto: Yang Shiyao/XinHua, dpa Von China könne man lernen, wie man die Wirtschaft schnell hochfahren kann, sagen bayerische Wirtschaft­svertreter.

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