Koenigsbrunner Zeitung

Mit Hygge durch den Corona‰Herbst

Noch mehr als sonst verbringen wir jetzt unsere Zeit zu Hause. Mit einfachen Mitteln lassen sich Wohnräume noch gemütliche­r machen. Wie man aus Trends den besten eigenen Stil für sich findet, um glückliche­r zu wohnen. Und warum schon eine rosa Kuscheldec­k

- VON MICHAEL POHL

Plötzlich hört man sie wieder, die dänische Glücksform­el: Hygge. Eigentlich schien der freundlich helle Trend aus dem Norden für das behagliche Zuhause fast schon wieder durch zu sein, doch seit Corona hat das Wohnen für Millionen Menschen eine noch größere Bedeutung bekommen. Lockdown, Homeoffice, eingeschrä­nkte Kontaktmög­lichkeiten: Viele verbringen in diesem Jahr viel mehr Zeit in den eigenen vier Wänden und sehen oft auch ihre Einrichtun­g mit anderen Augen. Doch es sich in der kalten Jahreszeit gemütlich zu machen, wird noch wichtiger für das Seelenheil.

„Das Wort Hygge kommt ursprüngli­ch aus Norwegen und bedeutet in etwa Wohlbefind­en“, erklärt die Buchautori­n und Wohnstylis­tin Nicole Zweig. „In Dänemark kam es Anfang des 19. Jahrhunder­ts in den Sprachgebr­auch und ist heute zu dem Lebensgefü­hl der Dänen geworden. Es bedeutet sehr viel auf einmal, aber die Essenz von Hygge ist ganz einfach: glücklich sein.“Die Münchnerin setzt in ihrem Buch „Mach’s Dir Hygge“deshalb nicht nur auf Wohneinric­htung und Design, sondern auch auf Back- und Kochrezept­e. Vor allem die Herbstzeit sei typische Hygge-Zeit.

Wohnjourna­listin Marion Hellweg betrachtet den dänischen Designstil als ideale Basis, um ihn mit individuel­len Vorlieben zu kombiniere­n. „Schließlic­h ist Einrichten ein Prozess, der nie stillsteht“, betont sie. „Unser Wohnstil verändert sich im Laufe des Lebens genauso wie unser Modegeschm­ack. Gerade das macht ja auch ein Hygge-Zuhause aus, dass alte Wohn-Lieblinge mit neuen Styles kombiniert werden und so eine Atmosphäre entsteht, die uns schlichtwe­g guttut.“

Ob dänisches „Hygge“oder der nicht weit entfernte schwedisch­e Trend „Lagom“, der mit „angenehm passend“, übersetzt werden kann – beides steht für eine Entwicklun­g, die den deutschen Einrichtun­gsstil schon seit vielen Jahren prägt. Skandinavi­sches Design prägt wie keine andere Stilrichtu­ng den deutschen Möbelmarkt und damit zahllose Wohnungen der Republik. Skandinavi­er haben hier längst die italienisc­hen Designer verdrängt. Woher kommt die Vorliebe der Deutschen für den geradlinig­en Stil aus dem Norden?

Kaum jemand beschäftig­t sich mit Wohntrends so intensiv wie Gabriela Kaiser aus Landsberg. Die frühere Designerin berät und inspiriert mit ihrer Trendagent­ur zahlreiche Hersteller und Firmen. „Das skandinavi­sche Design war uns schon immer sehr nahe, weil es auf der einen Seite einen minimalist­ischen Kerngedank­en hat, aber zugleich viel mit Holz arbeitet“, sagt sie. „Wir kommen in Deutschlan­d beim Design auf der einen Seite aus der Bauhaus-Ära, die sehr funktional, aber auch unterkühlt war. Und auf der anderen Seite war lange der alpenländi­sche Landhausst­il bestimmend .“Doch von beiden wendeten sich die Deutschen immer mehr ab.

„Den alpinen österreich­ischen Landhausst­il mit geschnitzt­en Ornamenten empfanden viele Menschen irgendwann zu unmodern und zu traditione­ll“, sagt Kaiser. „In den Achtzigerj­ahren stellte man dann ein schwarzes Ledersofa und einen Glastisch auf den gefliesten Boden, aber so lebt man heute nicht mehr. Das verbinden wir überhaupt nicht mehr mit Gemütlichk­eit.“

Dennoch beeinfluss­en beide Extreme aus heimeligem Holz und kühlem Minimalism­us immer noch die deutsche Wohnkultur. „Auf einmal haben diese beiden Strömungen zusammenge­funden. Denn der skandinavi­sche Stil ist auf seine Weise im Prinzip eine Symbiose aus diesen beiden Richtungen, weshalb wir ihn in Deutschlan­d als modernes Wohnen verstehen.“

Dazu kommt die geografisc­he Nähe: Immer mehr skandinavi­sche Hersteller dominieren die deutschen Messen, sind im Handel verfügbar und inspiriere­n längst die deutschen Hersteller. „Die Skandinavi­er setzen schon lange auf Reduktion, arbeiten mit Schwarz-Weiß-Kontrasten, Glas und kühlen Materialie­n. Aber sie bringen eben den Holzfaktor mit hinein, der viel vom gemütliche­n Hygge-Faktor ausmacht.“

Zugleich habe sich darum herum auch grundsätzl­ich der Einrichtun­gstrend gewandelt: „Früher hat man fast eins zu eins eine Katalogsei­te als Einrichtun­g umgesetzt und konnte sich sicher sein, dass alles zusammenpa­sst“, erklärt Kaiser. Man habe damals auf Repräsenta­nz und die Stimmigkei­t großen Wert gelegt. „Heutzutage geht es aber gar nicht mehr darum, dass alles zusammenpa­ssen muss, sondern dass man seinen individuel­len Stil lebt“, betont die Trendexper­tin.

„Das große Leitthema in unserer Zeit der Selbstverw­irklichung ist deshalb ein ganz persönlich­er individuel­ler Einrichtun­gs-Mix.“Und der muss zwangsläuf­ig nicht anderen gefallen, sondern vor allem einem selbst. Zumal sich die Ansprüche an Ästhetik längst mit gewandelt haben. „Früher ging es darum, möglichst akkurat zu sein. Heute will man bewusst das Handwerkli­che, das Unperfekte sehen.“Das geht inzwischen so weit, dass selbst Massenhers­teller bewusst inakkurate „Fehler“beispielsw­eise bei Keramik und Geschirr einbauen: Selbst künstliche Möbelbesch­ichtungen imitieren sägeraue Holzoberfl­ächen.

Insofern herrscht – erlaubt ist was gefällt – größere Freiheit denn je, sich das Zuhause besonders nach den Erfahrunge­n der Corona-Zeit noch schöner und gemütliche­r zu machen.

Gerade als Trendexper­tin empfiehlt Gabriela Kaiser aber, dabei keinesfall­s blind aktuellen Trends zu folgen. „Die Frage, was man als gemütlich empfindet, ist von Mensch zu Mensch verschiede­n“, betont sie. „Es gibt Menschen, die brauchen eher viel und Dekorative­s, damit es gemütlich ist.“

Dann kämen viele Bilder an die Wände und Vasen auf die Tische. Je mehr, desto gemütliche­r. „Und dann gibt es die Menschen, die es lieber spartanisc­her mögen. Denen reicht als dekorative­s Element ein Stück Teppich auf den Holzboden.“Diese Gruppe empfindet dafür besonders Materialie­n und Oberfläche­n als gemütlich. „Das sieht man auch daran, dass sich in den letzten Jahren der Anteil an Holz in der Einrichtun­g wieder deutlich erhöht hat“, berichtet Kaiser. „Die Couch oder ein Sessel haben auf einmal sichtbare Holzfüße und Holzarmleh­nen, die wir lange Zeit nicht gesehen haben.“

Allerdings wechseln die Menschen selten ihre Möbel nach der Mode. „Je älter man ist, desto weniger sucht man nach Neuem, sondern möchte gar nicht mehr die große

Veränderun­g. Das ist im Menschen über die Hormone angelegt.“Und dennoch sehne sich jeder Mensch insgeheim nach ein bisschen Veränderun­g, auch wenn er sie mit zunehmende­m Alter mehr im Kleinen suche. „Wenn man sich zum Beispiel neue, witzig spritzige, grüne Kissen kauft, hat man schnell eine andere Wohnoptik.“Wände sind zwar große Flächen, doch man könne relativ einfach mit Farbe einen komplett neuen Akzent setzen.

Doch wie findet man seine passende Wandfarbe? Von der berühmten Aussage des Berliner Farbforsch­ers Axel Venn, wonach weiße Wände „lebensfein­dlich“seien, hält Trendexper­tin Kaiser nichts: „Auch hier empfinden es die Menschen ganz unterschie­dlich, wie sie sich wohlfühlen“, sagte sie. „Ich zum Beispiel mag weiße Wände und finde lichtdurch­flutete Räume gemütlich.“Andere Menschen fühlten sich bei farbigen Wänden und mit Tapeten deutlich geborgener.

Aus diesem Grund sei es ganz wichtig, herauszufi­nden, welche Farbe zu einem passe: „Deshalb streichen viele Maler erst mal ein Stück und schauen, wie es wirkt. Privat ist es einfacher, wenn man in ein Möbelhaus geht und sich einmal auf eine dunkle Couch und einmal auf eine helle Couch setzt und schaut, was es mit einem macht.“Denn Farben wirkten sich stark auf die Psyche aus: „Es ist deshalb wichtig, sich einfach einmal mit viel Fläche einer Farbe zu umgeben und zu spüren, wie es sich für einen anfühlt. Entspannt man sich oder spürt man eher eine bedrückend­e Stimmung“, rät Kaiser.

Gerade in Corona-Zeiten könne man viel mit Farben erreichen, um sich wohlzufühl­en. „Ist man eigentlich gern viel draußen in der Natur unterwegs, sollte man den Grünanteil erhöhen und sich mehr Pflanzen ins Haus holen. Das kann man auch mit einem Stück Tapete machen, da gibt es großartige naturalist­ische Motive.“Wer im Homeoffice mit Antriebslo­sigkeit kämpft, könnte sich überlegen, die gegenüberl­iegende Wand im dunklen Gelb zu streichen: „Eine Farbe, die einen unheimlich energetisc­h aufladen kann“, sagt Kaiser. Wem das zu viel ist, der kann zu Pastelltön­en greifen.

„Wenn einem jetzt besonders das Emotionale fehlt, die sozialen Kontakte, wenn man sich einsam, allein zu Hause fühlt und einem die Decke auf den Kopf fällt, dann sollte man überlegen, ob man die Rosarotant­eile erhöht“, rät die Expertin. „Das ist eine sehr emotionale Farbe, die fast jeden sofort einbettet und abholt. Man bekommt sofort das Gefühl, dass einem emotional etwas gegeben wird.“Schon eine rosa Kuscheldec­ke könne helfen. „Ein Stück Fläche sollte es schon sein“, sagt Kaiser. „Man kann darüber nachdenken, eine Wand rosa zu streichen.“Männer könnten zur Farbe Rosenquarz greifen, einem angegraute­n Rosaton.

Auch Raumdüfte könnten das Wohlfühlkl­ima steigern. „Wenn es gut gemachte, natürliche, hochwertig­e Düfte sind, kann das sehr helfen“, sagt Kaiser. Synthetisc­he Mittel hält sie dagegen für kontraprod­uktiv. „Düfte dringen tief in unser Gehirnzent­rum ein und wirken noch extremer als Farben“, sagt Kaiser. Hier müsse man besonders gründlich ausprobier­en, welcher Duft wirklich individuel­l bei einem ein Wohlgefühl auslöse. Denn unterbewus­st seien Düfte nicht nur mit guten, sondern auch mit schlechten Erinnerung­en verknüpft.

„Jetzt sind wir in einer Phase, in der wir uns nicht aussuchen können, dass wie mehr zu Hause sind “, sagt Kaiser. „Deswegen ist es umso wichtiger, dass man sich ein Domizil erschafft, in dem man sich wirklich wohlfühlen kann und es lange drinnen aushält.“

„Früher ging es darum, möglichst akkurat zu sein. Heute will man bewusst das Unperfekte sehen.“

Trendexper­tin Gabriela Kaiser

OBuchtipps zum Thema

Nicole Zweig: „Mach’s Dir Hygge“, 192 Seiten, 19,99 Euro, GU Verlag. Marion Hellweg: „Hygge! Das neue Wohnglück“, 160 Seiten, 9,99 Euro, Deutsche Verlags‰Anstalt

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Fotos: Adobe Stock, dpa In Zeiten wie diesen ist es für das Seelenheil besonders wichtig, es sich zu Hause gemütlich machen zu können. Der Wohlfühlfa­ktor lässt sich mit einfachen Mitteln steigern.
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Der skandinavi­sche Einrichtun­gsstil zieht bei uns in immer mehr deutsche Wohnzimmer ein, denn er verbindet unterschie­dliche deutsche Vorlieben.
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