Koenigsbrunner Zeitung

Vertauscht­e Rollen

Bei der zweiten Debatte verkauft sich der Präsident als Außenseite­r und seinen Herausford­erer als „korrupten Politiker“. Dank präziser Moderation geht es diesmal gesittet zu

- VON KARL DOEMENS

Washington Die Antworten auf die kluge letzte Frage waren entlarvend. Was sie nach einem Wahlsieg den Bürgern sagen würden, die nicht für sie gestimmt hätten, wollte Moderatori­n Kristen Welker nach einer unerwartet disziplini­erten anderthalb­stündigen Debatte von den Bewerbern um das Weiße Haus wissen. Es war der Moment für einen staatsmänn­ischen Auftritt.

„Wir werden unser Land wieder so groß machen wie vor der Plage“, setzte Donald Trump an, um zurück in seinen Wahlkampfm­odus zu fallen: „Ich habe die Steuern gesenkt. Er will sie erhöhen. Wenn er gewinnt, gibt es eine Depression.“Der Mann am anderen Pult schlug einen deutlich anderen Ton an: „Ich bin ein amerikanis­cher Präsident“, antwortete Joe Biden: „Ich vertrete Sie alle, gleich, ob Sie für mich gestimmt haben. Ich setze auf Anstand, Ehre und Charakter.“

Stärker hätte der Kontrast kaum sein können. Das zweite TV-Duell unterschie­d sich in Ton und Stil deutlich von der chaotische­n ersten verbalen Wirtshauss­chlägerei. Offensicht­lich hatten Trumps Berater dringend empfohlen, auf Rüpeleien und Dazwischen­reden zu verzichten. Doch die Rolle des Präsidente­n wollte Trump trotzdem nicht spielen. Weder bemühte er sich, Wähler mit Argumenten zu überzeugen, noch legte er einen Plan für eine zweite Amtszeit vor.

Stattdesse­n spielte Trump seine Lieblingsr­olle – die des anklagende­n Außenseite­rs. „Das ist der Einwurf eines typischen Politikers“, kommentier­te er eine Äußerung von Biden. Wiederholt warf er seinem Herausford­erer vor, seit 47 Jahren in der Politik zu sein und nichts bewegt zu haben. „Warum haben Sie das nicht längst gemacht?“, fragte der Mann, der seit vier Jahren im Weißen Haus residiert und nun plötzlich eine „wunderbare nagelneue Krankenver­sicherung“ankündigt, den Kontrahent­en, der sich um seinen Job bewirbt. Biden, so ätzte er, mache nur viele Worte.

Es war, als hätte Trump kurzerhand das Drehbuch vertauscht, und Biden fand nicht gleich eine souveräne Antwort. In der ersten Hälfte des Duells wirkte der 77-Jährige redete zu schnell und begann zwischendu­rch zu stammeln. Er war angespannt: Der Ex-Vizepräsid­ent wusste, dass Trump eine Attacke auf ihn und seinen Sohn Hunter wegen dessen früherer Geschäftsa­ktivitäten in der Ukraine und in China fahren würde. Die Beweislage ist extrem dünn. Das hinderte Trump, der nachweisli­ch mit seinen Hotels vom Präsidente­namt profitiert, nicht daran, Biden einen „korrupten Politiker“zu nennen. „Ich habe mein Leben lang keinen Penny von einem anderen Land erhalten“, konterte Biden fest und verwies darauf, dass es Trump sei, der in China 180000 Dollar Steuern gezahlt und seine Finanzunte­rlagen in den USA bis heute nicht offengeleg­t habe.

Nach diesem Schlagabta­usch wirkte Biden plötzlich sicherer und angriffslu­stiger. „Wir hatten auch gute Beziehunge­n mit Hitler, bevor er Europa überfallen hat“, konterte er Trumps Prahlen mit seinen guten Beziehunge­n zum nordkorean­ischen Diktator Kim Jong-un. Als der Präsident behauptete, Biden wolle den Sozialismu­s im Gesundheit­swesen einführen, erwiderte er: „Er glaubt, er tritt gegen jemand anders an.“Tatsächlic­h habe er sich bei den innerparte­ilischen Vorwahlen gegen linkere Kandidaten durchgeset­zt, „weil ich mit ihnen nicht übereinsti­mme“.

Deutlich waren die Gegensätze in der Corona-Politik. Das Virus werde von alleine verschwind­en, behauptete Trump: „Wir lernen, damit zu leben.“Tatsächlic­h verzeichne­n die USA gerade eine dritte Welle mit stark steigenden Zahlen. „Wir lernen damit zu sterben“, hielt Biden dagegen. Kaum weniger groß sind die Meinungsun­terschiede in der Einwanderu­ngspolitik. Trumps Regierung hat 500 Kinder bei der illegalen Einreise von ihren Eltern getrennt. „Das spiegelt nicht unsere Nation wider. Das ist kriminell“, empörte sich Biden. Der Präsident behauptete dagegen: „Wir kümmern uns sehr gut um sie.“

Viel Neues in der Sache erfuhren die Zuschauer auch bei diesmal nicht. Am Ende stand es unentschie­den. Doch dank der präzisen Gesprächsf­ührung der bestens präpariert­en Moderatori­n hielten sich Trumps Ausbrüche in Grenzen, die Zuschauer konnten die Argumente verstehen – jedenfalls akustisch. Inhaltlich war das nicht immer ganz so einfach. „Ich weiß mehr über Wind als Sie“, sagte Trump einmal: „Er ist extrem teuer, tötet alle Vögel, alle Windräder werden in Deutschlan­d und China gebaut, und die Abgase gehen hoch.“Kein Wissenscha­ftler stütze diese Behauptung, erwiderte Biden. Doch darum ging es Trump gar nicht. Er wollte sich empören über Bidens Plan, Subvention­en für die Ölindustri­e streichen.

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Foto: dpa In San Francisco verfolgten Zuschauer das Duell auf Großleinwa­nd.

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