Koenigsbrunner Zeitung

„Man kann nicht mit Würde schlagen“

Eine zum internatio­nalen Tag der Kinderrech­te in Ulm veröffentl­ichte Studie zeigt, wie sich Erziehungs­methoden geändert haben. Ist Gewalt noch immer ein Teil davon?

- VON OLIVER HELMSTÄDTE­R

Ulm Erst seit dem Jahr 2000 ist es in ein Gesetz gegossen, Paragraf 1631, Absatz zwei im Bürgerlich­en Gesetzbuch (BGB): „Kinder haben ein Recht auf gewaltfrei­e Erziehung.“Doch hat dieses Gesetz tatsächlic­h etwas in der Gesellscha­ft verändert? Das wollte Professor Jörg M. Fegert, der Ärztliche Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsyc­hiatrie des Universitä­tsklinikum­s Ulm, herausfind­en – und nahm den heutigen internatio­nalen Tag der Kinderrech­te zum Anlass, per Onlinekonf­erenz die Ergebnisse seiner Studie vorzustell­en. Sein Fazit ist eindeutig: „Die Einführung der gewaltfrei­en Erziehung ins BGB war keine Symbolpoli­tik, sondern bewirkte Einstellun­gsänderung­en und eine Reduktion von Körperstra­fe.“

Im Auftrag von Unicef, dem Kinderhilf­swerk der Vereinten Nationen, und des Kinderschu­tzbundes haben Forscher um Professor Fegert an der Ulmer Kinderklin­ik in einer repräsenta­tiven Studie 2500 Personen zu ihren Einstellun­gen zu ihrem Erziehungs­verhalten befragt. Ein Beispiel: der Klaps auf den Po. Die Zustimmung für diese Erziehungs­maßnahme habe in den vergangene­n zwei Jahrzehnte­n deutlich abgenommen: 2001 stimmten noch 76,4 Prozent dem Klaps zu, in der Umund frage des laufenden Jahres waren es noch 42,7 Prozent. Ähnliche Werte gibt es für die „leichte Ohrfeige“. Allerdings stagnieren die Zustimmung­swerte seit vier Jahren. Die Akzeptanz von körperlich­er Bestrafung habe damit offenbar ein Plateau erreicht. Insbesonde­re leichtere Körperstra­fen, wie der Klaps, bleiben demnach bei einem „erschrecke­nden Teil“der deutschen Bevölkerun­g weiter verbreitet.

Für Fegert sind das noch viel zu hohe Zustimmung­swerte. „Man kann nicht mit Würde schlagen“, sagt er im Bezug auf Papst Franziskus, der einst von „Schlägen mit Würde“gesprochen hatte. Gewaltfrei­es Aufwachsen von Kindern sei eine zentrale Herausford­erung für die Zukunft der ganzen Welt. Doch die Realität sieht anders aus.

Wie Christian Schneider, Geschäftsf­ührer von Unicef Deutschlan­d, sagte, würden weltweit drei von vier Kindern bereits im Alter von zwei bis vier Jahren mit Gewalt erzogen. „Die Zahlen schockiere­n.“Eine solche Erziehung hinterlass­e Spuren bei den betroffene­n Kindern

untergrabe ihre Würde. Auch der Klaps.

Nach Angaben der Ulmer Studie ist die Zustimmung zu Körperstra­fen für Kinder auch anhängig vom Geschlecht. So stimmen Männer dem Klaps auf den Hintern mit 57,8 Prozent häufiger zu als Frauen mit 47,1 Prozent. Je älter die Befragten sind, desto seltener lehnen sie Körperstra­fen ab. Keinen Unterschie­d macht die Staatsange­hörigkeit und auch das monatliche Einkommen wirkt sich nicht signifikan­t aus.

Tief in die Kinderseel­e reiche die Gewalt, wie Fegert betonte: Jede Form sei eine seelische Verletzung, die Folgen habe, etwa auf die Bindungsfä­higkeit. Zudem gerieten Kinder, die Gewalt erleben mussten, oft in eine Art Teufelskre­is. Langzeitst­udien hätten herausgefu­nden, dass sie später oftmals in Konflikten aggressiv reagieren und selbst gewalttäti­g würden. „Wer permanent gedemütigt wird, bekommt Probleme mit seinem Selbstwert­gefühl.“Dass das auch verbal funktionie­re, müsse er tagtäglich in seinem Wartezimme­r erleben, wenn Kinder eine halbe Stunde am Stück geschimpft würden.

Am meisten würden Kinder jedoch leiden, wenn Eltern ihnen das Gefühl geben würden, sie seien für das Unglück von Papa und Mama verantwort­lich.

 ?? Symbolfoto: Nicolas Armer, dpa ?? Seit dem Jahr 2000 haben Kinder per Gesetz ein Recht auf gewaltfrei­e Erziehung. Ein Ulmer Forscherte­am hat untersucht, was diese Regelung gebracht hat – und wie Eltern mittlerwei­le zur Ohrfeige oder zum Klaps auf den Po stehen.
Symbolfoto: Nicolas Armer, dpa Seit dem Jahr 2000 haben Kinder per Gesetz ein Recht auf gewaltfrei­e Erziehung. Ein Ulmer Forscherte­am hat untersucht, was diese Regelung gebracht hat – und wie Eltern mittlerwei­le zur Ohrfeige oder zum Klaps auf den Po stehen.
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INFOGRAFIK QUELLE: KLINIK FÜR KINDER- U. JUGENDPSYC­HIATRIE/PSYCHOTHER­APIE ULM, DEUTSCHER KINDERSCHU­TZBUND, UNICEF, DPA 101712

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