„Keine Diagnose durch die Hose“
Die bekannte Ärztin Yael Adler weiß, dass in den Praxen nicht immer alles so läuft, wie es soll. Wie Patienten einen guten Arzt finden und zu ihrer Heilung beitragen können
Frau Dr. Adler, Sie haben das Buch „Wir müssen reden, Frau Doktor! Wie Ärzte ticken und was Patienten brauchen.“geschrieben. Wie war Ihr Tag in der Praxis?
Dr. Yael Adler: Anstrengend. Zurzeit sind zwei meiner Mitarbeiter krank. Da die Praxis trotzdem voll ist, müssen wir länger Sprechstunde machen. Schwierig ist es, wenn es Verzögerungen im Zeitplan gibt und Patienten sauer reagieren, weil sie länger warten müssen.
Wie gehen Sie damit um?
Adler: Wenn ich den Eindruck habe, dass etwas nicht rundläuft, spreche ich es an und sage: Es tut mir leid, dass Sie warten mussten. Das liegt daran, dass wir viele Kranke hatten oder viele Leute in Quarantäne schicken mussten. Ich versuche, Transparenz zu schaffen.
In Arztserien, wie „In aller Freundschaft“oder in der „Schwarzwaldklinik“, erlebt man Ärzte, die Verständnis für die Gefühle ihrer Patienten zeigen und die richtigen Worte finden. Warum fällt das Ärzten im echten Leben oft schwer?
Adler: Gute Frage. Wahrscheinlich sind viele in den Beruf gegangen mit dem Wunsch, Menschen zu helfen. Es kann aber auch sein, dass die Eltern das Prestige wollten oder man ein gutes Abi hatte und nicht wusste, was man sonst machen soll. Vielleicht wäre man auch in der Forschung besser aufgehoben und hat vergessen, dass es in der Medizin viel um Kommunikation und Zwischenmenschlichkeit geht. Oder man ist frustriert über den Mangel an Helfern und Pflegenden, und Zeitmangel und Stress machen einen kaputt.
Woran erkenne ich als Patient, dass der Arzt mir wohlgesonnen ist?
Adler: Ich vergleiche die Beziehung zwischen Arzt und Patient mit einer Liebesbeziehung, einer Partnerschaft. Wenn ich spüre, dass der Arzt mit mir auf Augenhöhe ist, mich ernst nimmt und wertschätzt und sich Zeit nimmt, sich mir mit einer guten Körpersprache, Mimik und Worten widmet, dann habe ich ein Bauchgefühl, das mir sagt: Hier fühle ich mich gut und richtig. In dem Moment, wo etwas im Raum steht, sollte man es ansprechen. Oft fruchtet das auch. Wenn es nicht glückt, muss man sich einen anderen Arzt suchen.
In Deutschland dauert ein Arztbesuch im Schnitt sieben Minuten. Wie kann man in dieser kurzen Zeit überhaupt Vertrauen aufbauen?
Adler: Das ist sehr schwer, weil das viele Patienten Ärzten wie in einer Liebesbeziehung vorwerfen: „Nie hast du Zeit für mich.“Aber ein Arzt, der begabt ist oder es gelernt hat, kann auch in dieser Zeit mit den richtigen Worten und der richtigen Aufmerksamkeit eine Verbindung aufbauen. Wenn man ein ausführliches erstes Gespräch führt, können Wiederholungskontakte kürzer sein, weil man ein gutes Fundament gelegt hat.
Wie kann man als Patient dazu beitragen, dass die Zeit gut genutzt wird? Adler: Wichtig ist, gut vorbereitet zu sein. Man sollte Symptome notiert und ein Tagebuch geführt haben über Schmerzen oder Ernährung. Auch Medikamentenlisten, Laborwerte und Entlassungsbriefe der Klinik sollte man dabeihaben. Trotzdem darf der Arzt nicht dozieren, sondern muss alles so erklären, dass der Patient ihm folgen kann.
Die meisten Patienten bleiben trotz vieler Möglichkeiten, sich zu informieren, medizinische Laien. Wie erkennt man, ob ein Mediziner tatsächlich etwas von seinem Fach versteht?
Adler: Das kann man als Laie kaum erkennen. Ich rate aber ab, sich Bewertungen im Internet anzuschauen, denn die sind sehr oft gefakt. Ich erhalte immer wieder per E-Mail Angebote, ob ich mir gute Bewertungen kaufen oder schlechte rausklagen möchte. Es gibt Toplisten, für die man als Arzt bezahlen muss, um genannt zu werden oder damit werben zu dürfen. Da stecken wirtschaftliches Interesse und nur wenige objektive Kriterien dahinter. Es ist wichtig, sich einen guten Hausarzt zu suchen, der berät und ein Netzwerk an Fachärzten in der Hinterhand hat. Gut ist es, sich bei Freunden und Bekannten umzuhören.
Es gibt Ärzte, die fachlich sehr gut sind, aber menschlich wenig empathisch. Welche Rolle spielt echte Zuwendung für den Patienten im Gegensatz zu den Möglichkeiten einer Apparate-Medizin?
Adler: Eine gute Beziehung zum Patienten schafft Vertrauen, baut Stress ab, sodass das Immunsystem arbeiten kann, und motiviert den Patienten, bei einer Therapie mitzumachen und über seinen Lebensstil nachzudenken. Natürlich brauchen wir auch eine gute Diagnostik. Trotzdem sehnt man sich, wenn einen ein technikgläubiger Arzt durch die Mangel gedreht hat, nach jemandem, der einen auffängt, der einordnet, Mut macht und, wenn es passt, auch mit Humor reagiert. Ich sage, wenn ich merke, dass Patienten sich beim Ausziehen schämen: „Keine Diagnose durch die Hose.“Dann lachen die Patienten, weil sie merken, dass wir diesen Kalauer auch mit anderen machen.
Was macht einen guten Arzt aus? Adler: Er sollte empathisch sein, aber gleichzeitig den Abstand zum Patienten wahren, um ihn objektiv zu betrachten und ihn auf dem schweren Weg der Behandlung zu begleiten. Wichtig ist auch die Leidenschaft für den Beruf. Es ist schwer, doch es wäre schön, wenn ein Arzt im Notfall für seine Patienten erreichbar ist.
Gibt es Dinge, die Ärzte an Patienten nerven?
Adler: Wir mögen es, wenn Patienten ihre Befunde bei sich haben. Schwierig ist, wenn jemand auf Kampf gebürstet ist und mit Vorwürfen kommt. Wir mögen auch nicht, wenn Patienten flunkern, denn Ärzte möchten wissen, warum die Therapie nicht gut angekommen ist, nicht vertragen wurde oder keine Motivation da war. Wir mögen auch nicht, wenn Leute aus Langeweile zum Arzt gehen oder, falls sie verhindert sind, ihre Termine nicht absagen. Oder solche, die eine Krankschreibung wollen, obwohl sie gar nicht krank waren.
Oft wird man als Patient vom Arzt auch rasch unterbrochen, wenn man von seinen Beschwerden erzählt. Adler: Das stimmt. Ärzte unterbrechen ihre Patienten oft schon nach 20 oder 30 Sekunden, anstatt zuzuhören und zu beobachten. Wichtig ist aber auch, dass man gleich sagt, was man besprechen will: Dann kann der Arzt das Gespräch besser strukturieren und schauen, ob er bestimmte Themen zusammenfassen kann. Was wir nicht mögen, ist, wenn der Patient sagt: „Ich vertraue Ihnen zu 100 Prozent. Machen Sie mal.“Das bedeutet, er will keine Verantwortung übernehmen. Aber es ist ganz wichtig, dass er an seiner Heilung mitarbeitet.
Wie wichtig ist eine zweite Meinung? Adler: Das ist besonders bei den IGeL, den individuellen Gesundheitsleistungen, ein Thema. Kann mir der Arzt erklären, warum sie für mich so wichtig sind, oder werden sie schon im Wartezimmer aggressiv beworben? Gerade bei Hüft- und Knieendoprothesen sollte man sich eine Zweit- oder sogar eine Drittmeinung einholen, um zu erfahren, ob eine Operation notwendig ist.
OBuchtipp Dr. med. Yael Adler: „Wir müssen reden, Frau Doktor! Wie Ärzte ticken und was Patienten brauchen.“Droemer Verlag, 368 Seiten, 18 Euro
Yael Adler, 47, Ärztin für Haut und Geschlechts krankheiten, Venenheilkun de und Ernährungsmedi zin (DGEM) in Berlin.