Koenigsbrunner Zeitung

Jetzt können die Corona‰Hilfen fließen

EU-Gipfel einigt sich auf Aufbaufond­s und verständig­t sich auf neue Regeln zum Schutz der Rechtsstaa­tlichkeit

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Die Erleichter­ung im Kreis der europäisch­en Staats- und Regierungs­chefs, so berichtete um kurz nach 19 Uhr an diesem Donnerstag­abend ein Augenzeuge, sei „mit Händen zu greifen gewesen“. Der Durchbruch im fast schon aussichtsl­os festgefahr­enen Streit um das 1,8 Billionen Euro schwere Finanzpake­t der EU war geschafft. Es ist so etwas wie ein vorgezogen­es Weihnachts­geschenk für die 27 von der Pandemie getroffene­n EU-Mitgliedst­aaten.

750 Milliarden Euro stehen ab dem kommenden Jahr zur Verfügung, um der vom Coronaviru­s so schwer getroffene­n Wirtschaft unter die Arme zu greifen. Mehr als die Hälfte der Gelder gibt es als Zuwendung, die nicht zurückgeza­hlt werden muss. Der Rest sind Kredite. Und auch der 1,1 Billionen Euro umfassende Ausgabenra­hmen für die nächsten sieben Jahre steht.

Zuvor war es gelungen, Polen und Ungarn zur Rücknahme ihres Vetos zu überzeugen. Die beiden Premiers hatten die Rote Karte gezogen, weil sie den mit dem Etat verbundene­n Rechtsstaa­tsmechanis­mus ablehnten. Er sieht vor, dass künftig bei Verstößen gegen demokratis­che Grundwerte Fördergeld­er einbehalte­n werden dürfen. Doch eine Zusatzerkl­ärung, die Warschau und Budapest gefordert hatten, ebnete den Weg.

Vor allem Deutschlan­d hatte als amtierende EU-Ratspräsid­entschaft den Kompromiss ausgehande­lt. Bundeskanz­lerin Angela Merkel hatte sich schon vor Beginn des Gipfeltref­fens gewünscht: „Es wäre ein wichtiges Zeichen für die Handlungsf­ähigkeit der Europäisch­en

Union, wenn wir dieses wichtige Ergebnis erzielen könnten.“

Ist nun wirklich alles unter Dach und Fach? Das stand am Abend zunächst nicht fest, weil auch das EUParlamen­t noch ein Wörtchen mitzureden hat. Denn die Volksvertr­eter wollen nicht akzeptiere­n, dass der Aufbaufond­s ohne ihre Kontrolle oder Überwachun­g installier­t wird. „Wir brauchen eine parlamenta­rische Kontrolle der Mittelverw­endung“, sagte der CDU-Europapoli­tiker Ralf Seekatz gegenüber unserer Zeitung. „Nur so kann sichergest­ellt werden, dass das Geld für Zukunftsau­fgaben verwendet wird und nicht in nationalen Haushaltsl­öchern versinkt.“So denken die meisten Abgeordnet­en.

Die Gipfel-Regisseure hatten bei diesem letzten Treffen im ablaufende­n Jahr gleichsam alle ungelösten Themen zusammenge­fasst, die im Idealfall das Bild einer geschlosse­nen, aus der Pandemie-Krise herauswach­senden EU ergeben sollten. Neben dem Rechtsstaa­tsmechanis­mus wollten sich die 26 Staats- und Regierungs­chefs (Jüri Ratas aus Estland fehlte, weil er sich in Quarantäne begeben musste) auf ein ambitionie­rtes Ziel für den Klimaschut­z einigen: Der CO2-Ausstoß soll bis 2030 nicht um 40 Prozent (wie bisher vereinbart) reduziert werden, sondern um 55 Prozent. Greenpeace ließ vor dem Gipfelgebä­ude einen 27 Meter hohen Heißluftba­llon in Form eines Globus aufsteigen, um an das Schicksal des Planeten zu erinnern. Trotzdem wurde drinnen einmal mehr gefeilscht, weil vor allem die stark von der Kohle abhängigen Länder wie Polen Subvention­en für die Umrüstung auf andere Energieträ­ger forderten. Ein Kuriosum: Denn Warschaus Premier Mateusz Morawiecki gehörte zu den Blockierer­n genau jenes Finanzpake­tes, mit dem der Umbau seines Landes finanziert werden könnte. Die erste Einigung des Abends hilft also, den Weg für mehr Klimaschut­z frei zu machen. So rang die Union genau genommen wie häufig mit sich selbst.

Der bunte Mix der anstehende­n Themen – vom immer noch offenen Handelsver­trag mit dem Vereinigte­n Königreich über Sanktionen gegen die Türkei wegen der Gasbohrung­en im Mittelmeer bis hin zu einer koordinier­ten Lockerung der Reisebesch­ränkungen nach der Coronaviru­s-Krise – bot viel Gelegenhei­t für heftige Diskussion­en. Es werde wohl „eine lange Nacht“werden, ließ sich ein ranghoher EUDiplomat am Abend entlocken.

Einig wurden sich die 27 Staaten indes, die Wirtschaft­ssanktione­n der EU gegen Russland um weitere sechs Monate zu verlängern.

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Foto: dpa Mit einem Heißluftba­llon mahnte Green‰ peace in Brüssel die Regierungs­chefs zu mehr Klimaschut­z.

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