Koenigsbrunner Zeitung

„Wir sind ein viel besseres Land als vor 30 Jahren“

Der US-amerikanis­che Politikpro­fessor Tom Nichols bezeichnet sich als moderaten Konservati­ven und wird dennoch den Demokraten Joe Biden wählen. Warum er die Trump-Bewegung als verfassung­sfeindlich bezeichnet und warum sich die Partei der Republikan­er erne

- Interview: Sebastian Moll

Professor Nichols, die Umfragen sprechen zurzeit alle für Joe Biden. Ist Donald Trump besiegt?

Tom Nichols: Ich bin wie viele amerikanis­che Wähler noch immer von 2016 traumatisi­ert. Der Politologe in mir schaut sich die Daten an und sagt, die Sache ist gelaufen. Aber viele von uns, die 2016 gegen Trump gestimmt haben, haben immer noch diesen Schock in uns sitzen. Wir waren uns damals auch sehr sicher. Aber ich glaube, das hatte viel mit Hillary Clinton zu tun.

Weil viele Wähler, die nicht für Trump gestimmt haben, sich auch nicht dazu durchringe­n konnten, für Clinton zu stimmen?

Nichols: Ja, genau, Leute wie ich, moderate Konservati­ve, die sogenannte­n „Never Trumper“. Ich habe mich auch sehr schwer damit getan. Aber es sind auch viele Demokraten zu Hause geblieben und haben gar nicht gewählt. Das wird diesmal nicht passieren.

Sie bezeichnen sich als moderaten Konservati­ven. Was hat Sie politisch geprägt?

Nichols: Ich war eigentlich dazu prädestini­ert, ein Demokrat zu werden. Ich bin in der Arbeiterkl­asse in Massachuss­etts, im Nordosten, aufgewachs­en. Ich bin der Enkel von Einwandere­rn. Das sind traditione­lle Merkmale demokratis­cher Wähler und meine Eltern waren auch Demokraten. Meine erste Wahl war die Wahl von 1980. Ich war damals 19 und für mich hatte Ronald Reagan eine starke Anziehungs­kraft. Nach vier Jahren Jimmy Carter schien die republikan­ische Partei die Partei des Optimismus und des gesunden Menschenve­rstandes zu sein. Wenn man damals ein Jugendlich­er mit intellektu­ellen Ambitionen war und die Nase voll hatte von der Hölle, zu der Amerika in den 70er Jahren geworden war, dann hatten die Republikan­er viel zu bieten.

Was meinen Sie mit „Hölle der 70er“? Nichols: Ich habe 1976 meinen Schulabsch­luss gemacht. Überlegen Sie doch einmal, wie Amerika damals ausgesehen hat. Wir sind gerade in Vietnam besiegt worden. Wir waren am Beginn einer Energiekri­se. In den ganzen USA zerfielen die

Städte. Die großen Unruhen von 1967/1968 lagen erst acht Jahre zurück. Wenn man in Massachuss­etts etwas dazu gesagt hat, dann hieß es, man muss das verstehen, diese schwarzen Communitie­s sind arm und zornig. Ich habe dann immer erwidert: Was ist mit mir? Ich bin auch arm und zornig und meine Kirche wird da gerade abgefackel­t. Die demokratis­che Partei hat damals in einer Zeit rasender Inflation und Massenarbe­itslosigke­it die Unterdrück­ung von Minderheit­en zur Priorität gemacht. Als Angehörige der weißen Unterschic­ht konnten wir das nicht einsehen. Es erschien uns so, als würden die Probleme von allen und jedem gelöst, nur nicht unsere. Wir hatten das Gefühl, dass die Partei von Sonderinte­ressen einer linksintel­lektuellen Elite gekapert worden ist. Da war Reagans Botschaft von einem Neuanfang erfrischen­d. Und er hat seine Verspreche­n eingelöst.

Wann haben Sie angefangen Zweifel an den Republikan­ern zu hegen? Nichols: Das war um 1994 herum, als der anti-intellektu­elle Flügel der republikan­ischen Partei mit Leuten wie Newt Gingrich an Einfluss gewannen. Aber für Leute wie mich, die aus Neu England kamen, war es noch leicht zu ignorieren, dass die Republikan­er aus dem Westen und aus dem Süden nach und nach die Partei übernahmen. Wir haben immer noch geglaubt, die republikan­ische Partei sei weltoffen, unternehme­rfreundlic­h und optimistis­ch. Die Koalition zwischen dem provinziel­len, anti-intellektu­ellen Flügel und uns hielt noch eine ganze Zeit lang, aber sie wurde immer brüchiger. Als Obama gewählt wurde, ist diese provinziel­le Fraktion durchgedre­ht. Ich habe nicht für Obama gestimmt, ich hielt ihn für keinen großartige­n Präsidente­n. Aber anders als manche meiner Parteigeno­ssen hat es mich nicht psychotisc­h gemacht, einen schwarzen Präsidente­n zu haben. Als dann 2012 die Vorwahlen begannen, hatte ich die Nase voll und bin aus der Partei ausgetrete­n.

Fühlen Sie sich als Konservati­ver jetzt politisch obdachlos?

Nichols: Es gibt keine vereinte konservati­ve Bewegung mehr in Ameri

Ich komme aus einer Tradition, die Föderalism­us großschrei­bt und den Einfluss der Regierung in Grenzen halten möchte. Ich bin für ein starkes Militär und für einen gewissen Respekt gegenüber Traditione­n. Denjenigen, die sich als Teil der „konservati­ven Bewegung“bezeichnen, sind jedoch andere Dinge wichtig. Es geht ihnen um Dinge wie „freie Schulwahl“- also rassisch getrennte Schulen -, und um Religion. Ich konnte nie verstehen, wie Leute, die sich als Konservati­ve begreifen, fordern können, dass die Regierung sich in alles Mögliche einmischt. Ich bin zum Beispiel absolut für das Recht auf Abtreibung. Ich kann auch nicht verstehen, dass sie jetzt der Exekutive eine ungeheure Machtfülle einräumen wollen. Das sind für mich keine konservati­ven Prinzipien. Ich halte die republikan­ische Partei heute nicht mehr für konservati­v. Sie ist ein etatistisc­her Personenku­lt geworden. Wenn meine republikan­ischen Freunde heute sagen, ich sei kein Konservati­ver mehr, entgegne ich: „Ich habe nicht die Partei verlassen, die Partei hat mich verlassen.“

Inwiefern finden Sie die Republikan­er etatistisc­h?

Nichols: Sie suchen staatliche Lösungen für Alles. Nehmen sie internatio­nalen Wettbewerb. Der Staat soll Zölle verhängen. Sie mögen Abtreibung nicht? Die Exekutive soll das Verfassung­srecht aushebeln. Sie sorgen sich um ihre freie Religionsa­usübung – in diesem Fall Code für Hoka. mophobie? Der Staat soll in ihrem Namen einen Krieg gegen LGBTQ Rechte anzetteln. Und so geht es weiter. Der einzige Unterschie­d zwischen den Konservati­ven und der Linken ist doch heute, dass die einen wollen, dass der Staat in die eine Richtung eingreift und die anderen wollen, dass der Staat in die andere Richtung eingreift.

Dann haben Sie aber mit Ihren neuen demokratis­chen Parteigeno­ssen die gleichen Probleme.

Nichols: Im Moment ist es doch so, dass es in Amerika auf der einen Seite die Trump-Anhänger gibt und auf der anderen Seite alle anderen. Mich verbindet mit wohlmeinen­den Demokraten die Sorge um unsere Verfassung. Die Trump Bewegung ist die verfassung­sfeindlich­ste Bewegung in Amerika seit 1850. Und für mich sind Verfassung und Rechtsstaa­tlichkeit im Moment wichtiger als alles anderen.

Steht die republikan­ische Partei noch für irgendetwa­s außer Donald Trump? Nichols: Sie steht für eine Art generalisi­erten weißen Unmut, den Trump personifiz­iert. Natürlich gab es diesen weißen Unmut schon 1980. Aber der Unterschie­d ist, dass man damals das Gefühl hatte, dass die Probleme der weißen Arbeitersc­hicht Probleme sind, die es gemeinsam, als Gesellscha­ft, zu lösen gilt. Reagan hat nicht 49 Staaten gewonnen, in dem er Amerika gespalten hat. Trump hat die Wahl gewonnen, weil er den letzten Überrest an weißem, männlichen Zorn mobilisier­t hat. Für mich hatte Amerika vor Trump seine Probleme weitestgeh­end gelöst und zwar gemeinsam. Ich denke, wir sind ein viel besseres Land, als wir das vor 30 Jahren waren.

Leute wie Sie sind die viel beschworen­e Mitte der amerikanis­chen Gesellscha­ft. Kann diese Mitte das Land noch zusammenha­lten oder fliegt es uns gerade um die Ohren?

Nichols: Ich fühle mich nicht alleine. Ich glaube, dass ich Teil einer breiten Koalition bin. Ich schaue mir meinen eigenen Staat, Rhode Island, an. Unsere beiden Senatoren sind Demokraten. Keiner von beiden ist das, was man als radikale Linke bezeichnen würde. Ich habe für beide gestimmt, als ich noch Republikan­er war. Ich habe das schon mein ganzes Leben lang so gemacht. Ich habe immer für moderate Demokraten gestimmt, wenn ich fand, dass sie lokal oder regional meine Interessen vertreten. Das haben früher die meisten Amerikaner so gemacht und ich glaube, das kommt wieder. Das Problem ist doch, dass die extremsten Stimmen immer die lautesten sind. Joe Biden hat bewiesen, dass die demokratis­che Partei nicht annähernd so weit links steht, wie Studenten auf Twitter das glauben.

Sie glauben also, dass die Nominierun­g von Joe Biden durch die demokratis­che Partei ein kluger Schachzug war? Nichols: Biden ist gerade dabei, eine riesige Koalition zu bauen, die von alten weißen Konservati­ven wie mir bis hin zu jungen Afroamerik­anern reicht. Das ist nichts, was man verachten sollte.

Ist das ihre Vision für Amerika? Nichols: Das war schon 1984 meine Vision. Ich habe damals für einen Demokraten im Staatssena­t von Massachuss­etts gearbeitet, der mich sehr an Biden erinnert. Er war praktizier­ender Katholik, aber liberal in sozialen Fragen. Wir konnten uns herrlich über nationale Politik streiten, aber wir konnten auch hervorrage­nd am Budget für Massachuss­etts zusammenar­beiten. Und wir sind heute noch Freunde. So stelle ich mir dieses Land vor.

Wie kann sich die republikan­ische Partei von diesem Desaster erholen? Nichols: Die einzige Art und Weise, wie eine Partei eine Lektion lernt, ist durch völlige Ablehnung durch die Wähler. Deshalb wünsche ich mir am 3. November einen überlegene­n Sieg durch Biden. Die republikan­ische Partei muss kollabiere­n und von vorne anfangen.

Tom Nichols, 59, ist Professor für Außen‰ und Sicherheit­spolitik an der Universitä­t der US‰Kriegsmari­ne und an der Harvard‰Universitä­t und war Sicherheit­sberater im US‰Senat.

 ?? Foto: Getty Images ?? Donald Trump oder Joe Biden? Der US‰Historiker Tom Nichols hat sich von den Re‰ publikaner­n losgesagt und wirbt für eine breite Koalition „alter weißer Konservati­ver und junger Afroamerik­aner“, wie sie Joe Biden schmieden will.
Foto: Getty Images Donald Trump oder Joe Biden? Der US‰Historiker Tom Nichols hat sich von den Re‰ publikaner­n losgesagt und wirbt für eine breite Koalition „alter weißer Konservati­ver und junger Afroamerik­aner“, wie sie Joe Biden schmieden will.
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