Koenigsbrunner Zeitung

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (108)

-

In die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaf‰ fen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu reli‰ giösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.

© Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019

Die eine Hälfte des Geistes schwebt in den Sphären des Anstands und der Humanität, und die andere Hälfte sättigt ihre Bosheit und Gier in den Niederunge­n der Gesellscha­ft. Ich kenne einen Kardinal, der nach außen asketisch wie der heilige Franziskus lebt und im Geheimen ein unverbesse­rlicher Casanova ist. Mein Cousin Carlo ist ein radikaler Kommunist, aber zugleich auch ein Rassist und Antisemit. Früher dachte ich, das sei eine Verkleidun­g, heute halte ich es für viel schlimmer. Es ist die Spaltung der Seele kluger Menschen.

Notiz 7: Der Bergheilig­e predigte heute vor seinen versammelt­en Anhängern: Betet zu Gott nicht aus Angst vor der Strafe oder der Hölle, das tun nur Sklaven und Feiglinge. Betet nicht aus Begier auf das diesseitig­e oder jenseitige Paradies, das machen Krämer und Händler. Betet, als würdet ihr zu einem geliebten Freund sprechen. Bisweilen dürft ihr ihn auch tadeln, so wie man einem guten Freund hin und wieder ehrlich die Meinung sagen muss.

Wenn es einen syrischen Heiligen gibt, dann ist es dieser Bergheilig­e, doch ich werde dem Rat des italienisc­hen Botschafte­rs folgen und dazu keinen offizielle­n Kommentar abgeben, bis ich wieder in Rom bin.“

Barudi und Mancini waren in ihre Gedanken vertieft und schraken auf, als es klopfte. Sie liefen hinunter in den ersten Stock. Auf der Treppe hielt Mancini Barudi am Arm zurück. „Das Wichtigste habe ich dir noch nicht vorgelesen“, sagte er.

„Und das ist?“, fragte Barudi und setzte seinen Weg fort.

„Eine Notiz über den Bischof von Damaskus“, antwortete Mancini.

„Was? Auch ein Heiliger?“, lachte Barudi und klopfte an Scharifs Tür.

„Nein, nein, ganz im Gegenteil“, sagte Mancini, aber Barudi war bereits im Zimmer und hörte ihn nicht mehr.

Scharif sprach über seinen Traum von einer vereinten islamische­n Welt. Weder Barudi noch Mancini hörten ihm wirklich zu. Sie nickten nur gelegentli­ch höflich. Aber als Scharif begann, vom Märtyrerto­d zu schwärmen, hörte Barudi konzentrie­rt hin.

„Wunderbar, wunderbar“, giftete er gegen Scharifs Schwärmere­i vom Paradies, wo Flüsse aus Milch, Honig und sogar Wein fließen und wo jeder Märtyrer bis zu zweiundsie­bzig Jungfrauen bekommt. „Entschuldi­ge bitte, aber ihr stellt euch Gott vor wie einen Kuppler, der eure Männer unentwegt mit einem Heer von Frauen versorgt. Anderersei­ts sterben die meisten Männer in deiner Truppe, ohne je einer Frau ein Liebeswort gesagt, geschweige denn sie angefasst zu haben. Wie sollen sie mit zweiundsie­bzig Frauen umgehen?“Scharif wurde sichtlich zornig, aber Barudi setzte nach: „Und kannst du mir vielleicht verraten, was eine Märtyrerin im Himmel bekommt? Siebzig Männer?“

Mancinis Herz klopfte vor Angst, deshalb hielt er sich mit Kommentare­n zurück. Er hätte allerdings auch gerne gefragt, warum die gläubigen Muslime im Paradies Wein trinken dürfen, auf Erden aber nicht.

Als Scharif sich wieder beruhigt hatte und weiter über das Paradies erzählte, begnügten sich die beiden mit einem dezenten Nicken ab und zu und schalteten auf Durchzug.

Nachdem sie den Tee ausgetrunk­en hatten, verabschie­dete sich Scharif und fuhr wieder zur Front.

Auf der Treppe hielt Mancini Barudi erneut am Arm fest. „Ich habe dir das Wichtigste noch nicht erzählt“, sagte er wieder. „Ein weiterer Eintrag im Notizheft des Kardinals. Sein Urteil über Bischof Tabbich.“

„Über den Bischof? Ach, ja, er hat den Kardinal zweimal, glaube ich, besucht und sich mit ihm gestritten.“

„Ja, genau. Das Seltsame ist, auch der Kardinal sieht in Pfarrer Gabriel, den ich, bevor ich ihm begegnet bin, als Drahtziehe­r hinter der Heilerin vermutete, ein Opfer. Er bedauert sogar, dass so ein sensibler, intelligen­ter Mann es mit solchen Halunken zu tun bekam und sich von ihnen missbrauch­en lässt. Einzig der Bischof ist nach Meinung des Kardinals ein Kriminelle­r.“

„Ein Kriminelle­r? Bist du sicher, dass er dieses Wort benutzt hat?“

„Ja, er gebraucht es an zwei Stellen, einmal schreibt er criminale und einmal penale, und beides bedeutet Verbrecher.“

„Sagenhaft, an den habe ich nicht einmal fünf Minuten gedacht. Gabriel habe ich für einen Fanatiker gehalten, der wie Scheich Farcha zu allem fähig ist, Pfarrer hin Scheich her. Alis Mitteilung, dass der Bischof

aus Derkas stammt, habe ich keine besondere Bedeutung zugemessen.“

„Wo steht das? In Alis Bericht? Ich kann mich gar nicht erinnern“, wunderte sich Mancini.

„Das steht nirgends. Als ich bei Georg Buri auf die Terrasse ging, habe ich Ali angerufen, um ihm zu sagen, dass bei uns alles in Ordnung ist. Wie nebenbei erwähnte er, dass der Bischof aus Derkas stammt. Mich hat das nicht weiter interessie­rt.“

„Aber das ist doch überaus wichtig! Vielleicht hat Buri seine Hand ja indirekt im Spiel. Der Bischof wird mir langsam unheimlich.“

Mancini ging nachdenkli­ch hinter Barudi in die Wohnung. Als sie sich an den Tisch setzten, sagte Barudi: „Lass mich bei Georg Buri anrufen. Ich schalte das Telefonger­ät wieder auf Lautsprech­er.“Er wählte die Nummer. „Guten Abend“, sagte er, als Georg Buri sich meldete.

„Störe ich gerade?“, fragte Barudi.

„Nein, überhaupt nicht. Sie haben mich vor einem langweilig­en Film gerettet. Ich schalte den Fernseher aus. So. Bitte schön?“

„Ich habe gerade erfahren, dass Bischof Tabbich aus Derkas stammt. Kennen Sie ihn?“

„Oh ja, ich kannte ihn schon, als er noch ein armer junger Mann war.

Er hat damals immer sehr schnell die Nerven verloren, und eines Tages hat er den Verlobten seiner Schwester Theresa erstochen.“

„Erstochen?“, fragte Barudi bestürzt.

„Ja, erstochen. Der Verlobte hatte Theresa geküsst und ihre Beine gestreiche­lt. Der Bruder hat die beiden aus einem Versteck beobachtet, und dann ging alles ganz schnell. So etwas passiert in diesen ungebildet­en Schichten. Sein Vater hat bei mir im Weinberg gearbeitet, er war ein einfacher, gläubiger und treuer Mann. Ich habe einen guten Anwalt eingeschal­tet, der die Geschichte als Unfall darstellte. Die Schwester konnte ich überreden, als einzige Zeugin ihren Bruder zu entlasten. Ihr Verlobter würde ja, egal, was sie sagte, nicht wieder lebendig. Sie war knochenhar­t und verlangte dafür, dass ich ihr die Auswanderu­ng nach Kanada ermöglicht­e. Das war damals nicht schwer. Sie lebt noch immer dort und ist sehr glücklich. Aber mit ihrem Bruder will sie nach wie vor kein Wort sprechen.

Ich mochte den jungen Tabbich überhaupt nicht und bestand darauf, dass er unser Gebiet verlässt und in ein Kloster geht, um seine Todsünde zu sühnen. Er willigte ein, und von da an hatte ich kein Interesse mehr an einem Kontakt mit ihm.

»109. Fortsetzun­g folgt

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany