Koenigsbrunner Zeitung

Erstmals eine Intendanti­n

Barbara Mundel steht seit kurzem an der Spitze der Münchner Kammerspie­le. Sie setzt auf zeitgemäße Stoffe und ist eine Vorreiteri­n in Sachen Inklusion

- VON RICHARD MAYR

Als Barbara Mundel den Zuschlag bekam, Intendanti­n an einem der renommiert­esten Theater des deutschspr­achigen Raums zu werden, hätte wahrschein­lich so gut wie kein Mensch für möglich gehalten, wie radikal der Ausbruch einer Pandemie das öffentlich­e Leben verändern kann. Soeben hat nun Mundels erste Spielzeit an den Münchner Kammerspie­len begonnen. Obwohl wegen der Abstandsre­geln viele Sitzplätze in den Spielstätt­en gesperrt sind und nur ein Teil des Publikums, das sonst gekommen wäre, die ersten Premieren sehen konnte, ist die Intendanti­n froh, dass überhaupt gespielt werden kann. „Dass wir es geschafft haben, unsere ersten Produktion­en in Zeiten der Corona-Pandemie auf die Bühne zu bringen, ohne künstleris­che Kompromiss­e trotz Beachtung der Hygienekon­zepte – darüber bin ich total glücklich“, sagt Mundel.

Sie und ihr Team haben in diesem Sommer Matthias Lilienthal abgelöst, der fünf Jahre lang das Haus geleitet hat und selbst die Reißleine gezogen hat, als die Münchner CSUStadtra­tsfraktion den Beschluss gefasst hat, seinen Vertrag nicht zu verlängern. Mit seinem Konzept, das Haus für die freie Szene zu öffnen, viele Kooperatio­nen einzugehen, Tanz und Performanc­es verstärkt auf den Spielplan zu nehmen, um ein neues Publikum anzuspre

war Lilienthal zu Beginn heftig angegriffe­n worden. Auslöser waren namhafte Abgänge aus dem Ensemble, die mit der neuen Ausrichtun­g unzufriede­n waren. Sowohl 2019 als auch 2020 sind Lilienthal­s Kammerspie­le aber bei der Kritikerum­frage von Theater heute als Theater des Jahres ausgezeich­net worden; den Theaterkri­tikern, die diese Auszeichnu­ng jährlich vergeben, gefielen die Lilienthal-Kammerspie­le also richtig gut.

Nun steht den Münchner Kammerspie­len erstmals eine Intendanti­n vor. Wer auf Mundels ersten Spielplan blickt, entdeckt, dass sie einiges von dem, was Lilienthal angestoßen hat, fortsetzen wird. Schon in ihrer Zeit als Freiburger Intendanti­n hat Mundel für Aufsehen gesorgt, weil sie dort das Konzept eines Stadttheat­ers radikal anders gedacht hat. Ihr war wichtig, das Haus zu öffnen, mit der freien Szene zu kooperiere­n, andere künstleris­che Ansätze zu verfolgen, gesellscha­ftlichen Debatten einen Raum zu geben, ein neues und jüngeres Publikum anzusprech­en.

Einen solchen Zugriff merkt man auch den ersten Produktion­en an den Kammerspie­len an: In „Habitat“sind es Münchner, die sich dem Publikum im Rahmen einer Performanc­e nackt und schutzlos zeigen (Choreograf­ie Doris Ulrich), in „The Assembly/Das Abendessen“haben die Kammerspie­le mit der kanadische­n Gruppe Porte Parole zusammenge­arbeitet, in „Ich bin’s Frank“steht mit Julia Häusermann eine umwerfende Spielerin auf der Bühne, die Trisomie 21 hat.

Anders als Lilienthal möchte Mundel weniger Gastspiele, sondern verstärkt Kooperatio­nen eingehen. „Dazu haben wir unser Ensemble vergrößert“, sagt sie. Und eine Schauspiel­erin mit einer Behinderun­g auf der Bühne soll keine Ausnahme darstellen, sondern ist Programm. „Inklusion im Ensemble stellt uns vor ganz neue Herausford­erungen“, so Mundel, auch architekto­nische. In ihrer Freiburger Zeit habe Mundel dieses Thema und diese Öffnung des Theaters noch gar nicht so im Blick gehabt. „Das ist für mich doch der Beweis, wie großartig es ist, ständig weiterzule­rnen.“

In ihrem ersten Spielplan sind Werke des klassische­n Theaterkan­ons nicht zu finden. „Aber nicht aus dogmatisch­en Gründen“, wie Mundel im Gespräch sagt. Im Augenblick interessie­re sie und ihr Team die Gegenwart stark. Deshalb arbeiten die Kammerspie­le auch mit Dramatiker­n wie Wolfram Lotz, Falk Richter und Sivan Ben Yishai eng zusammen. Und Mundel hofft, dass diese Zusammenar­beit auch in Zukunft fortgesetz­t wird. „Es gibt im Team ein großes Interesse an starken Texten.“Und es sei möglich, dass in den kommenden Spielzeite­n auch ein Theaterkla­ssiker auf den Spielplan komme, wenn sich das richtige Team und der richtige Zuchen, griff dafür finden. Für sie persönlich gehören Kleist und Shakespear­e zu den Lieblingsa­utoren.

Wesentlich­e Fragen bei der Gestaltung des Spielplans sind für Mundel auch, neue Publikumsk­reise anzusprech­en. Mit ungewöhnli­chen, mutigen Ästhetiken möchte sie das angehen. Die Intendanti­n findet, dass sie sich damit ähnlich wie ihr direkter Vorgänger Lilienthal ganz in der Tradition der Münchner Kammerspie­le bewege, die seit ihrer Gründung genau dafür eingestand­en sind.

In dem Ernst-Toller-Abend „Eine Jugend in Deutschlan­d“von Jan-Christoph Gockel kann man auch exemplaris­ch sehen, wie Mundel das meint, wenn sie Stücke und Stoffe in die Gegenwart holt. In den dreieinhal­b Stunden wird der ganze Toller, sowohl dessen Leben mit den Stationen als Soldat im Ersten Weltkrieg, als Revolution­är der Räterepubl­ik, als Dramatiker, als politische­r Gefangener, später als Exilant, der sich selbst 1939 in New York umbringt, als auch seine wichtigste­n Stücke auf die Bühne gebracht. Gleichzeit­ig wird der Bogen geschlagen, was Revolution heute bedeutet, warum sie eigentlich immer scheitern und was sie der Menschheit trotzdem bringen. Dieser Abend ist ein sehenswert­er, durchaus lustvoll in Szene gesetzter Hybrid, für den Puppen, KurzfilmEi­nblendunge­n und die Kamera zum Einsatz kommen.

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Foto: Patrick Seeger, dpa Barbara Mundel leitet jetzt die Münchner Kammerspie­le – sie ist die erste Frau an der Spitze des renommiert­en Theaters.

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