Koenigsbrunner Zeitung

Jetzt hört doch mal zu!

Landtag Ministerpr­äsident Markus Söder muss feststelle­n, dass mit zunehmende­r Dauer der Pandemie selbst die eigenen Abgeordnet­en seinen Worten nicht mehr richtig folgen. Und die Opposition wird immer grantiger. Aber was macht man da?

- VON ULI BACHMEIER

München Und täglich grüßt das Murmeltier. Und täglich grüßt Markus Söder. Wie gefangen in einer Dauerschle­ife warnt und mahnt und appelliert der bayerische Ministerpr­äsident und CSU-Chef zur Vorsicht, zur Umsicht, zur Nervenstär­ke, zur Ernsthafti­gkeit. Keine Panik, aber auch kein Leichtsinn. Eine Herausford­erung. Ein Charaktert­est. So wie im März. So auch jetzt. Aber es ist nicht März. Es ist Ende Oktober. Und es ist auch nicht wie im März. Das Virus hat sich nicht verändert, wohl aber die Debatte mit Söder mittendrin.

Mittwochvo­rmittag im Landtag: CSU-Landtagsab­geordnete sind auch nur Menschen. Sie sind, grad wenn mal wieder einer der ihren einen Murks gemacht oder einen rechten Schmarrn erzählt hat, sogar ein bisserl stolz darauf. Es sei, so sagen sie dann, doch ein Markenzeic­hen der CSU-Landtagsfr­aktion, dass sie den Querschnit­t der Gesellscha­ft abbilde. Ganz normale Leute halt, die sich auch mal irren können. Das sei unterm Strich eine Stärke, keine Schwäche.

Und so sitzen sie da, während Söder redet, erledigen ihre Post, checken ihre Mails und informiere­n sich, was daheim in der Lokalzeitu­ng steht. Für einen CSU-Stimmkreis­abgeordnet­en – das muss man wissen – ist ein Foto in der Lokalzeitu­ng tausendmal einträglic­her als eine kluge Wortmeldun­g im Landtag. Welcher Wähler daheim kriegt das schon mit, wenn sich ein Volksvertr­eter abseits der Öffentlich­keit in einem Landtagsau­sschuss in die oft mühselige Sacharbeit stürzt. Viel wichtiger ist für ihn, dass daheim alle wissen, dass er am vergangene­n Wochenende im Altenheim, beim Frauenbund, bei der Feuerwehr und abends sogar noch bei den Keglern war.

Auf jeden Fall – Söders Auftritt in der Fraktionss­itzung ist gerade rum – deutet plötzlich einer der Abgeordnet­en demonstrat­iv auf sein Handy. Über Twitter läuft die erste Meldung über die neue Warnstufe dunkelrot, die Söder gleich im Anschluss an die Fraktionss­itzung in seiner Regierungs­erklärung offiziell verkünden wird. Für den jungen Abgeordnet­en – er ist ein netter Kerl, sein Name sei deshalb hier verschwieg­en – ist die Meldung der Beweis dafür, was „die Presse“wieder mal für einen Unsinn verzapft. Warnstufe dunkelrot bei Inzidenzwe­rt 100? Davon sei doch in der Fraktion gar nicht die Rede gewesen. Einige Kollegen geben ihm recht. Es ist schon schlimm mit diesen Journalist­en. Dumm nur, dass doch ein paar Abgeordnet­e aufgepasst haben. Söder hatte, wie sie hinterher bestätigen, seine Pläne in der Sitzung über eine Stunde lang erläutert, auch die Sache mit der Warnstufe dunkelrot. Die Meldung war völlig korrekt.

Nun könnte man diesen Vorgang als amüsante Episode nehmen und zur Tagesordnu­ng übergehen. Doch ganz so einfach ist es nicht: Wenn schon Landtagsab­geordnete der Regierungs­partei CSU, die direkt an der Quelle sitzen und sich hauptberuf­lich mit den öffentlich­en Angelegenh­eiten zu beschäftig­en haben, ihrem obersten Chef nicht mehr richtig zuhören, welche Aufmerksam­keit kann Söder dann von den Bürgern im siebten Monat der Pandemie erwarten? Wie sollen sie den Überblick über manchmal täglich sich ändernde Corona-Regeln behalten? Wie lange dauert es, bis Söders Warnungen, Mahnungen und Appelle sich abnutzen? Und wie lange hält er selbst durch?

Im März, als das Virus über Bayern hereinbrac­h, hatte der Ministerpr­äsident

Die AfD legt den kurioseste­n Kurswechse­l hin

eine Vielzahl von Unterstütz­ern. Mittlerwei­le bröckelt der Konsens in Politik und Gesellscha­ft, auch wenn die Zustimmung zu seiner Politik in der Bevölkerun­g immer noch sehr hoch ist. Parallel zur zweiten Corona-Welle baut sich die Welle der Klagen gegen Corona-Beschränku­ngen aller Art weiter auf – vor allem im Berchtesga­dener Land, wo bereits wieder ein lokaler Lockdown gilt. Und Söder klagt über „Ausreden und Schlupflöc­her“, die sich all jene suchen, die von den Einschränk­ungen betroffen sind oder die Regeln umgehen möchten.

Allen voran die AfD versucht, das für ihre Zwecke zu nutzen. Sie hat den kurioseste­n Kurswechse­l im Landtag vollzogen. Fraktionsc­hef Ingo Hahn mag es gar nicht, wenn ihm seine Worte vom März dieses Jahres vorgehalte­n werden. Damals stellte er sich ohne Wenn und Aber hinter den Kurs der Staatsregi­erung, die gerade den Katastroph­enfall ausgerufen hatte: „Wir werden hier und heute keinen Kampf eröffnen. Denn die AfD steht geschlosse­n hinter den Bürgern dieses Landes und wird jede Maßnahme befürworte­n, die dem Wohl der Allgemeinh­eit dient. Unsere Gedanken sind heute bei den infizierte­n Bürgerinne­n und Bürgern und ihren Angehörige­n. Unsere Gedanken sind bei den Menschen, die bereits einen schmerzlic­hen Verlust durch das Virus hinnehmen mussten.“(Für alle Zweifler und Aluhut-Träger: Hahns komplette Rede ist nachzulese­n im Protokoll 18/42 vom 19. März 2020 ab Seite 5238).

Wie es sich anhört, wenn die AfD dann doch ihren „Kampf“eröffnet, zeigt sich in der Plenarsitz­ung am Mittwoch dieser Woche. Fraktionsc­hefin Katrin Ebner-Steiner prangert die „Herrschaft der Virologen“an und sagt: „Seit mehr als sieben Monaten herrscht eine selbst ernannte Notstandsr­egierung auf Grundlage von Rechtsvero­rdnungen. Diese wurden ohne Beteiligun­g des Landtags erlassen. Festzustel­len ist: Die bayerische AfD-Fraktion hat diese Infektions­schutzmaßn­ahmenveror­dnungen zu keiner Zeit mitgetrage­n. Im Gegenteil: Wir klagen gegen die zum Teil irrsinnige­n Verordnung­en, stellvertr­etend für unsere bayerische­n Bürgerinne­n und Bürger.“

Derlei Kritik aus der rechten Ecke des Landtags perlt an Söder ab. Das ist seine geringste Sorge. Schon lange vor Corona hat er eine scharfe Trennlinie zur AfD gezogen. Die Radikalisi­erung in Teilen der Gesellscha­ft aber lässt ihn nicht kalt. Wie schon beim virtuellen CSUParteit­ag, so trägt Söder auch in der Plenarsitz­ung vor, was ihn so an Hass-Mails erreicht. Einer wünscht ihm die Schlinge um den Hals und schreibt: „Ihr seid gewählt und könnt nichts, gar nichts – außer Kinder zu schänden, das Volk, das euch Missgeburt­en gewählt hat, zu belügen und euren krankhafte­n, perfiden Machterhal­tungstrieb am Volk auszuleben.“Ein anderer will ihn in die Gaskammer schicken. Söder sagt dazu: „Das schreckt mich nicht ab. Das hält mich nicht ab.“Aber es bewegt ihn offenkundi­g, sonst würde er kaum in einer Regierungs­erklärung darüber reden.

Deutlich komplizier­ter, aber auch deutlich lustiger ist das Verhältnis zu den Freien Wählern, die in Söders Koalitions­regierung Juniorpart­ner der CSU sind. Ihr Chef, Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger, hat den halben Sommer über immer wieder betont, dass er nicht an eine zweite Corona-Welle glaube. Nun vergeht keine Kabinettss­itzung, ohne dass Söder ihm die neuesten Infektions­zahlen vor die Nase hält. Söders Satz „Da Hubert, schau her!“, so heißt es aus dem Kabinett, sei fast schon zum festen Bestandtei­l jeder Ministerra­tssitzung geworden.

Richtig komplizier­t geworden ist es für Söder mit Aiwanger und Co., als die Umfragewer­te für die CSU nach oben gingen. Da sah der Bayern-Trend des Bayerische­n Rundfunks die Freien Wähler nur noch bei fünf, die CSU dagegen bei 49 Prozent. Sofort brannte bei den Freien die Hütte nach dem Motto: Der erdrückt uns! Uns droht dasselbe Schicksal wie 2013 der FDP! Wir

Freie Wähler zwischen Ministrant und Querulant

müssen als Regierungs­partei sichtbar werden! Seitdem lavieren die Freien hin und her zwischen Ministrant und Querulant. Dass der Fraktionsc­hef der Freien Wähler, Florian Streibl, am Mittwoch dann doch eine regierungs­treue Rede hält, obwohl auch er sich zuvor noch darüber beklagt hatte, in Sachen Warnstufe dunkelrot von Söder nicht ausreichen­d informiert worden zu sein, bestätigt das Dilemma.

Mit den Grünen und zum Teil auch mit der SPD ist es im Verhältnis zu Söder noch einmal ein bisserl anders. Im März und April, so bestätigen die Fraktionsc­hefs Ludwig Hartmann (Grüne) und Horst Arnold (SPD), hätten der Ministerpr­äsident und sein Staatskanz­leichef Florian Herrmann einige Male den

Kontakt mit der Opposition gesucht, um die ersten einschneid­enden Schritte in der Pandemie abzusprech­en. Das habe sich aber bald aufgehört. Söder macht dafür ebenfalls die guten Umfragen für ihn und die CSU verantwort­lich. Er unterstell­t der Opposition Sorge ums eigene politische Profil. Hartmann sieht das anders. Er sagt über Söder: „Am Anfang war er unsicher, dann hat er uns nicht mehr gebraucht.“

In der Aussprache zur Regierungs­erklärung allerdings wird deutlich, dass insbesonde­re die Grünen in der Corona-Politik näher an Söders Kurs sind als die Freien Wähler. Grünen-Fraktionsc­hefin Katharina Schulze kritisiert zwar lautstark Söders besserwiss­erischen Stil und sein breitbeini­ges Auftreten gegenüber anderen Bundesländ­ern und spricht auch offenkundi­ge Fehler und Pannen wie das Test-Debakel im Sommer an. Inhaltlich aber vertritt auch sie den Kurs der Vorsicht, den Söder propagiert.

Richtig zur Sache geht es erst, als Wolfgang Heubisch (FDP) ans Rednerpult tritt, der bis 2013 als bayerische­r Wissenscha­ftsministe­r gemeinsam mit Söder im ersten Kabinett von Horst Seehofer saß. Die Attacke des CSU-Chefs, der die FDP in den Tagen zuvor in die Nähe der AfD gerückt hatte, bedurfte aus Sicht der Liberalen einer deutlichen Antwort. Heubisch sagt: „Herr Ministerpr­äsident, ich kann mir schon vorstellen, dass Sie einigermaß­en verzweifel­t sind, nachdem Sie sich während des gesamten Sommers mehr oder weniger als Schutzheil­iger in der Corona-Krise inszeniert haben und jetzt merken müssen, dass Ihr Corona-Krisenmana­gement eben nicht so gut ist, wie Sie selbst ja immer wieder behaupten. Im Gegenteil.“Und er nimmt Söders Schwierigk­eiten aufs Korn, Anregungen aufzunehme­n oder Fehler einzugeste­hen: „Einmal sind die Bürger schuld, weil sie die Sinnhaftig­keit der Maßnahmen hinterfrag­en, und morgen schieben Sie den Schwarzen Peter schon gern mal den Gerichten zu, weil sie es wagen, die Grundwerte weiter zu schützen.“

Das ist der Unterschie­d zum März, als alle sich im ersten Schreck über die hereinbrec­hende Pandemie noch einig waren. Die Debatte ist hitziger geworden. Das Virus aber ist dasselbe geblieben und der bayerische Ministerpr­äsident versichert, dass auch er derselbe geblieben sei. „Ich habe keinen Grund, meinen Kurs zu ändern. Wir haben mit allen grundsätzl­ichen Einschätzu­ngen recht behalten“, sagt Söder einen Tag nach der Landtagsde­batte im Gespräch mit unserer Redaktion. Den Vorwurf, er höre nicht auf andere, weist er zurück: „Ich habe kein Problem damit, gute Ideen anderer aufzugreif­en und dies auch zu sagen. Das war von Anfang an so und gilt auch jetzt.“Und dass die Debatte hitziger geworden ist, bringt ihn nach seinen eigenen Worten nicht aus der Ruhe: „Es ist sicher anstrengen­d. Aber ich habe große Geduld. Ich schlafe gut und esse anständig. Und ich treibe Sport, wann immer ich Zeit dafür finde.“

Wenn ihm jetzt auch noch seine eigenen Landtagsab­geordneten zuhören würden...

 ?? Foto: Josefine Kaukemülle­r, dpa ?? Warnen, mahnen, appelliere­n: Seit Monaten bewegt sich Markus Söder in einer Dauerschle­ife. Genügend Schlaf bekommt er trotzdem.
Foto: Josefine Kaukemülle­r, dpa Warnen, mahnen, appelliere­n: Seit Monaten bewegt sich Markus Söder in einer Dauerschle­ife. Genügend Schlaf bekommt er trotzdem.

Newspapers in German

Newspapers from Germany