Erzieher in der Pandemie
Bürokratie, neue Regeln und Änderungen beinahe täglich, gestresste Eltern und die ständige Angst, sich selbst mit Covid-19 zu infizieren: So sieht der Arbeitsalltag der Erzieherinnen in den Bobinger Kindertagesstätten aus
Bürokratie, neue Regeln, gestresste Eltern: Erzieher sind in der Corona-Krise am Limit. So sieht der Arbeitsalltag in Bobinger Kindertagesstätten aus. »Lokales
Bobingen „Irgendwann ist eine Grenze erreicht“, sagt Claudia Lautenbacher. Sie leitet den evangelischen Kindergarten in Bobingen. Barbara Helbig, ihre Kollegin aus der katholischen Einrichtung St. Felizitas stimmt ihr zu. „Vor lauter Änderungen und Bürokratie vergisst man fast, dass es eigentlich um Kinderbetreuung geht.“
Die Mitarbeiterinnen der Kinderbetreuungseinrichtungen fühlen sich allein gelassen. Sie sind an den Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit angekommen. Das sagen sie ganz offen. Während ständig über Schulen diskutiert werde, hieße es für die Kindertagesstätten einfach nur: offen halten. Das Sozialministerium von Carolina Trautner spiele ihrer Ansicht nach eine unrühmliche Rolle.
„Es werden Richtlinien verfasst, die, kaum haben wir sie umgesetzt, wieder verändert oder gestrichen werden“, sagt Barbara Helbig. Das Ministerium ändere die Anforderungen je nach Lage. Bis die Informationen dann über den Landkreis und die Gesundheitsämter zu den Einrichtungen kämen, könne es dauern. Als Beispiel für die Belastungen nannten die beiden Leiterinnen die Regelung zum Besuch der Kindergärten.
Kinder dürfen mit leichten Erkältungssymptomen die Tagesstätte besuchen. Dies sei von den Leiterinnen zunächst auch begrüßt worden, da gerade im Herbst leichter Husten oder Schnupfen kaum auszuschließen wären. Bei den Betreuerinnen schaut es anders aus: Seit Mitte November sollten sie bei leichten Erkältungssymptomen sofort für 24 Stunden daheim bleiben und nur mit Corona-Negativtest zurückkehren. Das Problem: Manche mussten bis zu acht Tage auf das Ergebnis des Tests warten. Mehrarbeit also für alle, die noch einsatzbereit waren. Kurz darauf wurde die Richtlinie geändert. Jetzt sollen die Mitarbeiter 48 Stunden nicht zur Arbeit kommen und bei Abklingen der Symptome wieder in die Arbeit – auch ohne Negativtest.
Sammelgruppen im Früh- oder Spätdienst waren nicht erlaubt, was zu Kürzungen der Öffnungszeiten führte, da nicht genügend Personal zur Verfügung stand. Nun sei die Mischung der Kinder in der Rand
wieder erlaubt worden. In der Kernzeit seien die Gruppen jedoch weiterhin strikt zu trennen. Das ergebe hinsichtlich einer möglichen Infektion überhaupt keinen Sinn. Darum haben die beiden Einrichtungen in Bobingen auch an der ganztägigen Trennung festgehalten. „Langsam versteht das kein Mensch mehr“, sagt Claudia Lautenbacher. Es entstehe der Eindruck, dass es nicht mehr um die Gesundheit, sondern um die Aufrechterhaltung der Betreuung um jeden Preis gehe. Doch damit nicht genug.
Mittlerweile sehen sich die Mitarbeiter der Betreuungseinrichtungen mit einer Vielzahl von Dokumentierungspflichten konfrontiert. Denn über das normale Maß an Dokumentation hinaus. „Wir müssen jedes Kind am Morgen sichten“, erklärt Claudia Lautenbacher. Dabei müsse festgestellt werden, ob das Kind gesund sei, oder ob es leichte oder schwerwiegendere Erkältungssymptome zeige. Dann müssten auch die Eltern befragt werden. Das Ganze müsse dann dokumentiert werden. Jeden Tag, für jedes Kind. Aber: „Wir sind keine Ärzte. Wo ist die Grenze von leichten zu mittleren Erkältungssymptomen? Und ab wann besteht bei Husten ein Corona-Verdacht?“Hier würden die Grenzen des Zumutbaren erreicht, sind sich die Leiterinnen der Bobinger Kindertagesstätten einig. Denn: „Wir haben schon in normalen Zeiten eine dünne Personaldecke.“
Auf Nachfrage teilt das Familienministerium mit: „Das Familienministerium hat in Abstimmung mit dem Gesundheitsministerium bei der Frage, ab wann Beschäftigte mit nur leichten Symptomen wieder eingesetzt werden dürften, sehr rasch auf die Kritik aus der Praxis reagiert.“Es seien zahlreiche Rückmeldungen eingegangen, dass ärztliche Atteste oder negative Coronazeitenbetreuung
Tests nicht durchgängig zeitnah zu erhalten gewesen wären. Die neue Regelung wäre in Abstimmung mit dem Landesamt für Gesundheit erarbeitet worden. Sie ermögliche es, dass auch Beschäftigte mit leichten Symptomen schneller wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren könnten.
Das sei eher zum Vorteil der Beschäftigten. Zum Vorwurf der Durchmischung von Früh- und Spätgruppen erklärt die Behörde: „Auch bislang waren entsprechende Früh- oder Spätgruppen zulässig, so nicht vom örtlichen Gesundheitsamt anders angeordnet. Daran hat sich nichts geändert. Die Zulässigkeit wurde lediglich noch mal zur Vermeidung von Missverständnissen klargestellt.“Staatsministerin Carolina Trautner sieht das Ministerium auf einem guten Weg: „Mir liegt es sehr am Herzen, dass unsere Kinder so lange wie möglich ihre Kitas besuchen können. Unseren bisherigen
Weg der Vorsicht und Umsicht wollen wir beibehalten.“
Birgit Meißle, Vorsitzende des Elternbeirates, sieht ebenfalls Probleme im derzeitigen Ablauf: „Für uns als Eltern ist es natürlich wichtig, dass die Betreuungseinrichtungen geöffnet bleiben, aber nicht auf dem Rücken der Erzieherinnen.“Ein weiteres Problem sei, dass sich bei den Richtlinien nicht mit den Schulen abgestimmt werde. „Ich habe ein Kind in der Grundschule und eines in der Kita.“Somit müsse sie ständig zwei unabhängige Einrichtungen im Auge behalten. Für die Eltern sei dies ein ständiger Balanceakt. „Wir sind bereit, unseren Beitrag zur Pandemie-Bekämpfung zu leisten. Aber wir brauchen Stabilität.“Und: „Da muss sich niemand wundern, wenn Eltern auch mal gestresst reagieren. Doch leider trifft das dann wieder die, die es am wenigsten verdient haben: die Betreuerinnen der Kitas.“