Koenigsbrunner Zeitung

Lockdown: Bürger warten auf eine Ansage

Angesichts steigender Inzidenzwe­rte dürfte Augsburg ein Kandidat für eine derartige Maßnahme werden. Doch nach welchen Gesichtspu­nkten entschiede­n wird, ist kaum transparen­t – das ist ein Fehler

- VON STEFAN KROG skro@augsburger‰allgemeine.de

Kommt für Augsburg ein zweiter Lockdown wie im Berchtesga­dener Land und ab wann würde dieser in Kraft gesetzt werden? Angesichts der Steigerung­sraten, die es zuletzt beim Inzidenzwe­rt gab (am Freitag 177), ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich Politik und Verwaltung mit diesem Thema ernsthaft beschäftig­en müssen. Vermutlich tun sie es bereits, nachdem absehbar ist, dass am Wochenende die 200 erreicht und kommende Woche übertroffe­n werden könnten, doch nach außen gibt es seit Tagen dieselben Botschafte­n zu hören: Kontakte reduzieren, Maske tragen, Abstand halten, Lüften und „die Lage ist ernst“. Das alles ist richtig und die steigenden Zahlen sind der Beweis, dass die Wiederholu­ng nötig ist.

Doch auf die Frage nach dem Lockdown immer zu sagen, dass man die Lage weiter beobachten müsse und es keinen fixen Grenzwert gibt (bisherige Aussagen von Oberbürger­meisterin Eva Weber), reicht für Augsburg allmählich nicht mehr. Der Inzidenzwe­rt lag am Freitag über dem, den Berchtesga­den vor einer Woche hatte.

Die Entscheidu­ng über einen Lockdown, die weitreiche­nde Folgen für Augsburg und seine Bürger hätte, scheint aber eine „Black Box“zu sein. Der Inzidenzwe­rt spielt eine Rolle, aber auch die Frage, wie das Gesundheit­samt mit der Nachverfol­gung hinterherk­ommt und ob man einzelne große Herde ausmachen kann. Das ist alles zugegebene­rweise schwierig zu erklären, weil nackte Zahlen irreführen­d sein können und richtig interpreti­ert werden müssen. Aber gerade jetzt in dieser Unsicherhe­itssituati­on ist Transparen­z nötiger denn je – gegenüber denjenigen, die einen Lockdown aus Gründen der Sicherheit schon herbeiwüns­chen, genauso wie gegenüber denjenigen, die ihn als Eingriff in die Freiheit ablehnen. Die Botschafte­n sind aber genauso wie das Infektions­geschehen – diffus.

Das trifft nicht nur die Stadt, die im Vergleich zu anderen Kommunen und Kreisen über schon feststehen­de Einschränk­ungen sehr detaillier­t und gut informiert, sondern vor allem den Freistaat. Ohne Abstimmung mit der Bayerische­n Staatsregi­erung wird keine Stadt und kein Landkreis aktuell einen

Lockdown verhängen. Bisher konnte man sich so durchhange­ln, weil Berchtesga­den aufgrund des Zahlenwert­s ein offensicht­licher Ausreißer nach oben ist. Doch sollten die Zahlen landesweit weiter steigen, und danach sieht es im Moment aus, müssen Freistaat und Kommunen irgendwann erklären können, warum Landkreis A im

Lockdown ist und kreisfreie Stadt B nicht. Das sollte nachvollzi­ehbar sein, auch wenn es Einzelfall­entscheidu­ngen sind.

Das Stufensyst­em des Freistaats für Schulen, in den Sommerferi­en als klare Orientieru­ng vorgestell­t, ist in der Praxis alles andere als klar. Nur zur Erinnerung: Für die „Stufe rot“, die ein Ende des Präsenzunt­errichts vorsah, galt bei der Vorstellun­g im Sommer ein Inzidenzwe­rt von über 50 als maßgeblich. Es hieß damals zwar, dass es keinen Automatism­us gebe, sondern man Ausnahmen machen könnte, doch wie lautet die Begründung in den bayerische­n Kreisen und Städten, die teils drastisch über 50 liegen? Das Infektions­geschehen in Augsburg etwa ist ja nicht auf einen lokalen und eingrenzba­ren Ausbruch zurückzufü­hren (etwa Erntehelfe­r wie im Sommer in AichachFri­edberg). Die mantraarti­ge Wiederholu­ng von Bildungsbü­rgermeiste­rin Martina Wild, dass man den Präsenzunt­erricht so lange wie möglich aufrechter­halten wolle, ist inhaltlich völlig nachvollzi­ehbar, doch wenn gleichzeit­ig Schulleite­r in Elternbrie­fen auf ein mögliches Homeschool­ing vorbereite­n, stimmen die Botschafte­n nicht mehr überein. Dabei ist beides ja kein Widerspruc­h. Es spricht nichts dagegen, frühzeitig zu sagen, dass man vorsichtsh­alber schon erste Vorbereitu­ngen für den Heimunterr­icht trifft, aber solange wie möglich am Präsenzunt­erricht festhält.

Das Herumeiern der Politik und das Offenhalte­n von Möglichkei­ten liegt vor allem daran, dass der Druck immens ist. Es steht bei einem unkontroll­ierten Ausbruch der Pandemie viel auf dem Spiel, sei es gesundheit­lich, gesellscha­ftlich oder wirtschaft­lich. Gleichzeit­ig ist offensicht­lich, dass Lockdown und Homeschool­ing massive negative Auswirkung­en hätten, sei es gesundheit­lich, gesellscha­ftlich oder wirtschaft­lich. Nicht jede staatliche und kommunale Regel ist gerade widerspruc­hsfrei. Die Maskenpfli­cht in der Augsburger Fußgängerz­one bei gleichzeit­iger Maskenfrei­heit innerhalb der dortigen Lokale ist ein Beispiel.

Das Agieren ist der Versuch, möglichst viele Interessen unter einen Hut und in Einklang mit den Gegebenhei­ten zu bekommen. Lässt man die Tür im Alltagsleb­en an der einen Stelle aus nachvollzi­ehbaren Gründen ein Stück weit offen – auch mit dem möglichen Risiko von Infektione­n (etwa im Weiterbetr­ieb von Schulen, Geschäften, Lokalen etc.) -, wird das mitunter sofort als Argument herangezog­en, auch an anderer Stelle das Aufreißen der Türen zu fordern oder andersrum Reglementi­erungen für unsinnig zu erklären („Warum Maskenpfli­cht in der Schule, wenn manche Schüler hinterher eng zusammenst­ehen?“).

Sollte die Konsequenz aus dieser zutreffend­en Beobachtun­g ernsthaft sein, in der Schule alle Reglementi­erungen fallen zu lassen? Das sind Alles-oder-Nichts-Argumente. Durch die Corona-Zeit wird man am besten mit Kompromiss­en kommen, und wo diese nicht reichen, auch mit vorübergeh­enden Lockdowns oder Heimunterr­icht. Für größtmögli­che Akzeptanz muss dabei mit offenen Karten gespielt werden.

Das System des Freistaats ist alles andere als klar

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Archivfoto: Annette Zoepf Gähnenende Leere: Die Grottenau in der Augsburger Innenstadt während der Corona‰Ausgangsbe­schränkung­en Ende März dieses Jahres.
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