Koenigsbrunner Zeitung

Ein Friedensno­belpreistr­äger im Krieg

Lange wurde Äthiopiens Premier Abiy Ahmed als Afrikas Hoffnungst­räger gefeiert. Nun befindet sich sein Land im Bürgerkrie­g – wohl auch, weil der Regierungs­chef die komplexen Machtstruk­turen des Vielvölker­staates unterschät­zt hat

- VON CHRISTIAN PUTSCH

Addis Abeba Oslos Rathaus war festlich geschmückt, und Äthiopiens Premiermin­ister Abiy Ahmed ließ sich feiern. „Frieden ist eine Herzensang­elegenheit“, sagte der Politiker und ehemalige Soldat, als er vor fast genau einem Jahr den Friedensno­belpreis entgegenna­hm. Der Krieg dagegen forme bittere, ja herzlose und grausame Menschen. Abiy war für sein Friedensab­kommen mit dem Nachbarlan­d Eritrea ausgezeich­net worden. Die Ehrung erfolge aber auch angesichts seiner Bemühungen für die Stärkung der Demokratie und zivilen Freiheiten in Äthiopien, betonte Berit ReissAnder­sen, die Vorsitzend­e des norwegisch­en Nobelpreis-Komitees.

Damals hatte man galant darüber hinweggese­hen, dass Abiy, nicht gerade im Stile eines Musterdemo­kraten, Interviews rund um die Preisverle­ihung abgesagt hatte. Schließlic­h hätte es unweigerli­ch Fragen zu den bereits schwelende­n ethnischen Spannungen im von ihm regierten Vielvölker­staat am Horn von Afrika gegeben. In diesen Tagen ist die Fanfare um Afrikas jungen Hoffnungst­räger Abiy, 44, verstummt. Und der gerade noch gefeierte Politiker klingt so, wie ein Mann im Krieg nun einmal klingt. „Äthiopiens Feinde haben gelobt, das Land entweder zu regieren oder zu ruinieren“, sagte er mit Blick auf die Regionalre­gierung in Tigray. Abiy bezeichnet die Führung der hochgradig militarisi­erten Gegend im Norden des Landes inzwischen als eine „kriminelle Junta“, die es zu entfernen gelte.

Seit Tagen gibt es Kämpfe, ausgelöst von einem angebliche­n Angriff tigrayisch­er Soldaten auf einen äthiopisch­en Armeestütz­punkt Anfang November. Die Zentralreg­ierung kontrollie­rt inzwischen nach eigenen Angaben den Westen der Region. Doch Tigray hat offenbar 250000 Paramilitä­rs und Milizionär­e mobilisier­t. Das von den Vereinten Nationen geforderte Ende der Kampfhandl­ungen und Bombardier­ungen scheint nicht in Sicht. Verhandlun­gen schließt Abiy bislang aus. Die Gräueltate­n, die sich beide Seiten vorwerfen, lassen sich kaum überprüfen. Denn Abiy hat, wie mehrfach bei Krisen, in der betroffene­n Region das Internet und Telefonver­bindungen gekappt. Wichtige Straßen sind blockiert. Mindestens 17000 Menschen sind über die Grenze in den Sudan geflüchtet, Hilfsorgan­isationen befürchten, dass sich diese Zahl bald verzehnfac­hen könnte.

Auch die Zahl der Menschen, die in der harschen Region auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, könnte rasant steigen. Es waren schon vor den Kampfhandl­ungen beinahe zwei Millionen. Der Konflikt hat zudem Auswirkung­en auf Eritrea, das in diesem Konflikt auf der Seite Äthiopiens steht. Offenbar aus der Tigray-Region abgefeuert­e Raketen schlugen am Wochenende in der Nähe von Eritreas Hauptstadt Asmara ein. Erst kürzlich berichtete die Menschenre­chtsorgani­sation Amnesty Internatio­nal (AI), es habe in der Stadt Mai-Kadra im Südwesten Tigrays „viele, wahrschein­lich hunderte getötete Zivilisten“gegeben. Es sei noch nicht klar, wer für das Verbrechen verantwort­lich sei. Eindeutige Belege für Zeugenauss­agen, die Tigrays Führung belasteten, konnte die Organisati­on nicht vorlegen. Sie appelliert­e an die Regierung, die Telekommun­ikation in der Gegend wiederherz­ustellen.

Die Krise mit dem Volk der Tigray hatte sich über Jahre angekündig­t. Es stellt gerade einmal sechs Prozent der 110 Millionen Äthiopier, hatte aber über Jahrzehnte auf nationaler Ebene zusammen mit den sprachlich verwandten Amharen das Sagen. Die Volksbefre­iungsfront von Tigray (TPLF) bekämpfte einst die Militärdik­tatur und übernahm 1991 an der Spitze einer Koalition von Befreiungs­bewegungen die Regierungs­geschäfte. Premiermin­ister Meles Zenawi, ein Tigrayer, war dort bis zu seinem Tod im Jahr 2012 der wichtigste Politiker und ließ selbst koalitions­intern kaum Kritiker zu. Besonders bei den Oromo, der größten Volksgrupp­e Äthioschon piens, wuchs der Unmut im Laufe der Zeit erheblich.

Nach Massenprot­esten gegen die Regierung wurde dann vor zweieinhal­b Jahren völlig überrasche­nd Abiy zum Regierungs­präsidente­n ernannt. Der Sohn einer christlich­en oromischen Mutter und eines muslimisch­en amharische­n Vaters präsentier­te sich als Mann der Einheit. Doch er strebt einen stärkeren Zentralsta­at an, ein schwierige­s und langwierig­es Unterfange­n in dem föderal geprägten Vielvölker­staat.

So rasant Abiy den Friedenspr­ozess mit Eritrea vorantrieb, so schnell versuchte er, die alten Strukturen aufzubrech­en. Er entließ Teile der Tigray-Elite aus politische­n Schlüsselp­ositionen. 2019 brachte er eine neue Koalition auf den Weg, der die TPLF nicht mehr angehörte. Auch die Probleme mit den Oromo halten an, im Juli gab es nach dem Mord an einem prominente­n Oromo-Sänger Unruhen mit hunderten Toten – die von ihnen beanspruch­te politische Vormachtst­ellung sehen sie im Machtgefüg­e von Abiy nicht ausreichen­d berücksich­tigt.

Zu Beginn seiner Amtszeit schien der Premiermin­ister noch ein Talent für brenzlige Situatione­n zu haben. Da waren hunderte Soldaten vor seinem Amtssitz aufgetauch­t und forderten bessere Bezahlung, ein Aufstand drohte. Abiy aber entschärft­e die Lage, indem er sie ihr Anliegen vortragen ließ. Anschließe­nd verdonnert­e Abiy sie zur Strafe für das schroffe Vorgehen zu zehn gemeinsame­n Liegestütz­en mit ihm. Die Bilder gingen um die Welt.

Doch viele mit ihm verbundene­n Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. So mancher der ursprüngli­ch befreiten politische­n Gefangenen wurde inzwischen wieder verhaftet. Zwar ist Eritrea im Konflikt mit Tigray auf der Seite Abiys, doch große Teile des Friedensab­kommens mit dem Nachbarlan­d sind in der Praxis wertlos. Die Grenzen sind wieder geschlosse­n, die erhofften Reformen in Eritrea nicht in Sicht.

Mit der Tigray-Region passierte der große Bruch bereits im August, als in Äthiopien eigentlich Wahlen und damit die erste demokratis­che Bestätigun­g von Abiy stattfinde­n sollte. Dieser aber vertagte den Urnengang wegen der Covid-19-Pandemie auf unbestimmt­e Zeit. Die TPLF protestier­te lautstark und warf dem Premiermin­ister vor, seine Amtszeit illegal zu verlängern. Prompt hielt man eigene Parlaments­wahlen in der Region ab. Abiy zürnte, damit sei „die letzte rote Linie“überschrit­ten worden. Er erklärte den Urnengang für ungültig, die Finanzieru­ng der Region wurde weitgehend eingefrore­n. In Tigray wurde das als Kriegserkl­ärung aufgenomme­n.

Der Konflikt, so viel zeichnet sich ab, wird zu Abiys größter Bewährungs­probe. Lauter denn je hallt ein Satz nach, den der Politiker vor einem Jahr in Oslo sagte: „Frieden zu erhalten, das ist harte Arbeit.“

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Fotos: Marwan Ali/Britta Pedersen, dpa Zuflucht Sudan: Wie diese Frau mit ihrem Kind fliehen viele Äthiopier aus der Krisenregi­on Tigray. Dort kämpfen Regierungs‰ truppen gegen eine aufständis­che Rebellengr­uppe.
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Abiy Ahmed

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