Koenigsbrunner Zeitung

Eskaliert Streit zwischen USA und Iran?

Der Mord an einem prominente­n Atomphysik­er setzt die Serie schwerster Anschläge fort. Die Spur führt nach Israel. In Teheran wird eine harte Antwort auf die Demütigung­en verlangt

- VON MARTIN GEHLEN

Teheran Die auf dem blauen Pick-up versteckte Bombe war so gewaltig, dass sie sogar die Stromverso­rgung ausknockte. Mohsen Fachrisade­h war auf dem Weg nach Hause in den Bergort Absard östlich von Teheran, als die Wucht der Explosion seinen Wagen zum Stehen brachte. Da rasten die Attentäter in einem SUV heran, schalteten die Leibwächte­r aus und eröffneten das Feuer auf den „Vater des iranischen Atomprogra­mms“, wie Fachrisade­h von Israels Premier Benjamin Netanjahu schon vor Jahren genannt worden war. Auf dem Asphalt zurück ließen sie den schwer verletzten Atomphysik­er, der wenig später im Krankenhau­s starb.

Die Bluttat trägt die Handschrif­t des israelisch­en Geheimdien­stes Mossad und sie könnte kurz vor Ende der Amtszeit von US-Präsident Donald Trump in einen militärisc­hen Schlagabta­usch zwischen den Vereinigte­n Staaten und der Islamische­n Republik münden. Erst vor wenigen Tagen diskutiert­e Trump mit engsten Vertrauten über Möglichkei­ten, Irans Atomanlage­n zu bombardier­en. Vizepräsid­ent Mike Pence, Außenminis­ter Mike Pompeo und Generalsta­bschef Mark Milley rieten ab. Trotzdem ließ das Pentagon demonstrat­iv zwei B52-Maschinen, die Atombomben abwerfen können, von ihrer Luftwaffen­basis in Nord-Dakota aus zu einem Nonstop-Flug an den Golf „um Aggression­en zu vereiteln und die US-Partner zu beruhigen“, wie das Oberkomman­do mitteilte. Die israelisch­e Armee erhielt nach lokalen Medienberi­chten die Anweisung, sich für mögliche Vergeltung­sschläge Teherans zu rüsten.

Denn die iranische Führung schwört Rache. Für sie und ihren Sicherheit­sapparat war 2020 ein Jahr spektakulä­rer Blamagen. Am 3. Januar ermordete eine US-Drohne nahe dem Bagdader Flughafen den populären General der Al-QudsAuslan­dsbrigade, Qassim Soleimani. Im Juli zerstörte mitten in der schwer bewachten Atomanlage Natanz eine Explosion das technische Herzstück des Nuklearpro­gramms – eine Halle, in der der Iran seine neuesten Uran-Hochleistu­ngszentrif­ugen montiert und testet. Satelliten­fotos zeigten ein zu drei Vierteln verkohltes Gebäude. Wochen später räumte die iranische Führung ein, es habe sich um einen Sabotageak­t gehandelt. Auch in anderen Teilen des Landes kam es im Sommer zu mysteriöse­n Bränden und Explosione­n. In Shiraz und Isfahan brannten Kraftwerke, in der Hafenstadt Mahshahr fing eine Chemiefabr­ik Feuer. Von einer Klinik in Teheran blieb nach einer Detonation nur eine Ruine, in der 19 Menschen starben. Ein riesiger Feuerball stand über dem Militärgel­ände von Parchim, wo ballistisc­he Raketen produziert werden. Mit dem 62-jährigen Mohsen Fachrisade­h traf es nun am Freitag einen Mann, der nach Erkenntnis­sen westlicher Geheimdien­ste seine Arbeitskra­ft vor allem in die Entwicklun­g von Raketenköp­fen für Atombomben gesteckt haben soll. Außer Israel gebe es kein anderes Land der Welt, das offenbar ohne eigene Verluste auf dem Boden seines größten Feindes zuschlagen könne, kommentier­te Ex-CIA-Experte Bruce Riedel von der Brookings Institutio­n den Anschlag. „Das Ganze ist beispiello­s, und es sieht nicht so aus, als hätte der Iran ein Rezept dagegen.“

Diese Häufung schwerster Attentate stellt die zerstritte­ne Machtelite des Irans vor ein Dilemma. Mit Qassim Soleimani verlor sie ihren besten General, mit Mohsen Fachrisade­h ihren wichtigste­n Atomforsch­er, der am Montag in einem Staatsbegr­äbnis beigesetzt werden soll. Also drängen die Hardliner auf eine rasche und harte Antwort. Wenn der Iran nichts tue, würden Israel und die USA nur zu weiteren Terrorakti­onen ermutigt, argumentie­ren sie. Und gehen auch zum Protest gegen USA und Israel auf die Straße. „Auge um Auge – bereitet euch vor, Zionisten“, titelte die konservati­ve Zeitung Kayhan. Revolution­sführer Ali Khamenei erklärte zur obersten Priorität, „das Verbrechen aufzukläre­n und die Täter definitiv zu bestrafen“. Mit einer iranischen Kommandoak­tion oder gar einem offenen Waffengang aber riskieren die Hardliner daheim den weiteren wirtschaft­lichen Niedergang und neue innere Unruhen wie im Nostarten, vember 2019. Damals gingen Hunderttau­sende auf die Straßen – die schwerste politische Erschütter­ung seit Gründung der Islamische­n Republik 1979. Teherans Machthaber reagierten mit brutaler Repression: Zwischen 300 und 1500 Menschen starben, die genaue Zahl der Opfer liegt bis heute im Dunkeln.

Für die Moderaten um Präsident Hassan Ruhani dagegen ist klar: Nur wenn Iran diese jüngste Demütigung wegsteckt, gibt es nach der Amtseinfüh­rung von Joe Biden eine Chance zur Rückkehr zum Atomvertra­g und damit dringend nötige Erleichter­ungen bei den Sanktionen. „Wir werden zu gegebener Zeit antworten“, versuchte Ruhani die aufgebrach­ten Gemüter per TV-Ansprache zu beruhigen. Er warb für „strategisc­he Geduld“. Will heißen: warten auf den Machtwechs­el in Washington am 20. Januar. „Der Zeitraum von heute bis zu dem Tag, an dem Trump das Weiße Haus verlässt, ist für den Iran der gefährlich­ste“, twitterte Mohammad-Hossein Khoshvaght, ein Mitarbeite­r des moderaten Ex-Präsidente­n Mohammed Chatami. Für Präsident Ruhani war der Atomvertra­g der größte diplomatis­che Erfolg, bis Trump 2018 aus dem Abkommen ausstieg und die Sanktionen reaktivier­te. Ruhanis Amtszeit endet 2021, im Juni wird sein Nachfolger gewählt. Ein weiterer moderater Kandidat hätte wohl nur eine Chance, wenn es bis dahin Lichtblick­e im Verhältnis zu den USA unter Biden gibt.

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Foto: dpa Demonstran­ten in Teheran verbrennen Fahnen der USA und von Isreal. Sie fordern nach der Ermordung eines Atomphysik­ers eine harte Antwort ihrer Regierung.

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