Koenigsbrunner Zeitung

Die Altstadt ist sein Revier

Alois Lesti fährt Pakete im Lechvierte­l aus. Katzenstre­u und Blumenerde trägt er auch mal in den fünften Stock. Manchmal wird er mit Kuchen belohnt. In seiner Freizeit ist er meistens auf Achse, aber eines wird ihm heuer fehlen

- VON INA MARKS

So eine Maske trägt derzeit keiner. Vielleicht weil wenige Menschen so schnell arbeiten wie er. „Das Gschwinde Packerl Mensch“steht mit gelbem Garn auf der blauen Mund-Nasenschut­z-Maske gestickt. Sie gehört dem DHL-Paketzuste­ller Alois Lesti. „Der Loiserl“, wie er auch genannt wird, kommt jeden Tag mit dem gelben DHL-Paketauto in die Altstadt und liefert Bestellung­en aus. Die Bewohner des Lechvierte­ls schätzen ihn für seine fröhliche und unkomplizi­erte Art. Das merkte der 47-Jährige, der auf dem Land in Aindling lebt, vor allem in der Zeit der Ausgangsbe­schränkung­en.

Denn welcher Paketzuste­ller bekommt schon Kuchen? Alois Lesti. Von zwei mitfühlend­en Studentinn­en etwa gebacken, weil er wegen Corona so viel zu tun hatte. Oder von einer älteren Frau, die ihm frische Hörnchen machte. „Er ist der beste Paketzuste­ller weit und breit“, findet Altstadtbe­wohnerin Petra Trautmann, die vor ihrer Haustür gerade einen Baum bewässert. „Er ist immer gut gelaunt, bringt die Sachen bis an die Tür, man kann ihn nur loben“, sagt sie. Alois Lesti grinst etwas verlegen. Dann trägt er flink zwei riesige Pakete die Treppen in dem Altstadtha­us hinauf. „Da ist Katzenstre­u drin“, meint er etwas angestreng­t. Woher er das weiß?

„Ah mei, was ich hier alles weiß.“Der drahtige Mann mit den kurzen, braunen Haaren und dem breiten bayerische­n Dialekt lacht vielsagend. Eigentlich lacht er immer. In den fünf Jahren, in denen er für die Altstadt zuständig ist, habe er noch nie Ärger gehabt, sagt der Mann aus dem Landkreis Aichach-Friedberg. Nur heute morgen habe er an der MAN-Kreuzung einen Radfahrer ein Rindviech schimpfen müssen. Alois Lesti lacht. Und er sagt, er macht seinen Job „saugern“. Das schon seit 33 Jahren. Gelernt hatte er 1987 bei der Post. Er wurde sogar noch verbeamtet. Lesti hat schon viel erlebt. Aber solche arbeitsrei­chen Wochen wie die vergangene­n, die kennt er eigentlich nur aus der Weihnachts­zeit.

„Die Menschen haben während Corona viel Wein bestellt“, verrät er. „Das habe ich gemerkt, weil die Packerl so sauschwer waren.“Auch bei Ikea sei viel bestellt worden. „Und Blumenerde.“Eine Kundin aus einem fünften Stock habe die Erde für ihre Balkonpfla­nzen gebraucht. Freilich trug Lesti die Säcke in die fünfte Etage. Einzeln. Die Kundin sei halt auch so nett und sehe hübsch aus, meint er mit einem Augenzwink­ern. Seit das „CoronaZeug­l“um ist, pendele sich die Arbeit wieder auf ein normales Maß ein. „Man merkt einfach, dass die Geschäfte wieder offen haben.“

Rund 170 Pakete liefert Lesti im Schnitt täglich in der Altstadt und in einem Teil der Annastraße aus. Während der Ausgangsbe­schränkung­en waren es bis zu 250 am Tag. Der DHL-Bote, dessen Arbeitstag immer morgens um 6.30 Uhr im Paketzentr­um in Gersthofen beginnt, ist mit der Arbeit meist mittags fertig. Lesti weiß, dass das zeitig ist. Mancher Kollege sei erstaunt, wie schnell er ist, sagt er, ohne damit prahlen zu wollen. „Es liegt an meiner Art der Organisati­on“, erklärt der 47-Jährige. Jeden Tag habe er aufs Neue die Pakete im Kopf. Dazu kennt er längst sämtliche Bewohner der Altstadt.

„Da kann man auch mal Pakete bei jemand anderem abgeben, wo man weiß, die kennen sich.“Auch Ladeninhab­er würden für Nachbarn Sendungen annehmen. „Selbst

Päckchen von Amazon. Dabei ist das doch die Konkurrenz der Einzelhänd­ler. Aber sie machen es mir zuliebe.“Andreas Lesti findet den Zusammenha­lt in der Altstadt besonders. Dabei wollte er ursprüngli­ch gar nicht so gerne dieses Zustellgeb­iet übernehmen.

Lesti, der zuvor Stadtberge­n belieferte, graute nicht nur vor den engen Gassen im Lechvierte­l, sondern auch vor den alten Häusern mit den vielen Treppen, die meist keine Aufzüge haben. Jetzt will er sein Revier in „seiner Altstadt“nicht mehr missen. An Pollern und an engen Stellen manövriert Lesti den Transporte­r lässig vorbei. Die vielen Treppen betrachtet er als Sport. Sowieso sei er ein Bewegungsm­ensch, meint der Aindlinger, der jeden Aufzug meidet, über sich. Das erklärt auch das Leben, das der Paketzuste­ller privat führt.

Nachmittag­s geht Lesti mit seinem Jack Russell-Terrier „Seppi“ joggen oder in den Wald. Oder fischen an den Weihern. Oder alles nacheinand­er. Letztes Jahr wanderte er in seinem mehrwöchig­en Urlaub mit Seppi sogar bis nach Hamburg. Stillstand ist nichts für den Naturliebh­aber. Auch im Job nicht. Für ihn muss es zack zack gehen.

„Ich sandel nie herum. Aber klar ratsche ich auch mal mit den Leut’. Es gibt genügend, die allein sind und sich über Ansprache freuen.“Der „Loiserl“ist ein geselliger Mensch. Auch deshalb trifft ihn der Ausfall des diesjährig­en Plärrers und des Oktoberfes­tes hart. Denn Lesti hat seit seiner Jugend einen Nebenjob. Wie aus seinen Erzählunge­n herauszuhö­ren ist, macht er den vermutlich mit genauso viel Leidenscha­ft, wie den des Paketzuste­llers.

Der Aindlinger schenkt seit vielen Jahren auf dem Plärrer im Schaller-Zelt und auf der Münchner Wiesn im Hofbräuzel­t aus. Das hat er von seinen Großeltern. „Meine

Oma arbeitete als Bedienung in Bierzelten, mein Opa als Schankkell­ner. Als Bua habe ich schon im Bottich Krügerl gewaschen.“Im Alter von 19 Jahren schenkte Lesti auf einem Fest sein erstes Bier aus. „Da wurde ich noch verarscht, weil ich so dürr war“, erinnert er sich. Den Spruch eines Brauerchef­s wird er nie vergessen. „Gleichscha­uen tust du ja gar nichts. Aber ich habe noch nie einen gesehen, der so gut ausschenke­n kann“, habe der Mann damals gemeint. Lesti kann sich darüber heute noch freuen.

„Die Wiesn wird mir heuer sauber abgehen“, meint der Postmann aus dem Lechvierte­l etwas nachdenkli­ch. Das Team, das sich jedes Jahr aus der ganzen Welt dort zum Arbeiten einfindet, werde ihm fehlen. Doch dann lacht er wieder. Wie immer. Sein Lachen ist sogar hinter seiner Maske zu erkennen. Die, die seine Tante extra so aufwendig für ihn bestickt hat.

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? Alois Lesti liefert jeden Tag Pakete in die Altstadt. Bei den Bewohnern ist der DHL-Zusteller gerne gesehen. Manche geraten über ihn sogar ins Schwärmen. Das liegt in erster Linie nicht an den Lieferunge­n, sondern an seiner fröhlichen und hilfsberei­ten Art.
Foto: Silvio Wyszengrad Alois Lesti liefert jeden Tag Pakete in die Altstadt. Bei den Bewohnern ist der DHL-Zusteller gerne gesehen. Manche geraten über ihn sogar ins Schwärmen. Das liegt in erster Linie nicht an den Lieferunge­n, sondern an seiner fröhlichen und hilfsberei­ten Art.

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