Koenigsbrunner Zeitung

„Gleichstel­lung ist demokratis­che Pflicht“

Politikeri­nnen reagieren bestürzt auf das Urteil aus Brandenbur­g gegen das Paritätsge­setz. Aber das sei noch lange nicht das Ende im Kampf der Gleichbere­chtigung in den Parlamente­n: Kommt jetzt eine Verfassung­sänderung?

- VON VERA KRAFT

Potsdam/Augsburg „Dieses Urteil stellt die Parteienge­setze über die im Grundgeset­z verankerte Pflicht, Gleichbere­chtigung zu fördern.“Mit diesen Worten kritisiert die frühere Präsidenti­n des Deutschen Bundestage­s Rita Süssmuth (CDU) gegenüber unserer Redaktion die Aufhebung des Paritätsge­setzes in Brandenbur­g und verlangt eine umgekehrte Rangfolge: Gleichbere­chtigung vor Parteienge­setz. Süssmuth kämpft seit Jahren für mehr Teilhabe von Frauen in Parlamente­n.

Vor vier Monaten war in Brandenbur­g das Paritätsge­setz in Kraft getreten – jetzt hat es das Verfassung­sgericht des Landes für nichtig erklärt. Das Gesetz verpflicht­ete die Parteien, ihre Kandidaten­listen bei Landtagswa­hlen mit abwechseln­d gleich vielen Frauen und Männern zu besetzen. Zuvor hatten schon die Verfassung­srichter in Thüringen die dortige Regelung gekippt.

Politikeri­nnen verschiede­ner

Parteien reagierten am Freitag enttäuscht bis bestürzt auf das Urteil, das als Rückschlag für entspreche­nde Bestrebung­en in anderen Bundesländ­ern und auf Bundeseben­e gewertet wird.

Maria Noichl, Bundesvors­itzende der Arbeitsgem­einschaft Sozialdemo­kratischer Frauen (SPD) erklärte auf Anfrage unserer Redaktion: „Von einer gleichbere­chtigten Teilhabe von Frauen und Männern in den Parlamente­n sind wir hier in Deutschlan­d immer noch weit entfernt.“Sie sei überzeugt, dass sowohl das Gleichstel­lungsgebot im Grundgeset­z als auch die Anforderun­gen der Frauenrech­tskonventi­on Paritätsge­setze geradezu erfordern.

Die Verfassung­srichter in Potsdam hatten hingegen verkündet: Das Gesetz beschränke die Freiheiten der Parteien bei der Aufstellun­g von Kandidaten und damit die Teilnahme an Wahlen. Die Argumentat­ion der Richter in Thüringen wenige Monate zuvor war ähnlich: Das Paritätsge­setz beeinträch­tige das

Recht auf Freiheit und Gleichheit der Wahl sowie das Recht der politische­n Parteien auf Programmfr­eiheit und Chancengle­ichheit. Das Gericht gab damit zwei Klagen der NPD und der AfD recht, die durch das Gesetz die Freiheit der Wahl und die Organisati­onsfreihei­t der Parteien gravierend beeinträch­tigt sehen. Auch hatten vier AfD-Landtagsab­geordnete Verfassung­sbeschwerd­en eingelegt.

Brandenbur­g war das erste Bundesland,

das ein solches Paritätsge­setz zur Besetzung der Kandidaten­listen von Parteien bei künftigen Landtagswa­hlen verabschie­det hatte. Der Landtag stimmte im vergangene­n Jahr mehrheitli­ch für das Gesetz, seit 30. Juni dieses Jahres ist es in Kraft. Brandenbur­gs Landtagspr­äsidentin Ulrike Liedtke hatte die Regelung bei der mündlichen Verhandlun­g des Gerichts im August verteidigt: Wenn die Hälfte der Bevölkerun­g Frauen seien, sei die gleichbere­chtigte Repräsenta­nz von Frauen ein demokratis­ches Gebot.

Das sieht auch Ulrike Scharf (CSU) so. Die Landesvors­itzende der bayerische­n Frauen-Union sagt auf Anfrage: „Unser großes Ziel ist eine gleichbere­chtigte Teilhabe von Frauen und Männern in der Politik. Frauen müssen alle Politikinh­alte mitbestimm­en und inhaltlich prägen.“Es sei ihr wichtig, dass Paritätsge­setze rechtskonf­orm umgesetzt werden.

Dafür setzen sich nicht nur viele Bundesländ­er ein – auf Bundeseben­e

kämpfen zum Beispiel CDU-Politikeri­n Süssmuth und die Vorsitzend­e der Grünen-Bundestags­fraktion Katrin Göring-Eckardt ebenfalls dafür. Der Frauenante­il im Bundestag war bei der Wahl 2017 von zuvor 37,3 Prozent auf 31,2 Prozent gesunken. Im Brandenbur­ger Landtag liegt der Anteil weiblicher Abgeordnet­er bei rund einem Drittel.

Die bayerische Grünen-Fraktionsc­hefin Katharina Schulze fordert nun eine Verfassung­sänderung, um die Paritätsge­setze möglich zu machen. Es müsse genau analysiert werden, an welchen Hebeln man drehen könne, sagt Schulze. „Freiwillig­keit reicht nicht mehr, es bedarf endlich einer rechtssich­eren Regelung.“Denn wie CDU-Politikeri­n Süssmuth sagt, gehe es hier um die Verpflicht­ungen der Demokratie gegenüber den Geschlecht­ern. Sie fordert, das nun das Bundesverf­assungsger­icht klären müsse, ob Deutschlan­d hier eine Verfassung­sreform braucht.

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Foto: dpa Im August hatten Frauen in Potsdam für die Parität bei der Aufstellun­g von Kan‰ didatenlis­ten geworben.

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