Koenigsbrunner Zeitung

Der Vater hüt’ die Schaf’

Josef Hartl ist einer der letzten Wanderschä­fer im Wittelsbac­her Land. Schlechtes Wetter und niedrige Wollpreise machen ihm seit Langem das Leben schwer. Jetzt macht er sich auch noch Sorgen, dass ein Wolf seine Tiere reißt. Wieso Hartl und sein Sohn trot

- VON MARLENE WEYERER

Affing‰Mühlhausen Es ist einer der ersten kalten Tage im Jahr. Regen prasselt gegen Josef Hartls grünen Mantel, bleibt an seinem Hut hängen. Der Hirtenstab versinkt im Matsch. „Das ist doch herrlich“, sagt er. Vor ihm grasen 500 Merinoland­schafe auf der Weide. Manche stehen enger beieinande­r, um sich vor dem eisigen Wind zu schützen, andere trippeln weiter weg, auf der Suche nach saftigem Gras. „Das ist doch ein Bild für Götter.“Hartl blickt stolz auf seine Herde. „Und es ist meine Aufgabe, da aufzupasse­n.“

Hartl kümmert sich das ganze Jahr über um seine Schafe — obwohl er eigentlich in Rente ist. Von April bis Dezember ist der 66-jährige Wanderschä­fer mit ihnen unterwegs. In einem Stall im Affinger Ortsteil Mühlhausen überwinter­n sie. Schäfer, die bei Wind und Wetter mit ihren Tieren von Weide zu Weide ziehen, mögen in Kinderlied­ern häufig vorkommen. In Wirklichke­it werden es immer weniger.

1999 gab es laut einer Anfrage der Grünen im Bundestag 303 Wanderschä­fer in Deutschlan­d. 2016 waren es nur noch 97. Es ist ein harter Job, mit wenig Freizeit und wenig Lohn. Trotzdem hat Josef Hartls Sohn vor drei Jahren die Herde übernommen. Im Sommer ist eine neue Sorge dazugekomm­en: Die Schäfer fürchten, dass der Wolf sich in ihrer Region ausbreitet.

Während sein Vater die Schafe auf der Weide hütet, kümmert sich der 36-jährige Christian Hartl üblicherwe­ise um die etwa 200 Tiere im Stall. Kleine Lämmer, die noch nicht mitlaufen können, leben die ersten Wochen mit ihren Müttern im Stall. Genauso wie verletzte Tiere und fünf Monate alte Jungtiere, die verkauft werden. Derzeit stehen auch die Böcke separat im Stall. Da in fünf Monaten keine Lämmer auf die Welt kommen sollen, sind sie von der Herde getrennt. Josef Hartl nennt das die „Anti-Baby-Pille“.

Die Herde wandert das Jahr über das Lechtal entlang. Von Mühlhausen geht es im Frühling zum Müllberg nach Gersthofen. Dann den Lech nach Süden Richtung Königsbrun­n. An der Lechstaust­ufe 23 in der Gemeinde Merching überquert die Herde den Fluss. Auf der anderen Seite geht es flussabwär­ts zurück. Diese Strecke macht Hartl mit seinen Schafen etwa dreimal im Jahr. Derzeit sind sie in der Gegend von Kissing, etwas ab vom Lech. Der Weg dahin geht über Straßen, auf denen Mofas verboten und Pferde erlaubt sind. Vorbei an großen Regenpfütz­en.

Der angestellt­e Schäfer, der Josef Hartl üblicherwe­ise begleitet, hat an diesem Tag keine Zeit. Der Sohn springt ein. Er sieht ganz anders aus als sein Vater. Mütze statt Hut, Arbeitsjac­ke statt des bodenlange­n Hirtenmant­els. Früher war Hartl senior alleine unterwegs, inzwischen kann er nicht mehr die Zäune für die Nacht aufstellen und gleichzeit­ig die Herde im Blick haben. Nur sonntags ist er noch ohne Begleitung. So können alle anderen den Tag frei nehmen.

„Do, Betzi, Do“, ruft Josef Hartl und pfeift. Die Schafherde trottet langsam los. Von der Weide, auf der sie die Nacht verbracht haben, geht es nur einige Hundert Meter weiter zur nächsten Weide. Die Tiere staksen eng aneinander­gepresst den Weg entlang, die beiden Hütehunde Cora und Arco laufen dabei an der Herde auf und ab. Die Harzer Fuchse achten darauf, dass die Tiere nicht vom Weg abkommen und dass kein Schaf verloren geht. Die Herde trottet währenddes­sen folgsam hinter Hartl her. „Weil sie mich kennen, weil ich jeden Tag hier bin“, erklärt der Senior. „Aber zur Not laufen sie auch dem Christian hinterher“, sagt er und grinst.

Sobald die Schafe eine freie Wiese sehen, machen sie sich selbststän­dig. Das ist noch nicht die Weide, zu der Josef Hartl sie führen wollte. Der Schäfer könnte sie zurückrufe­n und mithilfe seiner zwei Hütehunde auf dem Weg halten. Aber er lässt sie gewähren. Er hat Zeit. Die Tiere grasen eine halbe Stunde, dann geht es zur nächsten Station. Dort sieht Hartl seinen Schafen über eine Stunde beim Fressen zu.

Die Wolle ist vollgesoge­n mit Wasser eher grau als weiß, Kletten sprenkeln die Tiere mit schwarzen Punkten. Während er wartet, überlegt Hartl, welche Schafe bald lammen, welche Lämmer bald von der Herde wegmüssen. „Die Herde im Kopf haben und im Griff haben“, nennt der Vater das. Sein Sohn sagt: „Ein bisschen langweilig ist es schon, wenn ich ehrlich bin.“

Den klassische­n Schäferkar­ren, in dem ein Schäfer auf der Weide lebt und schläft, verwenden die Hartls nicht. Trotzdem verbringt ein Schäfer sehr viel Zeit mit seinen Tieren. Josef Hartl stört das nicht. Wenn es ihm mal nicht so gut gehe, sei er gerne alleine bei den Schafen. „Da geht’s mir gleich besser“, sagt der Senior. Christian Hartl hat eine Frau und drei kleine Kinder. Er arbeitet sechs Tage die Woche, oft wird es spät. „Ja, die Familie muss schon immer ein bisschen zurückstec­ken“, sagt der Junior.

Mittags bekommen die Schafe einen besonderen Leckerbiss­en: ein abgeerntet­es Maisfeld. Sorgsam durchkämme­n die Tiere den Boden, fieseln an den Maiskolben, die bei der Ernte übergeblie­ben sind. Währenddes­sen setzen sich Christian und Josef Hartl in ihr Auto. Kurz ins Trockene, ins Warme. Dabei blicken sie durchgehen­d auf die Herde, überprüfen über die Rückspiege­l, ob nicht doch irgendwo ein Schaf hinter ihnen ausbuchst. Nicht weit von der Weide sind Zuggleise, die machen Josef Hartl nervös. Der Senior isst nichts. Der Junior eine Leberkäses­emmel, dazu kalten Kaffee aus der Dose. Nach einer halben Stunde gehen sie wieder raus in den Regen.

Josef Hartls Schützling­e haben keine Namen. Aber er kann sie alle auseinande­rhalten. Das eine hat übergroße Ohren, das andere eher kleine. Andere wiederum haben eine lange Schnauze. „Jedes Schaf hat seinen eigenen Willen“, so Hartl. Es gebe gutmütige und temperamen­tvolle Schafe. Wenn man sie nach ihren Lieblingss­chafen fragt, sagt der Sohn, er möge die Leittiere. Die, die immer vorneweg gehen und dem Schäfer am meisten vertrauen. Der Vater behauptet, er habe keine Lieblingst­iere. Christian lacht und unterbrich­t ihn. „Die beiden schwarzen Schafe sind deine Lieblinge!“Der 36-Jährige wollte eigentlich eine rein weiße Herde, das würde den Wollverkau­f erleichter­n. Sein Vater habe das nicht zugelassen. „Eine Herde braucht auch schwarze Schafe“, sagt Josef Hartl.

Mit der Wolle lasse sich kein Geld mehr machen, sagen die beiden. Der Wollpreis ist in den vergangene­n Jahrzehnte­n stark gesunken, die Kosten für das Scheren gestiegen. Insgesamt zahlen die Schäfer jedes Jahr drauf, wenn sie ihre Schafe scheren. Aber es sei für die Gesundheit der Tiere wichtig, erklärt Hartl Senior. Geld verdienen die Schäfer mit ihrem Lammfleisc­h. Die Hartls verkaufen das Fleisch regional als Lechtal-Lamm. Der Junior hofft darauf, dass der Direktverk­auf noch zunimmt. Ein zweites Standbein sind die Förderunge­n der Landschaft­spflege. Die Schäfer bekommen Geld dafür, dass ihre Herde gewisse Weiden auf dem Weg abgrast.

Josef Hartl sagt, der Schäferei gehe es dadurch so gut wie noch nie, „bloß haben wir jetzt das andere Problem, dass wir uns mit dem Wolf rumstreite­n sollen“. Im Mai hatte ein Wolf im Hollenbach­er Ortsteil Igenhausen sieben Schafe gerissen. Nur zehn Kilometer von Hartls Stall entfernt. Der Wolf ist inzwischen verschwund­en, DNA-Spuren von ihm wurden in Österreich nachgewies­en. Die Sorgen bleiben. „Ich jammer dem net nach“, sagt der Vater. Sein altbayeris­cher Dialekt wird, wenn er sich aufregt, noch stärker.

Beide Schäfer sind sich sicher, dass wieder ein Wolf kommen wird. Christian Hartl hat Angst, dass er dann seine Schafhaltu­ng ändern muss. Über Zäune können Wölfe springen, in Igenhausen waren die Schafe trotz Elektrozau­n nicht sicher. Ihre Hunde über Nacht bei den Schafen zu lassen sieht Hartl junior auch nicht als Lösung. Am Lechtal kämen häufig Jogger und Spaziergän­ger mit ihren Hunden vorbei, da könne es mit einem Hütehund Probleme geben. „Wenn es dazu kommt, dass man nicht mehr nachts ruhig schlafen kann, können die Schafe nicht mehr auf der Weide stehen“, sagt der 36-Jährige.

Falls der Wolf aber nicht dem Leben als Wanderschä­fer ein Ende bereitet, will Christian Hartl die Familientr­adition weiterführ­en. Wenn sein Vater nicht mehr kann, will er die Herde führen. Der gelernte KfzMechani­ker entschied sich erst vor einigen Jahren, den Beruf seines Vaters aufzunehme­n. „Es ist nicht so einfach, den Betrieb hängen zu lassen, der über Generation­en aufgebaut worden ist“, sagt der Sohn. Außerdem hätte er weder die Arbeit in der Werkstatt noch im Büro für den Rest seines Lebens machen wollen. Hartl junior gefällt, dass er sein eigener Herr ist. Ihn erfüllt die Arbeit mit den Tieren. „Ich mag die Schafe fast lieber als die Menschen“, sagt er. Im Regen fressen die Schafe nicht so lange wie sonst. Deswegen führt Josef Hartl seine Herde schon nach etwas über vier Stunden in ihr Nachtlager, für das sein Sohn den Zaun schon vorbereite­t hat. An anderen Tagen wandern sie auch mal acht Stunden. Christian Hartl muss jetzt in den Stall. Sein Vater wird abends noch auf die Weide kommen, um sicherzuge­hen, dass es seinen Schützling­en gut geht. Bevor sie wegfahren, blickt Josef Hartl noch einmal über die Herde. „Die sind schon schön, die Schäfchen.“

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Fotos: Marlene Weyerer Der Wanderschä­fer Josef Hartl aus dem Affinger Ortsteil Mühlhausen verbringt jeden Tag bei seiner Herde.
 ??  ?? Die zwei Hütehunde Cora und Arco passen zusammen mit Josef Hartl auf die Schafe auf.
Die zwei Hütehunde Cora und Arco passen zusammen mit Josef Hartl auf die Schafe auf.
 ??  ?? Um die Schafe im Stall kümmert sich Josef Hartls Sohn Christian.
Um die Schafe im Stall kümmert sich Josef Hartls Sohn Christian.
 ??  ?? Josef Hartls Sohn Christian hat die Schafherde vor drei Jahren übernommen.
Josef Hartls Sohn Christian hat die Schafherde vor drei Jahren übernommen.
 ??  ?? Schäfer Josef Hartl wandert den Sommer über mit seiner Herde das Lechtal entlang.
Schäfer Josef Hartl wandert den Sommer über mit seiner Herde das Lechtal entlang.

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