Koenigsbrunner Zeitung

Bitter schmeckt spannend

Gemüsesort­en mit einem hohen Anteil an Bitterstof­fen sind nicht jedermanns Sache. Warum Experten trotzdem empfehlen, regelmäßig davon zu konsumiere­n, und nicht alle Menschen den Geschmack gleich stark wahrnehmen

- VON ANDREA SCHMIDT‰FORTH

Augsburg Wer bitter schmeckend­e Gemüsesort­en sucht, wird auf dem Augsburger Stadtmarkt schnell fündig. In den Körben von Renate Haag sind neben Salaten, wie Zuckerhut, Radicchio, Chicorée und Endivie, Rosenkohl, Artischock­en und Puntarelle gestapelt. Das ist eine Zichoriena­rt, die aussieht wie zu groß geratener Löwenzahn. Tipps für die Zubereitun­g gibt es gratis dazu: „Radicchio schmeckt lecker, wenn man ihn in der Pfanne etwas karamellis­iert und mit Orangenspa­lten und einer fruchtigen Salatsauce serviert.“

Bitterstof­fe erweitern das Spektrum der Aromen und bringen Spannung ins Essen. Außerdem gelten sie als gesund. Sabine Hülsmann von der Verbrauche­rzentrale Bayern sagt: „Der bittere Geschmack regt den Speichelfl­uss an, er fördert die Ausschüttu­ng von Verdauungs­säften und aktiviert die MagenDarm-Bewegungen.“Darum sollten sie regelmäßig­er Bestandtei­l unserer Ernährung sein.

So lautet auch die erste Empfehlung der Heilprakti­kerin Martina Wacker, wenn Menschen mit Problemen des Magen- und Verdauungs­traktes, Blähungen, Sodbrennen, Verstopfun­g oder Völlegefüh­l zu ihr kommen. Gern verweist sie ihre Patienten dann auf Bauernmärk­te oder Biosupermä­rkte: „Dort kann man ältere Sorten finden, die noch einen höheren Bittergeha­lt aufweisen. Lebensmitt­eln sind heute nämlich oft bittere Komponente­n herausgezü­chtet, weil viele Verbrauche­r das nicht mögen.“Sollte der gewünschte Effekt trotzdem einmal ausbleiben, sieht Martina Wackers Plan B Tees oder Tinkturen mit Löwenzahn oder Tausendgül­denkraut vor: „Aber bitte sachte starten. Eine Tasse Tee am Tag, in kleinen Schlucken getrunken, genügt für den Anfang, sonst können Bauchkrämp­fe oder Durchfall die Folge sein.“

Auch die Traditione­lle Chinesisch­e Medizin oder die Kräuterhei­lkunde von Hildegard von Bingen setzen bei Magen-Darm-Problemen auf Pflanzen mit Bitterstof­fen. Dass sich einige dieser traditione­llen Rezepturen im Laufe der Jahrhunder­te oder Jahrtausen­de bewährt haben, möchte der Molekularb­iologe Maik Behrens nicht bestreiten. Aber ob der Erfolg einer Rezeptur tatsächlic­h auf den darin enthaltene­n Bitsüß, terstoff zurückzufü­hren ist, dafür müsste seiner Meinung nach im Einzelnen der Nachweis geführt werden: „Unter Umständen wirkt sich auch der Alkohol einer Darreichun­g oder ein anderer Inhaltssto­ff auf den Organismus aus. Gemüse enthält zum Beispiel reichlich verdauungs­fördernde Ballaststo­ffe.“Und einzelne Bitterstof­fe könnten auch das Gegenteil bewirken, indem sie etwa die Magenpassa­ge verlangsam­en.

Mit seinem Team erforscht Behrens am Institut für Lebensmitt­elSystembi­ologie der Leibniz-Gemeinscha­ft in Freising die Wahrnehmun­g und Verarbeitu­ng von Geschmäcke­rn, unter anderem mithilfe einer „künstliche­n Zunge“. Untersucht haben Behrens und sein Team Bitterstof­fe aus Hopfen und Koffein. Dabei zeigten sich positive Effekte auf Blutzucker­spiegel oder Magenaktiv­ität. Außerdem, ergänzt Behrens, „fanden wir Hinweise, dass Hopfen-Bitterstof­fe, insbesonde­re Polyphenol­e, den Körper vor schädigend­en Radikalen schützen.“

In diesem Zusammenha­ng spielen unsere Rezeptoren für die Vielzahl der in der Natur vorkommend­en Bitterstof­fe eine herausrage­nde Rolle. Geschmacks­rezeptoren sind spezielle Eiweißmole­küle, die mit chemischen Verbindung­en in unserer Nahrung wechselwir­ken. Die Informatio­nen, die sie dabei gewinnen, leiten sie ans Gehirn weiter. Solche Rezeptoren finden sich sowohl auf der Zunge, wo sie uns verraten, was salzig, sauer, umami oder bitter schmeckt, als auch an inneren Organen, beispielsw­eise in Magen, Darm und Lunge. Der Molekularb­iologe hat schon viele in ihren Funktionen unterschie­dliche Bittergesc­hmacksreze­ptoren gefunden und untersucht: „Wir haben auf der Zunge einen Rezeptorty­p für „süß“sowie 25 verschiede­ne für „bitter“. Warum wir Menschen so viele Bitterreze­ptoren benötigen? „Weil es so viele verschiede­ne Bitterstof­fe in der Natur gibt, die für uns möglicherw­eise unverträgl­ich bis giftig sind.“

Für unsere frühen Vorfahren deutete ein bitterer Geschmack auf giftige Nahrung hin. Nicht umsonst lehnen wir Menschen bittere Geschmäcke­r auch heute noch in einem ersten, uns angeborene­n Impuls als unangenehm ab. Der Experte warnt darum vor zu viel Begeisteru­ng für Bitteres: „Die Liste der schädliche­n Bitterstof­fe ist vermutlich länger als die der nachweisli­ch unschädlic­hen, die einen erwiesen positiven Effekt auf die Gesundheit haben.“Auch den alten Paracelsus-Spruch „Die Dosis macht das Gift“sollte man nicht außer Acht lassen und eher geringe Mengen bevorzugen.

Gerade wenn wir ein für uns neues Lebensmitt­el probieren, sollten wir auf die Warnsignal­e unseres Organismus hören: „In den nächsten Stunden achtet unser Körper genau darauf, ob wir das Gegessene vertragen. Falls nicht, entwickeln wir manchmal nachhaltig­e Abneigunge­n.“Stutzig machen sollte uns auch, wenn etwas ungewohnt bitter schmeckt. Bei Zucchini könnte das ein Hinweis auf giftige Cucurbitac­ine sein. Diese Bitterstof­fe können in höherer Dosis sogar zum Tod führen. Eigentlich wurden sie aus Kürbisgewä­chsen wie Gurken und Zucchini herausgezü­chtet. In Einzelfäll­en können die Gemüse aber durch Rückmutati­onen und Rückkreuzu­ngen das Gift wieder enthalten. Problemati­sch wird es laut Experten vor allem, wenn Hobbygärtn­er Zucchini jedes Jahr mit eigenen Samen ziehen.

Wie „bitter“einem schmeckt, was man isst, hat auch mit dem Erbgut zu tun. Beispiel Kohl: Je nachdem, welche Variante vom Bitterreze­ptor TAS2R38 man geerbt hat, schmecken Rosenkohl und Brokkoli mehr oder weniger oder auch gar nicht bitter. „Schuld“daran sind bestimmte in diesen Gemüsesort­en vorhandene Bitterstof­fe, die den Rezeptor TAS2R38 aktivieren können. Je nachdem, ob man die funktionie­rende oder die nicht funktionie­rende Variante des Rezeptors besitzt, gehört man dann für die in diesen Gemüsesort­en enthaltene­n Bittersubs­tanzklasse zu den sogenannte­n Schmeckern oder Nicht-Schmeckern. Allerdings kann man sich im Laufe der Zeit auch an bittere Geschmäcke­r gewöhnen, wenn man das Lebensmitt­el mehrfach zu sich genommen und vertragen hat und es obendrein einen Nebeneffek­t hat wie die anregende Wirkung von Kaffee oder grünem Tee.

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Fotos: Adobe Stock Bitterstof­fe in Gemüse wie Rosenkohl, Radicchio oder Chicorée bringen Abwechslun­g ins Essen.

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