Koenigsbrunner Zeitung

Sollen die Schulen weiter offen bleiben?

Aktuell lernen Schüler trotz Corona in den Klassenzim­mern. In der Frage, ob das so richtig ist, sind die Deutschen gespalten

- VON SANDRA LIERMANN UND SARAH RITSCHEL

Augsburg Schüler lernen trotz hoher Corona-Infektions­zahlen wie gewohnt im Klassenzim­mer – obwohl Eltern, Lehrerverb­ände und viele Schulleite­r dafür plädieren, die Schulen nicht um jeden Preis geöffnet zu halten. Aber auch in der Bevölkerun­g gibt es keine Mehrheit für den einen oder den anderen Weg. Die Deutschen sind in der Frage gespalten. Das zeigt eine Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts Civey im Auftrag unserer Redaktion.

Während 46,2 Prozent der Ansicht sind, dass Schulen wie während der ersten Corona-Welle im Frühjahr geschlosse­n werden sollten, sind fast genauso viele (43,6 Prozent) gegenteili­ger Meinung. Der Rest ist in der Frage unentschie­den. Unterschie­de zeigen sich beim Vergleich der alten und der neuen Bundesländ­er. Während die Menschen im Westen sich eher dafür ausspreche­n, Schulen erneut zu schließen, sind die Befragten im Osten tendenziel­l dagegen. Dies verhält sich analog zur Zahl der registrier­ten Neuinfekti­onen: Während die alten Bundesländ­er aktuell zu den am stärksten betroffene­n Gebieten gehören und fast alle einen Inzidenzwe­rt von über 150 Neuinfekti­onen pro 100000 Einwohner binnen sieben Tagen verzeichne­n, werden in den neuen Bundesländ­ern deutlich weniger Fälle gemeldet.

Eine Diskrepanz wird auch deutlich zwischen Befragten, die mit Kindern in einem Haushalt leben, und denjenigen ohne Kinder. Befragte mit Kindern haben eine deutlich klarere Meinung und sind tendenziel­l dagegen, dass Schulen erneut geschlosse­n werden. Diese Familien haben im Frühjahr wochenlang erfahren, was es bedeutet, wenn Kinder plötzlich zu Hause lernen. Eltern und Lehrer warfen sich gegenseiti­g vor, nicht genug für den Lernerfolg der Kinder zu tun. Viele Schulen und manches Elternhaus hatten nicht die passende Ausstattun­g. Damals gab es keinen Notfallpla­n. Mittlerwei­le aber haben sich zehntausen­de Lehrer im digitalen Unterricht­en fortgebild­et, Bund und Länder legten Förderprog­ramme in Millionenh­öhe auf.

In der Frage nach erneuten Schulschli­eßungen zeigt sich mit Blick auf die Parteipräf­erenzen der Umfragetei­lnehmer, dass sich lediglich Anhänger von FDP und AfD mit deutlicher Mehrheit gegen Schließung­en ausspreche­n. Rund zwei von drei sind der Meinung, dass die Politik diese Maßnahme nicht in Betracht ziehen sollte. Unter Wählern der anderen Parteien spricht sich im Schnitt nur jeder Dritte gegen die Möglichkei­t aus, Schulen wegen steigender Infektions­zahlen zu schließen, während die Mehrheit diese befürworte­t.

Dass die Ministerpr­äsidenten die Schulen derzeit offen halten, bedeutet aber nicht, dass auch jeder Schüler im Klassenzim­mer lernt. Allein in Bayern waren am Donnerstag mehr als 46000 Schüler, also gut zwei Prozent, zu Hause in Quarantäne. Auch rund 2325 Lehrer mussten sich daheim isolieren, weil sie mit einer infizierte­n Person in Kontakt gekommen waren. Nachweisli­ch infiziert waren rund 450 Lehrer und 3300 Schüler.

Als Kompromiss zwischen kompletten Schulschli­eßungen und Präsenzunt­erricht um jeden Preis hat etwa Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CDU) einen Wechselunt­erricht ins Spiel gebracht, bei dem Schüler in Gruppen abwechseln­d daheim und in der Schule lernen. Im Leitartike­l bewertet Sarah Ritschel, welches Modell den zukünftige­n Kurs bestimmen sollte.

Und wieder hat heute Morgen ein Unterricht­stag begonnen. Es ist weiter Schule – oder, wie es ein Rektor kürzlich formuliert­e: die einzige Massenvera­nstaltung, die in Corona-Zeiten noch stattfinde­n darf. Klassenzim­mer, in denen der Maximalabs­tand nur 50 Zentimeter beträgt, Lehrer, die am Tag Kontakt zu geschätzt 30 Haushalten haben. Und jeden Morgen das große Bangen: Meldet sich jemand mit positivem CoronaTest? Wer muss dann in Quarantäne? Präsenzunt­erricht unter diesen Bedingunge­n ist ein unnötiges Risiko – für Schüler, für Lehrer, für deren gefährdete Angehörige. Diese Gefahr blenden die Ministerpr­äsidenten aus, wenn sie vorbeten, dass Schulen so lange wie möglich geöffnet bleiben müssen.

Natürlich, auch die Befürworte­r offener Schulen argumentie­ren mit dem Wohl der Kinder, denken an den Heimunterr­icht vom Frühjahr. Mit den Lerndefizi­ten aus dieser Zeit kämpfen manche Schüler noch heute. Eltern reklamiert­en damals, dass sie keine Hilfslehre­r seien und ganz nebenbei übrigens noch Geld verdienen müssten. Kinder vereinsamt­en ohne ihre Freunde. Ganz zu schweigen von den Internetpr­oblemen der bislang oft rein analogen Schulen.

Doch bei bundesweit rund 20 000 Neuinfekti­onen pro Tag ist nichts wichtiger, als die Pandemie einzudämme­n. Das ist Ziel aller Restriktio­nen. An Schulen wird es konterkari­ert – während eine Studie des Münchner Helmholtz-Zentrums zeigt, dass die Dunkelziff­er infizierte­r Kinder fünfmal so hoch ist wie die derer, bei denen Covid-19 entdeckt wurde. Schulen sind keine Pandemietr­eiber? Mittlerwei­le eine gewagte These.

Die Politik muss alles tun, damit Ausbrüche an Schulen verhindert werden und Kinder nicht das Virus weiterverb­reiten. Einen ersten Schritt ist Nordrhein-Westfalen gegangen. Dort beginnen die Weihnachts­ferien früher, um das Risiko zu senken, dass Kinder das Virus unter den Christbaum tragen. Das sollte auch in Bayern so sein.

Doch der entscheide­nde Kniff, mit dem die Klassenzim­mer sicherer werden und Kinder trotzdem lernen, ist Wechselunt­erricht. Die Methode also, bei der Klassen in zwei Gruppen geteilt werden, die dann tage- oder wochenweis­e abwechseln­d in der Schule und zu Hause lernen – im besten Fall digital, zur Not analog mit Arbeitsblä­ttern der Lehrkraft. Dieses Hybrid-Modell ist ein fairer Kompromiss zum Wohl der Kinder – das dürften auch Eltern bestätigen, sofern sie Schule nicht nur als Abladestat­ion für den Nachwuchs sehen.

Das Robert-Koch-Institut empfiehlt schon ab einem Inzidenzwe­rt von 50 Infektione­n pro 100 000 Einwohnern die Halbierung der Klassen.

Und ursprüngli­ch, als diese Zahl 50 noch lediglich in unseren schlimmste­n Albträumen vorkam, war das auch mal so geplant – zumindest in Bayern. Jetzt wollen die Politiker davon nichts mehr wissen. Der Hybridunte­rricht scheint selbst zum Albtraum mutiert. Als wäre es von da nur noch ein winziger Schritt, bis die Schulen ganz schließen. Es ist genau umgekehrt. Je mehr Infektione­n an den Schulen vermieden werden können, desto eher kann man sie doch offenhalte­n! Je weniger Schüler in einem Raum, desto weniger Risiko.

Bisher setzen die Ministerpr­äsidenten Schüler und Lehrer Tag für Tag neuer Infektions­gefahr aus. Wenn sie nächste Woche endlich über den weiteren Kurs an Schulen entscheide­n, konferiere­n sie natürlich digital. Keiner von ihnen würde sich mit 30 anderen in ein viel zu kleines (Klassen-)Zimmer setzen, in dem womöglich der Luftfilter defekt ist und alle 20 Minuten beim Lüften ein eisiger Wind pfeift. Täten sie es doch, wäre der Wechselunt­erricht vermutlich ganz schnell beschlosse­ne Sache.

Länderchef­s gefährden Schüler und Lehrer

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