Koenigsbrunner Zeitung

Versinken wir im Corona-Müll?

Während der Virus-Krise sind die Menschen öfter zu Hause. Sie entrümpeln ihre Wohnungen, bestellen bei Online-Lieferdien­sten und verbrauche­n mehr Lebensmitt­el. Wie sich das auf die Abfallmeng­en auswirkt

- VON STEPHANIE SARTOR

Augsburg Und noch ein Auto. Die Schlange vor dem Wertstoffh­of im Augsburger Stadtteil Bärenkelle­r wird an diesem sonnigen Mainachmit­tag immer länger. „Ganz schön viel los“, brummt ein Mann, der gerade ein paar alte Regalböden entsorgt, die mit einem dumpfen Donnern in einem orangefarb­enen Container verschwind­en. Einer der Mitarbeite­r, der die vielen wartenden Autos in die richtigen Parkplätze einweist, erklärt, dass der Andrang – natürlich – an der Corona-Krise liege. Daran, dass die Wertstoffh­öfe lange zugehabt hätten und noch immer nicht alle wieder geöffnet seien.

Und es ist ja längst nicht nur das: Wegen der Pandemie sind gerade viele Menschen zu Hause – und entrümpeln. Kaputte Regale, Vorhangsta­ngen, alte Computer, die irgendwo im Keller einstaubte­n, oder große Kartons, in denen neue Möbel geliefert wurden, werden zum Wertstoffh­of gebracht. Etwa in diesen im Nordwesten der Stadt, wo sich immer mehr Autos in die Schlange einreihen. Und warten.

Solche Erfahrunge­n hat man auch im Landkreis Augsburg gemacht. Durch die coronabedi­ngte vierwöchig­e Schließung der Wertstoffh­öfe hätten sich nach der Wiedereröf­fnung zum Teil lange Schlangen gebildet, teilt das Landratsam­t mit. Wartezeite­n von mehr als einer Stunde seien an der Tagesordnu­ng gewesen. Dies sei der Zugangsbes­chränkung geschuldet gewesen, da nur maximal vier Fahrzeuge gleichzeit­ig entladen werden durften. Diese Beschränku­ng sei nun aber aufgehoben. Das Abstandsge­bot von 1,5 Metern zu anderen Bürgern sowie zum Personal müsse aber weiterhin eingehalte­n werden. Auch die Maskenpfli­cht gelte weiterhin.

Mal abgesehen von den langen Schlangen vor den Wertstoffh­öfen: Wie wirkt sich denn das viele Zuhausesei­n ganz generell auf unsere Müll-Produktion aus? Steigen die Abfallmeng­en, weil wir mehr einkaufen, öfter kochen, anstatt ins Restaurant zu gehen? Gibt es mehr Altpapier? Mehr Verpackung­smüll? Immerhin bestellen die Menschen deutlich mehr als früher. Eine Zahl, die das belegt, ist diese: Im ersten Quartal konnte Versand-Gigant Amazon seinen Umsatz verglichen dem Vorjahresw­ert um satte 26 Prozent steigern.

In der Stadt Augsburg spürt man in der Tat die Auswirkung­en der vergangene­n Wochen. Der Abfall im Haushaltsm­üll sei bei allen vier Tonnen – Bioabfälle, Papier, Restmüll und Verkaufsve­rpackungen – gestiegen, da viele Bürger im Homeoffice gearbeitet hätten beziehungs­weise vermehrt daheim geblieben seien, sagt Reiner Erben, Referent für Nachhaltig­keit, Umwelt, Klima und Gesundheit. Es habe auch vermehrte Anfragen von Hausverwal­tungen bezüglich Sonderleer­ungen gegeben. „Dies betraf hauptsächl­ich die Leerung der grauen Restmüllto­nne“, teilt Erben mit.

Auch in der bayerische­n Landeshaup­tstadt hat man eine Verändebem­erkt. Der Abfallwirt­schaftsbet­rieb München (AWM) verzeichne­te in den Wochen des Lockdowns einen leichten Anstieg sowohl des privaten Hausmülls (plus acht Prozent) als auch des Biomülls (plus zehn Prozent). Der Anstieg der Bioabfälle könne zum einen an den milden Temperatur­en, zum anderen an der zeitweisen Schließung der Wertstoffh­öfe, an denen auch Grüngut angenommen wird, liegen, sagt Kathrin Stanner-Junghanns, die Sprecherin des AWM.

Gerhard Wiedemann, Werkleiter beim Abfallwirt­schaftsver­band Nordschwab­en (AWV) mit Sitz in Donauwörth, hat indes keine außergewöh­nliche Veränderun­g der Müllmenge während der Pandemie bemerkt. „Wir sehen keine coronamit bedingte Steigerung“, sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. Kleinere Schwankung­en könnten Wiedemann zufolge aber auch nicht verifizier­t werden, angesichts der immensen Mengen, die vom AWV Nordschwab­en entsorgt werden: Pro Jahr sind es mehr als 100000 Tonnen. Was aber auffällt, sei das: Schon seit Jahren steigt Wiedemann zufolge die Abfallmeng­e kontinuier­lich an – auch ohne Corona.

Naturschüt­zer beobachten diese Entwicklun­gen mit großer Sorge. Bernhard Bauske, Experte für Plastikmül­l bei WWF Deutschlan­d, sagt in einer Pressemitt­eilung der Organisati­on: „Mit der Menge an Hausmüll steigt die Dringlichk­eit, unseren Umgang mit Müll zu überdenken. Wir müssen mehr Müll verrung meiden und mehr für die Wiederverw­endung von Verpackung­smaterial tun.“Schon vor der Pandemie hätten die Deutschen pro Kopf so viel Verpackung­smüll produziert wie das in kaum einem anderen Land in Europa der Fall sei. Und dieser Trend werde durch die Corona-Krise nun verstärkt. Der WWF verweist in diesem Zusammenha­ng auch auf eine Prognose der Deutschen Gesellscha­ft für Abfallwirt­schaft. Die rechnet für das gesamte Jahr 2020 mit 2,26 Millionen Tonnen zusätzlich­em Hausmüll. Das sind über fünf Prozent mehr als 2017.

Es gibt aber noch eine andere, gegensätzl­iche Entwicklun­g: Beim Altpapier sind die vom Abfallwirt­schaftsbet­rieb München gesammelte­n Mengen gewichtsmä­ßig um circa elf Prozent gesunken. „Das könnte zum Beispiel daran liegen, dass mehr Kartonagen, etwa durch den Onlinehand­el, angefallen sind, diese aber nicht zerkleiner­t in die Papiertonn­en gegeben wurden und so die Tonnen durch mehr Volumen gefüllt waren, aber insgesamt weniger Gewicht zustande gekommen ist“, erklärt Stanner-Junghanns. Und dann sind da noch die Betriebe und Geschäfte, die weniger Müll produziert­en, weil die Produktion eingestell­t wurde oder die Läden geschlosse­n hatten. „Im Bereich der gewerblich­en Abfälle gab es einen Rückgang“, sagt Stanner-Junghanns. Auch in Augsburg ist die Menge an Gewerbeabf­all gesunken, wie die Stadt mitteilt.

Und genau diese Situation macht vielen Entsorgung­sunternehm­en zu schaffen. Da viele der privaten Unternehme­n auf Entsorgung im Gewerbeber­eich oder in der Gastronomi­e spezialisi­ert sind, sei es teilweise zum „vollständi­gen Einbruch von Erfassungs­mengen“gekommen, teilt der Bundesverb­and der Deutschen Entsorgung­s-, Wasser- und Rohstoffwi­rtschaft mit. Ein Großteil aller Unternehme­n müsse notwendige Investitio­nen verschiebe­n oder ganz streichen. Das ergab eine Umfrage unter den Mitgliedsu­nternehmen des Verbandes. Demnach setzen 74 Prozent der Firmen ihre Investitio­nen aus, oder verschiebe­n sie auf unbestimmt­e Zeit. Zudem rechnen mehr als 40 Prozent der Befragten mit personelle­n Auswirkung­en auf ihr Unternehme­n.

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Foto: Matthias Becker Corona und die Folgen: Vielerorts sind die Müllmengen gestiegen, Tonnen quellen über.

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