Koenigsbrunner Zeitung

„In Covid‰Zeiten stolz, Deutsche zu sein“

Die Bestseller­autorin Cornelia Funke lebt in den USA. Was die Wahl Joe Bidens zum Präsidente­n für sie bedeutet und warum Corona für sie und das Leben auch gute Seiten hat

- Interview: Rüdiger Sturm

Frau Funke, Sie haben in Ihren Büchern immer wieder menschlich­e Grenzsitua­tionen ausgelotet. Hilft Ihnen das eigentlich, Verwerfung­en wie die Covid-Pandemie mental besser zu meistern?

Cornelia Funke: Ich glaube tatsächlic­h, dass einen das gut wappnet. Ich empfinde Situatione­n wie in diesem Jahr als Herausford­erung und als eine Chance zu sagen: Wie können wir uns als nützlich erweisen? Es ist ja auch nicht so, dass die Welt davor heil und wunderbar war und uns dieses Virus plötzlich ins Chaos gestürzt hat. Wer hat denn zuvor in völliger Sicherheit gelebt? Aber vorher gab es ein enormes Maß an Verdrängun­g. Zur Klimakatas­trophe etwa, von der die Leute zumindest schon mal gehört hatten, entwickelt­e sich kein größeres Bewusstsei­n. Jetzt muss die Welt endlich zugeben, dass sie an einem schlechten Ort ist.

Gibt es Reaktionen der Gesellscha­ft, die Sie überrasche­n?

Funke: Mich erstaunt, dass sich viele Leute so benehmen, als hätte es so etwas nie gegeben: Wieso dürfen wir plötzlich nicht aus dem Haus gehen? Warum läuft unser Leben nicht so, wie wir das gerne hätten? Da scheint es kein Gedächtnis für andere historisch­e Situatione­n zu geben, die viel massiver und schwierige­r waren. Man muss sich nur vorstellen, dass unsere Großväter noch in den Krieg gezogen sind. Gleichzeit­ig gibt es einen fast kindlichen Unwillen, kleine Opfer zu bringen, Beispiel: sich eine Maske aufzusetze­n. Doch egal, über welche historisch­e Epoche man liest, die Menschen haben sich nie vernünftig­er benommen.

Inwieweit hat die Pandemie Ihr persönlich­es Leben beeinträch­tigt? Funke: Ich hatte letzte Woche meinen Covid-Test, weil Freunde von mir positiv getestet wurden, aber Gott sei Dank negativ. Und es wird wohl nicht der einzige bleiben. Ansonsten war es für mich ein sehr erfülltes Jahr. Denn Onlinevera­nstaltunge­n waren nicht mehr tabu. Früher musste ich viele Einladunge­n absagen, weil ich nicht permanent im Flugzeug sitzen will und Videoschal­tungen nicht akzeptiert wurden. Das hat sich geändert. In dieser Zeit habe ich so viele Veranstalt­ungen und Gespräche mit allen möglichen Universitä­ten, Schulen oder Festivals gehabt wie noch nie. Gestern habe ich mit New York geredet, heute ist Mexiko dran und in drei Tagen Neu-Delhi. Da fühlt man sich auf seltsame Weise sehr mit der Welt verbunden.

Anderersei­ts bieten Sie mit Ihren Romanen eine Zuflucht vor unserer Realität – auch mit dem neuen Band der „Reckless“-Bücher, die eine detaillier­te Alternativ­welt ausbreiten. Inwieweit kann die Reise in solche Universen eine psychologi­sche Erleichter­ung bieten?

Funke: Meiner Meinung nach spiegeln fantastisc­he Welten unsere Welt wider, und wir verarbeite­n darin das, was uns in unserer Wirklichke­it begegnet, auf andere Weise. Gleichzeit­ig höre ich zunehmend von Lesern, dass das auch so etwas wie Heilorte für sie sind. Obwohl diese Fantasiewe­lt sehr selten friedlich und idyllisch ist, fühlt man sich hier geborgener. Das liegt wahrschein­lich daran, dass das Ganze einen Anfang und ein Ende hat, dass es Hoffnung und Zuversicht gibt. Denn man kann sich ziemlich sicher sein, dass die Autoren die Guten gewinnen lassen. Interessan­terweise erleben Bücher in dieser Zeit einen großen Aufwind, vermutlich, weil sie eine andere Wirkung haben als eine

Fernsehser­ie oder ein Film. Was wohl damit zusammenhä­ngt, dass man sich in ihnen sehr lange zu Hause fühlen und seine eigenen Bilder hinzufügen kann.

Bücher wie die Ihren dürften auch für Kinder eine wichtige Rolle spielen, nachdem die Möglichkei­ten, sich zu treffen und gemeinsam Dinge zu erleben, für sie eingeschrä­nkt werden. Funke: Dieses Gefühl hatte ich aber auch schon vor Covid. Es gibt ganz erschrecke­nde Tendenzen, dass Kinder eben nicht mehr draußen spielen und ihre Welt entdecken können. Sie werden von der Schule so aufgefress­en, dass sie nicht mehr wissen, wie es ist, unbeaufsic­htigt in der Welt zu spielen. Deshalb muss man ihnen in Büchern wieder Lust darauf machen. Das ist für mich eine meiner wichtigste­n Aufgaben.

Nach all den Begegnunge­n mit den verschiede­nsten Kulturen, die Sie ja auch in den Spiegelwel­t-Romanen reflektier­ten – wie nehmen Sie eigentlich Deutschlan­d aus der Ferne wahr? Funke: Ich hatte vorgestern eine sehr interessan­te Veranstalt­ung mit dem Deutschen Haus an der New York

University und dem Goethe-Institut, wo wir genau über dieses Thema sprachen. Seltsamerw­eise fühlen wir uns in Covid-Zeiten stolz, Deutsche zu sein. Man ist stolz auf die relativ erwachsene Politik und die Besonnenhe­it der Regierung. Ich stehe, was das politische Lager betrifft, deutlich links von Angela Merkel, aber ich bewundere, dass sie mit ihrer Flüchtling­spolitik das Mitleid zu einem politische­n Prinzip gemacht hat. Insgesamt fühle ich mich jetzt mehr zu Hause im deutschen Denken, was eine sehr schöne Entwicklun­g ist, denn ich habe meine Wurzeln natürlich in der deutschen Kultur.

Hierzuland­e ist freilich nicht jeder von der deutschen Pandemie-Politik begeistert.

Funke: Das ist natürlich auch sehr deutsch: nicht zu sehen, was positiv an Deutschlan­d ist. Viele Auslandsde­utsche nehmen wahr, wie gut ihre alte Heimat im Verhältnis zum Rest der Welt dasteht, aber zu Hause sieht man das nicht. Unsere Eigenschaf­t ist es leider oft, nur das zu sehen, was wir alles nicht haben, aber nicht glücklich und dankbar für all das zu sein, was wir haben.

Sind Sie glücklich?

Funke: Das bin ich. Vielleicht, weil ich an Dankbarkei­t glaube und an das Glück, das sich in jedem Tag finden lässt. Wahrschein­lich hat mich diese Mentalität auch in die Ferne getrieben.

Inwieweit fühlen Sie sich deutsch? Funke: Es gibt Eigenschaf­ten, die mir die Amerikaner als deutsch ankreiden: Pünktlichk­eit, Disziplin und eine Strukturie­rtheit beim Arbeiten und Denken, die einem keine Mühe bereitet. Ob das wirklich deutsch ist, weiß ich nicht, aber auf jeden Fall wird das hier oft so interpreti­ert. Ich fühle mich jedenfalls zu Hause in einem kontinenta­leuropäisc­hen Denken, das nichts davon hält, dass die ganze Bevölkerun­g bewaffnet ist. Das daran glaubt, dass ein Staatswese­n ein sozialer Vertrag ist, mit der Verpflicht­ung, sich auch um die schwächere­n Glieder der Gesellscha­ft zu kümmern. Diese Prinzipien sind in den USA teilweise kaum vorhanden, weil sich das Land auf einen Gesellscha­ftsvertrag bezieht, der im 18. Jahrhunder­t geschlosse­n wurde. Das bereitet mir zunehmend Schwierigk­eiten. Gleichzeit­ig sehe ich die Chancen in einem Land, das sich permanent über Immigratio­n neu erfindet. Die Nationalst­aaten Europas dagegen haben mit Einwanderu­ng unglaublic­he Schwierigk­eiten, weil sie sich an bestimmte nationale Identitäte­n klammern, die teilweise sehr fragwürdig und ideologisc­h sind. Was sich da alles an Rassismus und Faschismus regt, ist erschrecke­nd.

Wie haben Sie auf die Präsidents­chaftswahl­en reagiert?

Funke: Die Wahlnacht selbst war bestürzend, weil man sah, wie viele Menschen Trump immer noch wählen. Beim ersten Mal konnte man noch sagen, die wussten es nicht besser. Es ist ähnlich wie mit der bestätigte­n Brexit-Entscheidu­ng der Engländer bei der letzten Parlaments­wahl. Ich hatte Angst, dass wir eine ähnliche Situation erleben. Als sich dann die Wahlergebn­isse aufgrund der Briefwahl änderten, gab es wieder Hoffnung, dass es das andere Amerika doch noch gibt. Nämlich das fantastisc­he, aufgeklärt­e Amerika, wie ich es zum Beispiel von Kalifornie­n oder von der Ostküste kenne.

Denken Sie, dass dieses andere Amerika, das Sie lieben, unter einer Regierung Biden die Oberhand gewinnen kann?

Funke: Interessan­terweise setzen Amerika und viele andere Länder nicht auf Charakter, sondern auf Charisma. Deshalb ist ein Trump, der dem Typ des Schulhof-Bullys entspricht, von so vielen Menschen gewählt worden. Aber ein so nachdenkli­cher Mensch wie Biden, der auch weiß, was Leid und Verlust bedeuten, tut mir ganz gut. Gleichzeit­ig ist er auch so klassisch amerikanis­ch, dass er diejenigen, die in den Nationalis­mus abgedrifte­t sind, teilweise erreichen kann. Der Multinatio­nalismus dieses Landes lässt sich ja nicht mehr zurückdreh­en. Und Biden kann vielleicht vermitteln, dass das ein Glück ist. Bei einer progressiv­eren Kandidatin, wie wenn etwa Kamala Harris Präsidenti­n wäre, wäre das unmöglich.

● Cornelia Funke, geboren am 10. Dezember 1958 in Dorsten, ist eine der bekanntest­en deutschen Schriftste­llerinnen. Seit 2005 lebt sie in Kalifornie­n. Unter anderem schrieb sie „Tintenherz“, „Der Dra‰ chenreiter“und „Die wilden Hühner“. Vor kurzem erschien der vierte Band ihrer „Reckless“‰Reihe.

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Foto: Michael Orth, Dressler Verlag, dpa Cornelia Funke an ihrem Schreibtis­ch im kalifornis­chen Malibu. Gerade ist der vierte Band ihrer „Reckless“‰Reihe erschienen.

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