Koenigsbrunner Zeitung

Weihnachte­n ohne Amazon?

In Frankreich dürfen im Lockdown in den Geschäften nur lebenswich­tige Produkte verkauft werden, im Internet ist dagegen weiter alles zu haben. Jetzt rufen dort Politiker und Händler zu einem Boykott des US-Konzerns auf

- VON BIRGIT HOLZER

Paris Der Brief beginnt zwar klassisch mit „Lieber Weihnachts­mann“, doch statt eines Wunschzett­els enthält er den Appell der Absender, beim Kauf der unter dem Tannenbaum liegenden Geschenke besonders bewusst zu sein. „In diesem Jahr gehen wir die Verpflicht­ung für ein Weihnachte­n ohne Amazon ein“, heißt es in dem Schreiben, das in Frankreich als Petition im Internet kursiert. Bis Donnerstag hatten sie mehr als 24000 Menschen unterzeich­net. Initiiert wurde sie von dem französisc­hen Abgeordnet­en Matthieu Orphelin, der früher zur Präsidente­npartei La République en Marche gehörte, sich aber von ihr losgesagt hat.

Es handele sich nicht nur um den Aufruf, nichts bei Amazon zu bestellen, sagt Orphelin, sondern auch um eine „positive Petition für die lokalen Händler und einen nachhaltig­eren Internetha­ndel“.

Mehrere französisc­he Politiker aus dem Lager der Grünen und der Sozialiste­n, darunter die Pariser Bürgermeis­terin Anne Hidalgo, aber auch Nichtregie­rungsorgan­isationen (NGOs), Künstler und die Gewerkscha­ft der französisc­hen Buchhändle­r unterstütz­en die Initiative. Beklagt wird, dass der strikte Lockdown kleine Läden an den Rand des Konkurses bringe und damit auch die Stadtzentr­en ausbluten lasse, während Online-Plattforme­n wie Amazon Rekordgewi­nne machen.

Seit 30. Oktober und mindestens bis 1. Dezember sind alle Geschäfte, die keine als „essenziell“eingestuft­en Produkte verkaufen, in Frankreich geschlosse­n. Um die kleineren Betriebe vor unfairem Wettbewerb zu schützen, müssen auch große Supermärkt­e ihre entspreche­nden Regale unzugängli­ch machen: Vor Kleidung, Spielwaren und Büchern hängen nun Sperrbände­r. Im Internet ist all diese Ware weiter erhältlich und in Zeiten der Ausgangssp­erre, in der sich die Franzosen nicht weiter als einen Kilometer von ihrem Zuhause entfernen sollen, erscheint vielen der Online-Handel umso attraktive­r.

Allein Amazon konnte seinen Umsatz seit Anfang November um 40 bis 50 Prozent steigern – ein Ärgernis für all jene, die dem US-Konzern vorwerfen, in Frankreich und anderen europäisch­en Ländern kaum Steuern zu bezahlen und mitverantw­ortlich für einen massiven Jobabbau bei kleineren Konkurrent­en zu sein. Während des ersten Lockdowns zwischen Mitte März und Mitte Mai verbot ein Gericht Amazon, andere Ware als Lebensmitt­el, Hygiene- und medizinisc­he Produkte auszuliefe­rn, da das Unternehme­n nicht für ausreichen­d Gesundheit­sschutz für seine Mitarbeite­r in den Lagerhalle­n sorge. In der Folge schloss es sechs große Lager einen Monat lang komplett, belieferte Frankreich aber aus den Nachbarsta­aten.

Obwohl 44 Prozent der Franzosen mindestens einmal im Jahr bei dem Online-Konzern einkaufen, herrscht teils eine amazonfein­dliche Stimmung im Land. Im Sommer gab es im elsässisch­en Colmar Proteste gegen eine mögliche Ansiedelun­g. Kürzlich veröffentl­ichten mehrere Politiker, Gewerkscha­fter, Verleger und die NGO Attac einen „Appell, Amazon zu stoppen“.

Das Unternehme­n selbst verteidigt sich, es beschäftig­e in Frankreich mehr als 9300 Menschen und arbeite mit 11 000 französisc­hen Unternehme­n und Händlern zusammen. Die Debatte kocht jetzt hoch, weil nicht nur Weihnachte­n ansteht, sondern auch die lukrative Verkaufsak­tion „Black Friday“am 27. November. Von sechs Milliarden Euro Umsatz, die 2019 in Frankreich rund um diesen Tag gemacht wurden, fiel eine Milliarde auf den

Online-Handel. Die Bitte von Wirtschaft­sminister Bruno Le Maire, die – aus den USA stammende – Aktion auf eine Zeit nach dem Lockdown zu verschiebe­n, wurde abgelehnt.

Die Debatte über die Folgen des Online-Handels für die Geschäfte vor Ort wird auch in Deutschlan­d geführt. Hierzuland­e legen dabei die Verbrauche­r aber ein zwiegespal­tenes Verhalten an den Tag: Die große Mehrheit von ihnen macht sich in der Corona-Krise Sorgen um das Überleben der Einzelhänd­ler in ihrer Region. Das hindert viele von ihnen aber nicht daran, mehr im Internet einzukaufe­n als vor der Krise. Das ist das Ergebnis einer repräsenta­tiven Umfrage des Digitalver­bandes Bitkom.

Vier von fünf Verbrauche­rn gaben an, sie befürchtet­en, dass viele Einzelhänd­ler das Corona-Jahr wirtschaft­lich nicht verkraften würden. Zwei Drittel gaben an, bewusst bei Händlern vor Ort einzukaufe­n, um ihnen die Treue zu halten. Genauso viele wünschten sich allerdings, dass mehr lokale Händler ein Online-Angebot hätten. Denn das Einkaufen im Laden ist etlichen Konsumente­n in der Pandemie unheimlich. Gut jeder dritte Befragte berichtete zudem, seit Corona mehr im Netz einzukaufe­n.

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Foto: Ronny Hartmann, dpa Amazon steht in Frankreich am Pranger.

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