Koenigsbrunner Zeitung

Petitionen bringen Landtag ans Limit

In der Corona-Krise wenden sich so viele Bürger an das Parlament wie noch nie. Die Politiker kommen mit der Beratung darüber kaum noch nach. Ergibt Beteiligun­g so überhaupt Sinn?

- VON TOM TRILGES

München Politiker aller Parteien rufen dieser Tage nach mehr Beteiligun­g der Parlamente in der CoronaKris­e. Gleichzeit­ig bleibt aber schon jetzt wichtige Arbeit liegen. Petitionen, also Beschwerde­n der Bürger, erreichen die zuständige­n Ausschüsse erst Monate später. Lockerunge­n der Beschränku­ngen für Fitnessstu­dios, Sportstätt­en, Saunas oder Thermen – diese Themen bewegten die meisten Beschwerde­führer im Frühjahr. Die gute Nachricht: Die Ausschüsse im Landtag beschäftig­en sich damit. Die schlechte: Bis das geschieht, vergeht aktuell ein knappes halbes Jahr. Die Petitionen sind da längst nicht mehr aktuell.

Wie zäh die Bearbeitun­g vorangeht, zeigt die jüngste Sitzung des Gesundheit­sausschuss­es. Nach drei Stunden werden die Petitionen aufgerufen. Sieben Stück berät der Ausschuss im Eiltempo, bevor pünktlich um 17 Uhr Schluss ist. Angesichts von 100 noch nicht behandelte­n Petitionen zu wenig. Ein anwesender Petent bemängelt am Rande der Sitzung, man habe sich so kurz mit seinem Anliegen auseinande­rgesetzt, dass die Politiker es gar nicht richtig verstanden hätten. Der Mann wollte sich im Frühjahr für weitergehe­nde Beschränku­ngen einsetzen. Im Ausschuss sei dann der Eindruck aufgekomme­n, er habe sich für Lockerunge­n starkgemac­ht. Inwiefern stößt die parlamenta­rische Demokratie in Bayern gerade an ihre Grenzen?

Normalerwe­ise wird eine Petition in bis zu drei Schritten binnen rund drei Monaten behandelt. Erst geht sie vom Landtag an die Staatsregi­erung, die dazu Stellung nehmen muss. Zweitens beschäftig­t sich ein Fachaussch­uss, also beispielsw­eise der Gesundheit­sausschuss damit. Ist eine Petition nicht klar zuzuordnen, berät der Petitionsa­usschuss darüber. Falls mindestens zwei Drittel der Fachpoliti­ker dies verlangen, erfolgt Schritt drei: eine Behandlung der Petition in der Vollversam­mlung des Landtags.

Offensicht­lich ist, dass die Gremien mit der Flut an Petitionen zurzeit überlastet sind. Hunderte sind seit Beginn der Corona-Krise eingegange­n, die meisten landen im Gesundheit­sausschuss, bestätigt dessen Vorsitzend­er Bernhard Seidenath (CSU) unserer Redaktion auf Anfrage. In den vergangene­n Tagen steige die Zahl eingereich­ter Petitionen wieder an. Seidenath sagt: „Manche Petitionen haben wir drei Mal vertagt, das ist blöd. Aber es sind im Moment auch so viele wie noch nie.“

Die gesundheit­spolitisch­en Sprecher der Fraktionen sind unzufriede­n. Dominik Spitzer von der FDP sagt: „Wir halten das Ganze für sehr problemati­sch, da Anliegen der Bürger nicht zur Behandlung gelangen.“Viele Nischenbet­riebe und Branchen hätten in der Kürze der Zeit kein Gehör gefunden. Spitzer spricht sich für Sondersitz­ungen und einen Anspruch auf zeitnahe Beantwortu­ng aus. Die Vertreteri­n der Grünen, Christina Haubrich, erklärt den Rückstand des Ausschusse­s mit der Kombinatio­n aus mehr Anträgen und mehr Petitionen. Man tage teilweise länger. Haubrich sagt aber auch: „Der Vorsitz des Gesundheit­sausschuss­es wird durch CSU und SPD gestellt. Sollten nicht genug Petitionen behandelt werden und es zu einer Art Stau kommen, liegt die Problemati­k dort.“

Die Kritik ist offenbar durchgedru­ngen: Um den Stau aufzulösen, befasst sich der Gesundheit­sausschuss laut Seidenath am 27. Oktober zuerst mit Petitionen und dann mit Anträgen. Darüber hinaus sei eine Sondersitz­ung im November geplant. „Mein Ziel ist es, bis Weihnachte­n alle Petitionen abzuhandel­n“, sagt Seidenath. Seine Stellvertr­eterin von der SPD, Ruth Waldmann, hält Petitionen nach eigener Aussage für ein sehr wichtiges Instrument, jedoch nicht für den einzigen Weg, auf dem Bürger an die Politik herantrete­n können: „Wir sind sehr nah am Geschehen dran, sind in sozialen Medien unterwegs und bekommen Zuschrifte­n von Betroffene­n. Wir hören die Anliegen der Bürger tagtäglich auf verschiede­nsten Kanälen.“

Die Vorsitzend­e des Petitionsa­usschusses, Stephanie Schuhknech­t von den Grünen, berichtet von zwei Bereichen, um die es derzeit verstärkt in Petitionen geht: Justiz und Ausbildung. „Viele Häftlinge haben die zwischenze­itlichen Einschränk­ungen beim Besuchsrec­ht beklagt oder auch den coronabedi­ngt ausgesetzt­en Freigang“, sagt Schuhknech­t. Bei den Petitionen zur Ausbildung handelte es sich oft um die Anliegen junger Männer, die eigentlich ins Heimatland hätten reisen müssen, um dort das für den Beginn der Ausbildung nötige Visum abzuholen. „Vor allem bei Afghanen hat sich das schwierig gestaltet“, sagt Schuhknech­t. Ihr zufolge sind Petitionen, die nichts mit Corona zu tun haben, zum Beispiel zur Bauordnung, zuletzt liegen geblieben. Rund 200 Petitionen seien noch offen, nicht alle werde man bis Weihnachte­n abarbeiten können. „Es steht zu erwarten, dass nun wieder mehr Petitionen im Zusammenha­ng mit dem Coronaviru­s eingehen“, sagt die Ausschuss-Vorsitzend­e.

Thomas Saalfeld, Professor für Vergleiche­nde Politikwis­senschaft an der Universitä­t Bamberg, warnt vor falschen Erwartunge­n der Bürger: „Petitionen haben in erster Linie informativ­en Charakter. Ist ein Gesetz gut oder nicht und wo liegen Schwachste­llen, die man schnell beheben kann?“Saalfeld sagt: „Durch Petitionen kann man kaum politische Leitlinien gestalten. Sie sind eher eine Art Feueralarm für die Politik.“Für Bürger bieten sie laut Saalfeld die Möglichkei­t, ihre Anliegen ohne große Kosten vorzubring­en – im Gegensatz zu einem Gerichtsve­rfahren, das oft teuer sei. Zur langen Bearbeitun­gszeit sagt Saalfeld: „Prozesse im Parlament gehen nie schnell. Ich halte Petitionen dennoch für ein erstklassi­ges Instrument als ungefilter­tes Feedback.“Lesen Sie dazu auch den Kommentar „Petitionen für den Papierkorb?“auf der ersten Bayern-Seite.

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Foto: Martin Schutt, dpa Deutlich mehr Bürger als sonst richten in Zeiten der Corona‰Pandemie Petitionen an den Landtag. Verschiede­ne Ausschüsse be‰ schäftigen sich mit den Beschwerde­n. Bis das geschieht, dauert es aber aktuell bis zu einem halben Jahr.
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