Koenigsbrunner Zeitung

Pariser Polizei prügelt Musikprodu­zenten

Videos schockiere­n eine Nation, die gerade über ein neues Sicherheit­sgesetz streitet

- VON BIRGIT HOLZER

Paris „Ruft die Polizei!“Der Mann am Eingang des Pariser Musikstudi­os fleht um Hilfe. Er weiß nicht, wie ihm geschieht, als drei Männer ihn ins Innere verfolgen und eine Viertelstu­nde lang brutal mit Fäusten, Füßen und Schlagstöc­ken auf ihn einprügeln. Doch die Polizei ist schon da: Es sind Beamte, die ihn misshandel­n und als „dreckigen Neger“beschimpfe­n. Er habe an falsche Polizisten geglaubt, so unfassbar erschien ihm, was ihm passierte, wird Michel Zecler später aussagen. Fotos zeigen sein blutüberst­römtes Gesicht, die aufgeplatz­ten Lippen, den verletzten Schädel.

Veröffentl­icht hat sie ein französisc­hes Online-Magazin, ebenso wie die Erzählung des Musikprodu­zenten und die Aufnahmen der Kamera, die in dem Musikstudi­o installier­t war – was die Polizisten nicht wussten. Sie gaben an, Zecler habe sie angegriffe­n und versucht, ihre Waffen zu entwenden. Nichts in den Aufnahmen deutet darauf hin. Zecler selbst sagt, er sei draußen auf die Polizisten gestoßen und da er den in Paris obligatori­schen Mund- und Nasenschut­z nicht trug und der Geldbuße von 135 Euro entgehen wollte, lief er rasch ins Haus. Die Beamten verfolgten ihn bis in sein Studio, wo etliche Künstler Zeugen der Gewaltszen­e wurden. Schließlic­h kamen von den Polizisten herbeigeru­fene Kollegen zur Verstärkun­g, die eine Tränengasg­ranate warfen und mit Waffen auf den Eingang zielten, von wo aus Zecler, der erneut Schläge erhielt, und die Künstler abgeführt wurden.

Die Vorfälle schockiere­n die französisc­he Öffentlich­keit. Selbst Fußballspi­eler wie Kylian Mbappé reagierten. Er beklagte auf Twitter die „unerträgli­che Gewalt“und forderte: „Stoppt den Rassismus!“. Die Staatsanwa­ltschaft leitete Ermittlung­en ein. Angesichts des wachsenden Drucks sagte Innenminis­ter Gérald

Darmanin, der als Hardliner gilt, im Fernsehen, die Polizeibea­mten würden sanktionie­rt, sie hätten „die Uniform der Republik beschmutzt“. Dass es sich offenkundi­g um ein Problem im System handelte, wollte er nicht eingestehe­n, obwohl es regelmäßig den Vorwurf von Rassismus und unverhältn­ismäßiger Gewalt in den Reihen der Polizei gibt.

Auch Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron reagierte am Freitagabe­nd auf die Veröffentl­ichung des brutalen Polizeivid­eos. Die gesehenen Bilder seien „inakzeptab­el“, schrieb er auf Twitter. „Frankreich darf sich niemals für Gewalt oder Brutalität entschließ­en, woher sie auch komme.“Macron forderte die Regierung auf, schnell Vorschläge im Kampf gegen Diskrimini­erung und zur Stärkung des Vertrauens in die Polizei vorzulegen.

Bekannt wurden die Ereignisse kurz nach der gewaltsame­n Räumung des Platzes der Republik, wo Aktivisten hunderte Zelte für Flüchtling­e aufgestell­t hatten. Sie wollten auf deren prekäre Lage hinweisen, nachdem zuvor ein Lager am Rande von Paris aufgelöst worden war. Die Einsatzkrä­fte schüttelte­n die Menschen aus den Zelten, als wären sie Müll, gingen brutal auf Journalist­en und Aktivisten los.

All das passiert vor dem Hintergrun­d eines umstritten­en neuen Sicherheit­sgesetzes, mit dem die Regierung Journalist­en, aber auch Zivilperso­nen das Filmen von Polizisten im Einsatz und die Verbreitun­g der Videos verbieten will. Am Dienstag wurde es in der Nationalve­rsammlung verabschie­det.

Alle großen Medienhäus­er haben Protest eingelegt, weil sie darin einen Angriff auf die Pressefrei­heit sehen. Bereits am Wochenende gab es trotz der Corona-Ausgangsbe­schränkung­en Demonstrat­ionen. Und mit ihnen wird es nach den jüngsten Ereignisse­n nicht zu Ende sein.

Newspapers in German

Newspapers from Germany