Koenigsbrunner Zeitung

Zeugnisse eines Genies

Keith Jarrett überragt auch in Budapest

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Vorhersage: launig bis heiter. Ähnlich wie beim Konzert in München, das 13 Tage später aufgenomme­n wurde („Munich“), aber bereits vor einem Jahr erschien. Als ob sich hier einer auf den Rest seines Lebens freute. Denn Keith Jarretts jeweiliges seelisches Stimmungsb­arometer gab zuletzt den Ausschlag über die Qualität seiner Auftritte. So wie er sich fühlte, so spielte er. Aber der Vergleich zwischen dem Budapest Concert, das am 3. Juli 2016 entstand, und München zeigt auch, dass Jarrett mitnichten bloß aus dem luftleeren Raum heraus improvisie­rte, sondern manchmal tatsächlic­h auf ein wiederkehr­endes Schema zurückgrif­f. Ein ganz normaler Musiker – der nicht selten zu Großtaten neigte.

In Budapest gab es eine davon. So dürfen seine Fans erneut einen rauschhaft­en Exkurs durch sein Innerstes miterleben, verewigt auf einer Doppel-CD. Dahinter verbirgt sich der ganze Jarrett mit seinen dunklen und hellen Seiten, seiner Wankelmüti­gkeit und Verletzlic­hkeit, seiner Euphorie und seinen in Töne gegossenen Glücksgefü­hlen. Aus seinen Fingern fließen zauberhaft­e kleine Melodien, wuchtige Tonkaskade­n und soghafte Linien, die einen immer tiefer in die Jarrett’sche Parallelwe­lt hinabziehe­n. Ein Puls regt sich unter dem klangliche­n Geschiebe, aus verschatte­ten Schichten und Strukturen lösen sich Tonskalen, klirrende Cluster sowie kantige Motive, die hastig durch die verschiede­nen Lagen geistern.

Fragmentar­isch im Gestus, klingt die Musik doch an vollendete Formen an. Man fühlt sich an etwas erinnert. An Jazz, an Idole der Tradition? Oder einfach an Jarrett selbst? Keiner konnte derart intuitiv eine derart meisterhaf­te Balance zwischen dezenter Gospel-Melancholi­e und sanftem Groove, brillanter Anschlagst­echnik und maximaler Wirkung, Pathos und großen Gefühlen kreieren. Vergangenh­eitsform, leider. Der 75-Jährige wird nach zwei Schlaganfä­llen höchstwahr­scheinlich nie mehr öffentlich auftreten. Deshalb sind derartige Zeugnisse seiner Genialität von unschätzba­rer Bedeutung. ★★★★★

(ECM/Universal)

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Keith Jarrett: Budapest Concert

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