Wie eine Corona-Dokumentation die Lage im krisengeschüttelten Frankreich weiter anheizt
„Hold-Up“spielt perfide mit absurden Verschwörungstheorien
Paris Monique Pinçon-Charlot nimmt drastische Worte in den Mund. „Wir befinden uns im Dritten Weltkrieg, einem Klassenkrieg“, sagt die französische Soziologin mit besorgtem Blick in die Kamera. „Es gibt einen Holocaust, der den ärmsten Teil der Menschheit auslöschen wird, das heißt 3,5 Milliarden Menschen, welche die Reichen für das Absichern ihres Überlebens nicht mehr brauchen.“
Pinçon-Charlots ist eine von fast 40 Protagonisten des Films „HoldUp – Rückblick auf ein Chaos“, der derzeit in Frankreich heftig diskutiert wird. Er verquickt eine Reihe von Verschwörungstheorien rund um das Coronavirus miteinander – auch wenn sie mit Blick auf die Faktenlage nicht zusammenpassen. Denn einerseits werden Maßnahmen zur Bekämpfung wie die Maskenpflicht oder der Lockdown scharf kritisiert, andererseits handele es sich angeblich um eine von einer korrupten Elite bewusst geschaffene Gefahr für die Menschen.
Pinçon-Charlot hat inzwischen beklagt, dass ihre Worte aus dem Zusammenhang gerissen worden seien. Von dem Film distanzierte sich auch der ebenfalls interviewte Ex-Gesundheitsminister Philippe Douste-Blazy. Ihn schockiere unter anderem, dass die Pandemie angeblich seit mehreren Jahren bekannt sei und dass die französische Forschungseinrichtung Institut Pasteur, eines der „größten Aushängeschilder der weltweiten Wissenschaft“, das Virus geschaffen haben soll. Das unterstellen in dem Film unter anderem Mediziner, welche überwiegend für ihre abseitigen Positionen bekannt sind.
Zu Wort kommen außerdem Unternehmer, Philosophen aber auch Taxifahrer als „Decodierer“der Gesellschaft. Mehrere Millionen Mal wurde das gut zweieinhalbstündige Werk des früheren Journalisten Pierre Barnérias inzwischen angesehen, das sich aus einer Crowdfunding-Kampagne finanzierte, mit der innerhalb kurzer Zeit über 180000 Euro zusammenkamen.
Prominente wie die Schauspielerin Sophie Marceau oder Maxime Nicolle, einer der Wortführer der „Gelbwesten“-Protestbewegung, unterstützten seine Verbreitung. Seit der Veröffentlichung spaltet der Streifen das Land – in Corona-Skeptiker, die Faktenchecks als Zensurversuche abtun, und jene, die auf wissenschaftlich belegte Aussagen setzen. Denn genau daran fehlt es ihm. Im Stil eines Dokumentarfilms werden vermeintliche Informationen aneinandergereiht, die der späteren Überprüfung allerdings selten standhalten.
Erwiesenermaßen falsch ist etwa die Behauptung, die Welt-Gesundheitsorganisation WHO habe Autopsien von Corona-Toten verboten – sie forderte lediglich Schutzmaßnahmen. Auch klingt eine Sequenz mit Fragen des kanadischen Abgeordneten Randy Hillier zur möglichen Errichtung von „QuarantäneLagern“für Einreisende, als seien diese beschlossene Sache – unerwähnt bleibt die Versicherung des Premierministers Justin Trudeau, es handele sich um nichts weiter als eine „Desinformationskampagne“.
In Umfragen sagen über die Hälfte der Franzosen, auch bei Vorhandensein eines Impfstoffs nicht darauf zurückgreifen zu wollen. „Hold-Up“tut alles dafür, sie darin zu bestärken.