Lockdown: Bürger warten auf eine Ansage
Angesichts steigender Inzidenzwerte dürfte Augsburg ein Kandidat für eine derartige Maßnahme werden. Doch nach welchen Gesichtspunkten entschieden wird, ist kaum transparent – das ist ein Fehler
Kommt für Augsburg ein zweiter Lockdown wie im Berchtesgadener Land und ab wann würde dieser in Kraft gesetzt werden? Angesichts der Steigerungsraten, die es zuletzt beim Inzidenzwert gab (am Freitag 177), ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich Politik und Verwaltung mit diesem Thema ernsthaft beschäftigen müssen. Vermutlich tun sie es bereits, nachdem absehbar ist, dass am Wochenende die 200 erreicht und kommende Woche übertroffen werden könnten, doch nach außen gibt es seit Tagen dieselben Botschaften zu hören: Kontakte reduzieren, Maske tragen, Abstand halten, Lüften und „die Lage ist ernst“. Das alles ist richtig und die steigenden Zahlen sind der Beweis, dass die Wiederholung nötig ist.
Doch auf die Frage nach dem Lockdown immer zu sagen, dass man die Lage weiter beobachten müsse und es keinen fixen Grenzwert gibt (bisherige Aussagen von Oberbürgermeisterin Eva Weber), reicht für Augsburg allmählich nicht mehr. Der Inzidenzwert lag am Freitag über dem, den Berchtesgaden vor einer Woche hatte.
Die Entscheidung über einen Lockdown, die weitreichende Folgen für Augsburg und seine Bürger hätte, scheint aber eine „Black Box“zu sein. Der Inzidenzwert spielt eine Rolle, aber auch die Frage, wie das Gesundheitsamt mit der Nachverfolgung hinterherkommt und ob man einzelne große Herde ausmachen kann. Das ist alles zugegebenerweise schwierig zu erklären, weil nackte Zahlen irreführend sein können und richtig interpretiert werden müssen. Aber gerade jetzt in dieser Unsicherheitssituation ist Transparenz nötiger denn je – gegenüber denjenigen, die einen Lockdown aus Gründen der Sicherheit schon herbeiwünschen, genauso wie gegenüber denjenigen, die ihn als Eingriff in die Freiheit ablehnen. Die Botschaften sind aber genauso wie das Infektionsgeschehen – diffus.
Das trifft nicht nur die Stadt, die im Vergleich zu anderen Kommunen und Kreisen über schon feststehende Einschränkungen sehr detailliert und gut informiert, sondern vor allem den Freistaat. Ohne Abstimmung mit der Bayerischen Staatsregierung wird keine Stadt und kein Landkreis aktuell einen
Lockdown verhängen. Bisher konnte man sich so durchhangeln, weil Berchtesgaden aufgrund des Zahlenwerts ein offensichtlicher Ausreißer nach oben ist. Doch sollten die Zahlen landesweit weiter steigen, und danach sieht es im Moment aus, müssen Freistaat und Kommunen irgendwann erklären können, warum Landkreis A im
Lockdown ist und kreisfreie Stadt B nicht. Das sollte nachvollziehbar sein, auch wenn es Einzelfallentscheidungen sind.
Das Stufensystem des Freistaats für Schulen, in den Sommerferien als klare Orientierung vorgestellt, ist in der Praxis alles andere als klar. Nur zur Erinnerung: Für die „Stufe rot“, die ein Ende des Präsenzunterrichts vorsah, galt bei der Vorstellung im Sommer ein Inzidenzwert von über 50 als maßgeblich. Es hieß damals zwar, dass es keinen Automatismus gebe, sondern man Ausnahmen machen könnte, doch wie lautet die Begründung in den bayerischen Kreisen und Städten, die teils drastisch über 50 liegen? Das Infektionsgeschehen in Augsburg etwa ist ja nicht auf einen lokalen und eingrenzbaren Ausbruch zurückzuführen (etwa Erntehelfer wie im Sommer in AichachFriedberg). Die mantraartige Wiederholung von Bildungsbürgermeisterin Martina Wild, dass man den Präsenzunterricht so lange wie möglich aufrechterhalten wolle, ist inhaltlich völlig nachvollziehbar, doch wenn gleichzeitig Schulleiter in Elternbriefen auf ein mögliches Homeschooling vorbereiten, stimmen die Botschaften nicht mehr überein. Dabei ist beides ja kein Widerspruch. Es spricht nichts dagegen, frühzeitig zu sagen, dass man vorsichtshalber schon erste Vorbereitungen für den Heimunterricht trifft, aber solange wie möglich am Präsenzunterricht festhält.
Das Herumeiern der Politik und das Offenhalten von Möglichkeiten liegt vor allem daran, dass der Druck immens ist. Es steht bei einem unkontrollierten Ausbruch der Pandemie viel auf dem Spiel, sei es gesundheitlich, gesellschaftlich oder wirtschaftlich. Gleichzeitig ist offensichtlich, dass Lockdown und Homeschooling massive negative Auswirkungen hätten, sei es gesundheitlich, gesellschaftlich oder wirtschaftlich. Nicht jede staatliche und kommunale Regel ist gerade widerspruchsfrei. Die Maskenpflicht in der Augsburger Fußgängerzone bei gleichzeitiger Maskenfreiheit innerhalb der dortigen Lokale ist ein Beispiel.
Das Agieren ist der Versuch, möglichst viele Interessen unter einen Hut und in Einklang mit den Gegebenheiten zu bekommen. Lässt man die Tür im Alltagsleben an der einen Stelle aus nachvollziehbaren Gründen ein Stück weit offen – auch mit dem möglichen Risiko von Infektionen (etwa im Weiterbetrieb von Schulen, Geschäften, Lokalen etc.) -, wird das mitunter sofort als Argument herangezogen, auch an anderer Stelle das Aufreißen der Türen zu fordern oder andersrum Reglementierungen für unsinnig zu erklären („Warum Maskenpflicht in der Schule, wenn manche Schüler hinterher eng zusammenstehen?“).
Sollte die Konsequenz aus dieser zutreffenden Beobachtung ernsthaft sein, in der Schule alle Reglementierungen fallen zu lassen? Das sind Alles-oder-Nichts-Argumente. Durch die Corona-Zeit wird man am besten mit Kompromissen kommen, und wo diese nicht reichen, auch mit vorübergehenden Lockdowns oder Heimunterricht. Für größtmögliche Akzeptanz muss dabei mit offenen Karten gespielt werden.
Das System des Freistaats ist alles andere als klar