Koenigsbrunner Zeitung

Respektlos, aber nicht justiziabe­l

- VON CHRISTIAN GRIMM chg@augsburger‰allgemeine.de

Der gestürzte Wirecard-Chef Markus Braun hat seinem Ruf als Dr. Seltsam vor dem Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestage­s alle Ehre gemacht. Bis auf eine kurze Einlassung zu Beginn seiner Befragung schwieg der 51-Jährige zu den Fragen der Abgeordnet­en. Er ließ sie auflaufen und berief sich dabei auf sein Recht, die Aussage zu verweigern. Die Volksvertr­eter reagierten empört, beklagten fehlenden Respekt vor dem Parlament, der Öffentlich­keit und dem Rechtsstaa­t. Dieser Vorwurf ist zutreffend, aber er ist nicht justiziabe­l. Braun machte zunächst von seinem Recht Gebrauch. Ob er es zu großzügig ausgelegt hat, wird wahrschein­lich der Bundesgeri­chtshof entscheide­n. Auch das gehört zu diesem Rechtsstaa­t. Aus der Perspektiv­e des Beschuldig­ten ist die Taktik, den Mund zu halten, sinnvoll. Denn die Affäre Wirecard ist derart verstrickt und verworren, dass Braun heute nicht wissen kann, was später in dem ihm bevorstehe­nden Prozess gegen ihn verwendet werden könnte. Er hat den Auftritt in Berlin mit seinem Rechtsbeis­tand vorbereite­t, der besser einschätze­n kann, was seinem Mandanten droht. Die Chance, den Auftritt vor dem Bundestag als

Bühne zu nutzen, um sich zu erklären oder gar bei den geprellten Anlegern zu entschuldi­gen, war für Braun in Wahrheit keine. Denn sein Ruf ist ruiniert – so oder so. Für Gläubiger, die viel Geld verloren haben, ist das menschlich bitter. Anderersei­ts nützten ihnen warme Worte auch nichts. Das Geld ist weg und die Chancen stehen schlecht, dass noch nennenswer­te Beträge irgendwo zurückgeho­lt werden können. Für Braun kommt es nur darauf an, wie er die Zahl der Jahre im Gefängnis drücken kann. Auch das ist egoistisch, aber verständli­ch. Wer handelte in seiner Lage anders? Dr. Seltsam verhielt sich rational.

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