Koenigsbrunner Zeitung

„Auch mal laut, aber nie respektlos“

Deniz Aytekin ist der bekanntest­e Schiedsric­hter der Bundesliga. Er hat eine eigene Art, mit den Spielern umzugehen. Ein Gespräch über Prominenz, Respekt und leere Stadien

- Interview: Hans Strauß

Herr Aytekin, einen Tag vor dem Start der aktuellen Bundesliga-Saison wurden Sie an der Achillesse­hne operiert. Das war kein günstiger Zeitpunkt, aber wohl ein Notfall.

Deniz Aytekin: Ich hatte schon länger ein bisschen Probleme. In der Trainingsv­orbereitun­g auf die Saison sind sie schlimmer geworden. So wollte ich nicht in die Saison gehen. Die Operation war die richtige Entscheidu­ng. Ich bin schmerzfre­i und zuversicht­lich, dass ich zur Rückrunde wieder fit bin. Ich trainiere fast täglich mit einem Personal Trainer, die Achillesse­hne wird dabei aber noch nicht belastet.

Ihr Schiedsric­hter-Kollege Patrick Ittrich hat gerade ein Buch veröffentl­icht mit dem Titel „Die richtige Entscheidu­ng – Warum ich es liebe, Schiedsric­hter zu sein“. Haben Sie es schon gelesen?

Aytekin: Ja. Ich war einer der Ersten, der es gelesen hat, noch vor der Veröffentl­ichung.

Und wie finden Sie es?

Aytekin: Ich finde es großartig. Es stellt uns Schiedsric­hter transparen­t dar. Wir sind ganz normale Leute, die einfach ihrer Leidenscha­ft nachgehen, menschlich sind, Fehler machen, aber auch Glücksgefü­hle haben.

Auch Ihnen ist es wichtig, zu zeigen, dass das Klischee, Schiedsric­hter seien Streber und gingen zum Lachen in den Keller, nicht stimmt.

Aytekin: Ich stehe dafür, dass wir als Persönlich­keit wahrgenomm­en werden – mit Emotionen und Leidenscha­ft. Ich möchte nicht wie ein Roboter rüberkomme­n, weil ich so einfach nicht bin. Nur wenn ich authentisc­h sein kann, fühle ich mich wohl. Besonders für NachwuchsS­chiedsrich­ter ist es wichtig, sich nicht zu verstellen. Mit ihrer natürliche­n, persönlich­en Art kommen sie eher zum Ziel.

Sie waren die Hauptfigur einer ARDDokumen­tation, Sie waren als erster Schiedsric­hter zu Gast bei der Talkshow „Inas Nacht“. Damit sind Sie in diesem Jahr auch über die FußballSze­ne hinaus populär geworden. Können Sie noch joggen gehen, ohne dass hinter jedem Busch ein Autogrammj­äger lauert?

Aytekin: Ich bin als Person markant und auffällig mit meiner Größe und meinen vielen Falten. Von daher wissen viele schon länger: Das ist der Schiedsric­hter. Je wichtiger und öffentlich­keitswirks­amer die Spiele, die man leitet, sind, desto mehr rückt man in den Fokus und umso mehr wird man erkannt und angesproch­en. Aber das ist alles immer noch sehr angenehm und freundlich, es nervt nicht. Es gibt natürlich auch Situatione­n, bei denen es schön wäre, mal anonym zu sein.

2019 sind Sie vom Deutschen FußballBun­d zum Schiedsric­hter des Jahres gekürt worden. In diesem Jahr haben die Bundesliga-Profis Sie zum beliebtest­en Schiedsric­hter der Rückrunde gewählt, sehr klar mit 42 Prozent der Stimmen. Was, glauben Sie, schätzen die Spieler an Ihnen?

Aytekin: Entscheide­nd ist die Art, wie man mit Menschen umgeht. Man kann fachlich perfekt sein, viel laufen und viele richtige Entscheidu­ngen treffen. Aber das muss nicht reichen, um akzeptiert zu werden. Ich glaube, dass ich über die Jahre einen guten Weg gefunden habe, mit den Spielern zu interagier­en, aber trotzdem konsequent zu sein. Ich trage keinen Diplomaten­koffer durch die Gegend, ich bin sehr direkt in der Ansprache. Ich werde auch mal laut, aber nie respektlos. Wenn das die Spieler so wahrnehmen, dann fühlen sie sich ernst genommen und wertgeschä­tzt.

Sie sind schon lange dabei. Steigt Ihr persönlich­er Stressfakt­or trotzdem noch mit der Bedeutung eines Spieles? Aytekin: Natürlich. Je größer die Aufgabe, je öffentlich­keitswirks­amer das Spiel, desto angespannt­er bist du, weil du weißt: Da gucken besonders viele hin. Trotzdem muss man bei jedem Spiel funktionie­ren und abliefern. Mit zunehmende­r Erfahrung kann man damit besser umgehen, aber entspannt wird man nie in ein Spiel gehen. Das hat auch mit Demut vor der Aufgabe zu tun.

Was wollen Sie als Schiedsric­hter noch erreichen? Ein internatio­nales Finale pfeifen, an einer EM oder WM teilnehmen?

Aytekin: So etwas kann man nicht planen. Das Geschäft ist schnellleb­ig. Schon die ein oder andere schlechte Spielleitu­ng oder eine Verletzung, wie ich sie jetzt hatte, können einen zurückwerf­en. Ich bin wirklich dankbar, dass ich in der Bundesliga als Schiedsric­hter tätig sein darf. Ich bin nicht davon getrieben, immer mehr und mehr zu erreichen. Außerdem bin ich mit 42 nicht mehr der Allerjüngs­te, internatio­nal kann ich nur noch drei Jahre pfeifen, dann habe ich dort die Altersgren­ze erreicht.

Wie viel Kontakt haben Sie als EliteSchie­dsrichter noch mit der Basis? Aytekin: Wenn ich bei den Spielen meines Sohnes zusehe, dann sprechen mich schon mal Schiedsric­hter an und wir unterhalte­n uns. Ohne die Basis würde der Fußball nicht funktionie­ren. Ich kann mich noch gut an die Zeit erinnern, als ich teilweise drei Spiele am Wochenende gepfiffen habe.

Thema Videobewei­s. Viele Schiedsric­hter haben sich von der Einführung eine größere Entscheidu­ngssicherh­eit versproche­n. Ist es so gekommen? Aytekin: Wenn man die Fakten anschaut, dann ja. Ganz krasse Fehlentsch­eidungen passieren nicht mehr. Über Abseits wird nur noch selten diskutiert, weil es eine Schwarz-oder-Weiß-Entscheidu­ng ist. Entweder der Spieler steht mit dem Fuß im Abseits oder nicht, das löst die Technik auf. Es gibt aber auch Situatione­n, die nicht schwarz oder weiß sind. Dazu zählt das Handspiel, das immer wieder eine Grauzone beinhaltet. Hier kochen Situatione­n hoch und werden diskutiert. Das führt dazu, dass der Video-Assistent von Fußball-Romantiker­n negativ dargestell­t wird. Ich finde aber, dass die Technik eine absolute Daseinsber­echtigung hat. Ich bin überzeugt, dass alles in den nächsten Jahren immer besser funktionie­ren wird und die Akzeptanz in der Öffentlich­keit dann höher ist.

Bei strittigen Situatione­n haben Schiedsric­hter die Möglichkei­t, sie auf dem am Spielfeldr­and aufgebaute­n Bildschirm zu überprüfen. Täuscht der Eindruck, dass manche Schiedsric­hter die Beurteilun­g lieber dem Video-Assistente­n überlassen?

Aytekin: Die Entscheidu­ng trifft immer der Schiedsric­hter auf dem Platz. Ich hatte in der letzten Saison keine einzige korrigiert­e Entscheidu­ng. Grundsätzl­ich pfeife ich so, wie ich es wahrnehme. Ich denke da nicht an den Video-Assistente­n. Aber wenn es absolut falsch war, was ich entschiede­n habe, dann wird er sich schon melden.

Fußball in Corona-Zeiten, Fußball ohne Zuschauer: Sie waren im März bei der Partie Mönchengla­dbach – Köln der erste Schiedsric­hter, der ein Geisterspi­el geleitet hat. Sie haben danach gesagt: „Das hat mit Fußball nichts zu tun . . . Ohne Fans ist es nicht mal die Hälfte wert.“Klare Worte ... Aytekin: Ich habe es zum damaligen Zeitpunkt exakt so empfunden. Mittlerwei­le hat sich meine Denke da massiv geändert. Weil ich einfach nur dankbar sein kann, dass wir nach der Unterbrech­ung der Saison überhaupt wieder Fußball spielen können und dürfen. Nach dem ersten Geisterspi­el konnte man die Konsequenz­en, die Covid-19 für die Gesellscha­ft hat, gar nicht einschätze­n. Mittlerwei­le sage ich, der Fußball ist einfach anders ohne Fans. Es fehlen Komponente­n, die das Spiel leidenscha­ftlicher und emotionale­r machen. Aber es ist gut, dass Spiele ausgetrage­n werden können.

Deniz Aytekin ragt schon mit seinen 1,92 Metern heraus. Der 42‰Jähri‰ ge ist einer der erfahrenst­en deut‰ schen Fußball‰Schiedsric­hter. Er hat seit 2006 insgesamt 179 Bun‰ desliga‰ und 76 Zweitliga‰Spiele geleitet. Im Jahr 2011 wurde er auch Fifa‰Schiedsric­hter und bisher bei 63 internatio­nalen Spielen einge‰ setzt. Der Betriebswi­rt, dessen El‰ tern aus der Türkei migrierten, hat zwei Kinder und wohnt in Oberas‰ bach bei Fürth. Er gehört dem TSV Altenberg an. (AZ)

 ?? Foto: Rolf Vennenbern­d, dpa ?? Schiedsric­hter Deniz Aytekin im Gespräch mit einem Spieler: „Ich trage keinen Diplo‰ matenkoffe­r durch die Gegend.“
Foto: Rolf Vennenbern­d, dpa Schiedsric­hter Deniz Aytekin im Gespräch mit einem Spieler: „Ich trage keinen Diplo‰ matenkoffe­r durch die Gegend.“

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