„Man kann nicht mit Würde schlagen“
Eine zum internationalen Tag der Kinderrechte in Ulm veröffentlichte Studie zeigt, wie sich Erziehungsmethoden geändert haben. Ist Gewalt noch immer ein Teil davon?
Ulm Erst seit dem Jahr 2000 ist es in ein Gesetz gegossen, Paragraf 1631, Absatz zwei im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB): „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung.“Doch hat dieses Gesetz tatsächlich etwas in der Gesellschaft verändert? Das wollte Professor Jörg M. Fegert, der Ärztliche Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie des Universitätsklinikums Ulm, herausfinden – und nahm den heutigen internationalen Tag der Kinderrechte zum Anlass, per Onlinekonferenz die Ergebnisse seiner Studie vorzustellen. Sein Fazit ist eindeutig: „Die Einführung der gewaltfreien Erziehung ins BGB war keine Symbolpolitik, sondern bewirkte Einstellungsänderungen und eine Reduktion von Körperstrafe.“
Im Auftrag von Unicef, dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, und des Kinderschutzbundes haben Forscher um Professor Fegert an der Ulmer Kinderklinik in einer repräsentativen Studie 2500 Personen zu ihren Einstellungen zu ihrem Erziehungsverhalten befragt. Ein Beispiel: der Klaps auf den Po. Die Zustimmung für diese Erziehungsmaßnahme habe in den vergangenen zwei Jahrzehnten deutlich abgenommen: 2001 stimmten noch 76,4 Prozent dem Klaps zu, in der Umund frage des laufenden Jahres waren es noch 42,7 Prozent. Ähnliche Werte gibt es für die „leichte Ohrfeige“. Allerdings stagnieren die Zustimmungswerte seit vier Jahren. Die Akzeptanz von körperlicher Bestrafung habe damit offenbar ein Plateau erreicht. Insbesondere leichtere Körperstrafen, wie der Klaps, bleiben demnach bei einem „erschreckenden Teil“der deutschen Bevölkerung weiter verbreitet.
Für Fegert sind das noch viel zu hohe Zustimmungswerte. „Man kann nicht mit Würde schlagen“, sagt er im Bezug auf Papst Franziskus, der einst von „Schlägen mit Würde“gesprochen hatte. Gewaltfreies Aufwachsen von Kindern sei eine zentrale Herausforderung für die Zukunft der ganzen Welt. Doch die Realität sieht anders aus.
Wie Christian Schneider, Geschäftsführer von Unicef Deutschland, sagte, würden weltweit drei von vier Kindern bereits im Alter von zwei bis vier Jahren mit Gewalt erzogen. „Die Zahlen schockieren.“Eine solche Erziehung hinterlasse Spuren bei den betroffenen Kindern
untergrabe ihre Würde. Auch der Klaps.
Nach Angaben der Ulmer Studie ist die Zustimmung zu Körperstrafen für Kinder auch anhängig vom Geschlecht. So stimmen Männer dem Klaps auf den Hintern mit 57,8 Prozent häufiger zu als Frauen mit 47,1 Prozent. Je älter die Befragten sind, desto seltener lehnen sie Körperstrafen ab. Keinen Unterschied macht die Staatsangehörigkeit und auch das monatliche Einkommen wirkt sich nicht signifikant aus.
Tief in die Kinderseele reiche die Gewalt, wie Fegert betonte: Jede Form sei eine seelische Verletzung, die Folgen habe, etwa auf die Bindungsfähigkeit. Zudem gerieten Kinder, die Gewalt erleben mussten, oft in eine Art Teufelskreis. Langzeitstudien hätten herausgefunden, dass sie später oftmals in Konflikten aggressiv reagieren und selbst gewalttätig würden. „Wer permanent gedemütigt wird, bekommt Probleme mit seinem Selbstwertgefühl.“Dass das auch verbal funktioniere, müsse er tagtäglich in seinem Wartezimmer erleben, wenn Kinder eine halbe Stunde am Stück geschimpft würden.
Am meisten würden Kinder jedoch leiden, wenn Eltern ihnen das Gefühl geben würden, sie seien für das Unglück von Papa und Mama verantwortlich.