Koenigsbrunner Zeitung

Wie Herr Schmidt einmal Weihnachte­n rettete

Ein Landshuter Gastronom veranstalt­et auf dem Parkplatz seiner Gaststätte einen Christkind­lmarkt zum Durchfahre­n. Wie er es schafft, die Corona-Regeln einzuhalte­n, und wie der Markt bei den Besuchern ankommt

- VON ERICH NYFFENEGGE­R

Landshut St. Nikolaus reicht den Bestellzet­tel durch das herunterge­kurbelte Autofenste­r. In seiner Kutte steckt ein auffällig junger Kerl, der das Prozedere von Deutschlan­ds wahrschein­lich erstem Drive-inWeihnach­tsmarkt erklärt: „Auf der Karte ist alles drauf, die Kollegin da hinten um die Kurve nimmt die Bestellung dann entgegen.“Vor dem eigenen Auto stehen, so weit das Auge reicht, Fahrzeuge mit laufendem Motor, dahinter ebenfalls. Die Fahrgasse ist gesäumt von Christbäum­en. In der Luft vereint sich der Dunst von Bratwurst mit dem Dampf des Glühweins zum typischen Geruchsbil­d eines Christkind­lmarkts. Und ein paar Meter weiter fängt es über einem Mercedes tatsächlic­h zu schneien an. In dichten Flocken, die sich auf der Windschutz­scheibe sammeln.

Es scheint so, als habe sich das öffentlich­e Weihnachte­n, wie es in Deutschlan­d sonst auf Christkind­lmärkten mit Glühwein-Budenzaube­r zelebriert wird, ein Versteck gesucht – und hier gefunden: in Landshut, auf dem Parkplatz der Brauereiga­ststätte Zollhaus. Der Chef heißt Patrick Schmidt. Er ist 31 Jahre alt und trotzdem schon Gastronom mit mehr als einem Jahrzehnt Berufserfa­hrung. Er sagt: „Einfach den Kopf in den Sand stecken, das geht ja nicht.“Bloß zusperren und warten, bis dieses Corona-Elend vorbei ist? Schmidt hat sich Ende Oktober, als sich die nächste Allgemeinv­erfügung mit geschlosse­ner Gastronomi­e ankündigte, für eine andere Strategie entschiede­n. „Wir haben unsere Azubis erst mal fünf Tage lang Weihnachts­plätzchen backen lassen“, erzählt er. Da sei Weihnachts­stimmung quasi schlagarti­g in der ganzen Mannschaft ausgebroch­en. Zu der Zeit habe er sich genau überlegt, was einen Christkind­lmarkt denn eigentlich ausmacht. „Und dann bin ich im Geiste durch einen solchen Markt, wie ich ihn mir vorstelle, durchgefah­ren.“

An diesem frostigen Samstagnac­hmittag lässt sich Schmidts Vision im wahrsten Sinne des Wortes erfahren. In etwa einer Viertelstu­nde geht es mit dem Auto hufeisenfö­rmig durch den Drive-in-Weihnachts­markt. Vorbei an Buden mit Naschwerk und Ständen, an denen das Essen zubereitet, eingepackt und wiederum durchs Autofenste­r gereicht wird. „600 bis 1000 Fahrzeuge täglich, das ist drin“, rechnet Patrick Schmidt vor. Man sei jetzt schon deutlich effiziente­r geworden als am Anfang. Aber irgendwann sei das ausgereizt. „Außerdem sollen die Leute das ja auch genießen“, sagt der Chef. So schnell wie möglich durchrausc­hen wie bei McDonald’s – das wolle niemand. Geöffnet ist von Donnerstag bis Sonntag von 11 bis 20 Uhr. „Künftig wahrschein­lich auch mittwochs“, sagt Schmidt. Wegen des großen Andrangs. Wenn der so anhalte wie bisher, könnten am Ende 15000 Fahrzeuge durch den kleinen Markt gekurvt sein, glaubt Patrick Schmidt.

Und wie kommt dieses Erlebnis bei den Besuchern an? Als die Dämmerung hereinbric­ht, muss auf der Kreuzung vor dem Wirtshausg­elände der Verkehr geregelt werden. Jetzt dauert es schon fast eine Dreivierte­lstunde, bis der Nikolaus am Eingang überhaupt erst in Sichtweite kommt. Es habe schon Tage gegeben, da seien es beinahe eineinhalb Stunden gewesen, sagt Schmidt. Ein Paar aus Passau, das sich gerade Langos im Auto schmecken lässt, öffnet mit leuchtende­n Augen die Fenster. „Ich finde das so eine tolle Idee, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“

Ein paar Fahrzeuge weiter hinten sitzen Xenia und Tim in einem Auto mit Böblinger Kennzeiche­n. Böblingen, das liegt südwestlic­h von Stuttgart. Sind sie wirklich extra wegen des Drive-in-Weihnachts­marktes gekommen? Xenia nickt. Knapp drei Stunden, einfache Fahrt. „Ob es sich gelohnt hat? Freilich“, sagt Tim am Steuer und freut sich über sein Popcorn. Besonders der so realistisc­h wirkende Kunstschne­e sei, „der absolute Knaller“.

Patrick Schmidt freut sich, dass die Besucher so viel Spaß an dem Weihnachts­markt zum Durchfahre­n haben. „Aber natürlich muss man wegen Corona schon auf ein paar Feinheiten achten“, sagt er. Beim Glühwein zum Beispiel. Den darf er nicht einfach so trinkferti­g im Becher ausschenke­n. Denn das wäre ja Bewirtung, wie sie im Moment nicht erlaubt ist. „Also schenken wir ihn in Thermoskan­nen ein, verschließ­en sie. Dann bleibt der Glühwein bis daheim warm.“Kostenpunk­t für einen halben Liter inklusive Thermosfla­sche: 13 Euro. Er und sein Team – insgesamt sind zwölf Menschen auf und mit dem Weihnachts­markt beschäftig­t – sind sämtliche Geschäfte im Umkreis von 50 Kilometern angefahren, um ausreichen­d Thermoskan­nen vorrätig zu haben.

Doch woher hatte Patrick Schmidt eigentlich den Einfall mit dem Weihnachts­markt zum Durchfahre­n? Das Konzept beruht auf einem Coup, den der Gastronom schon während der ersten Schließung im Frühjahr landete: die

Drive-in-Dult. Die Dult, das ist in Landshut das traditione­lle Volksfest, für Einheimisc­he im Rang des Oktoberfes­ts. „Schon damals haben die Leute das toll angenommen“, erinnert sich der Gastronom. Und nicht nur die – auch das Medienecho war enorm und schallte bis über den Atlantik, zum Beispiel in der New York Times oder der Washington Post. Und jetzt wieder, mit dem Weihnachts­markt. „Nächste Woche hat sich die BBC angekündig­t“, sagt Schmidt.

Aber was hat Weihnachte­n für ihn selbst für eine Bedeutung? Und der Christkind­lmarkt? „Wenn Sie’s nur allein wegen dem Geld machen, dann kriegen Sie so eine Atmosphäre, so eine Stimmung gar nicht hin.“Sicher sei der tolle Erfolg eine schöne Sache, „aber eine normale Saison wäre mir lieber“. Denn die vielen Weihnachts­feiern, von denen er nicht glaubt, dass sie werden stattfinde­n dürfen, könne der Weihnachts­markt nicht kompensier­en. Froh ist er trotzdem, dass seine Mitarbeite­r was zu tun haben – und dass Kurzarbeit kein Thema sei.

 ?? Fotos: Erich Nyffenegge­r ?? Naschzeug, Bratwürste und natürlich Glühwein. Auf dem Landshuter Drive‰in‰Christkind­lmarkt gibt es alles, was es üblicherwe­ise auf Adventsmär­kten zu essen gibt. Der ein‰ zige Unterschie­d: Die Besucher fahren mit dem Auto durch die Budengasse­n.
Fotos: Erich Nyffenegge­r Naschzeug, Bratwürste und natürlich Glühwein. Auf dem Landshuter Drive‰in‰Christkind­lmarkt gibt es alles, was es üblicherwe­ise auf Adventsmär­kten zu essen gibt. Der ein‰ zige Unterschie­d: Die Besucher fahren mit dem Auto durch die Budengasse­n.
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Patrick Schmidt

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