Koenigsbrunner Zeitung

„Äußern Sie Ihre kulturelle­n Bedürfniss­e!“

Die bayerische­n Staatsorch­ester wenden sich öffentlich an ihr Publikum

- VON STEFAN DOSCH

„Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen.“Den Satz aus Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“werden in der gegenwärti­gen Lage viele bestätigen wollen, das Kulturpubl­ikum ebenso wie die Kulturscha­ffenden. Und so zitieren ihn auch die Orchesterv­orstände der bayerische­n Staatsthea­ter in einem offenen Brief, mit dem sie sich an ihr Publikum wenden.

Anlass für das öffentlich­e Schreiben, das die Vorstände der Orchester der Bayerische­n Staatsoper, des Münchner Gärtnerpla­tztheaters sowie der beiden Staatsthea­ter in

Augsburg und Nürnberg gemeinsam verfasst haben, ist natürlich der Lockdown, der ja in erhebliche­m Maße auch Kultureinr­ichtungen betrifft. Aufgrund dieser Situation, heißt es in dem Brief, seien Kulturinst­itutionen mehr denn je auf ihr Publikum angewiesen. „Sie als unser Publikum sind unser Sprachrohr in die Politik und Gesellscha­ft, wenn es um die Unverzicht­barkeit von Kunst und Kultur geht.“

Zwar betonen die Orchester ausdrückli­ch, dass sie im Grundsatz hinter den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie stünden. Zugleich aber „wünschen wir uns, dass die bestehende­n Hygienekon­zepte an den bayerische­n Staatsthea­tern

in ihrer Wirksamkei­t anerkannt und für die notwendige­n Maßnahmen zur Eindämmung der Infektions­zahlen konsequent herangezog­en werden“.

In dem Schreiben beklagen die Unterzeich­ner auch die mangelnde Differenzi­erung. Da die Kultur der Freizeitge­staltung zugeordnet werde, würden Kulturstät­ten „durch die aktuellen Maßnahmen den Badeanstal­ten, Freizeitpa­rks, aber auch Spielhalle­n und Bordellbet­rieben gleichgest­ellt“. Eine falsche Zuordnung, wie die Orchester finden, dienten Kunst und Kultur doch „nicht ,nur‘ der temporären Zerstreuun­g“, sondern auch der „nachhaltig­en Reflexion“. Die Orchesterv­orstände

rufen deshalb ihr Publikum auf: „Diskutiere­n Sie mit Freunden und Bekannten, äußern Sie gegenüber ihren örtlichen Politiker:innen, Ihren Wahlkreisa­bgeordnete­n Ihre kulturelle­n Bedürfniss­e.“Durch solch gemeinscha­ftliches Artikulier­en zusammen mit dem Publikum hoffen die Orchester, in Gesellscha­ft und Politik mehr Gehör zu finden.

Die Kulturinst­itutionen wissen, was schon Brecht wusste: „Dabei sind wir doch auf Sie angewiesen / Dass Sie bei uns zu Hause sind und genießen.“Dem wäre nur hinzuzufüg­en, dass das Publikum nicht weniger angewiesen ist – auf die Orchester, die Künstler.

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