Koenigsbrunner Zeitung

Wie die Pandemie Jugendlich­e trifft

Jobverlust in der Corona-Krise: Viele junge Menschen sitzen die Krise aus – an Universitä­ten und weiterbild­enden Schulen. Doch besonders Jugendlich­e mit abgeschlos­sener Ausbildung bleiben zurück

- VON TOM KROLL

Augsburg Den Bachelor mit der Note 1,2 bestanden, den Master mit 1,0. Vor einem Jahr wäre Michael Schuster, 26, mit diesen Noten und seinem Studienfac­h Maschinenb­au ein Traumbewer­ber auf dem Arbeitsmar­kt gewesen. Doch bei MAN, Kuka und Co. kriselt es wegen der Corona-Pandemie, was zur Folge hat, dass Schuster keine Maschinen baut, sondern ein schwarzes Polohemd trägt, auf das ein gelbes Edeka-Logo gestickt ist. Schuster heißt eigentlich anders. Seinen Namen will er nicht in der Zeitung lesen. Hier soll es dennoch um seine Geschichte gehen – und das, was ihn mit anderen jungen Menschen in der Krise verbindet.

Schnellen Schrittes betritt er seinen Arbeitspla­tz, einen Supermarkt in einer Kleinstadt nahe Augsburg. Ein Gruß an die Kollegen, dann geht es los: Die nächsten sechs Stunden wird er dafür sorgen, dass die Kunden des Supermarkt­s im Nachbardor­f seines Elternhaus­es ein gut gefülltes Getränkere­gal vorfinden. Was er hier macht? „Palettensc­hubsen“, sagt Schuster.

Die Jungen haben in der CoronaKris­e ein Problem. Zwar verläuft Covid-19 bei ihnen meist glimpflich, aber die wirtschaft­lichen Folgen treffen sie hart. Vor der Krise trat Arbeitslos­igkeit in jungen Jahren in der Regel dann auf, wenn sich die Jugendlich­en in Übergangsp­hasen befanden. Dann, wenn sie die Schule beendeten und eine Lehrstelle suchten. Wenn das Studium vorbei war und der erste Job gefunden werden musste.

Doch nun hat sich etwas verändert. Detlef Scheele, der Chef der Bundesarbe­itsagentur, nennt das einen „gefrorenen Arbeitsmar­kt“. Gefroren ist er vor allem für die Jungen. Manche Arbeitsmar­ktexperten beschworen gar das Schreckens­bild einer „Generation Corona“herauf, einer Generation also voller schlecht ausgebilde­ter junger Menschen, mit Lücken im Lebenslauf und in der Bildung. Denn es gilt: Wer schlecht in die Arbeitswel­t startet, der hat auch im weiteren Lebenslauf ein höheres Risiko, in prekären Jobs zu landen, und könnte später sogar von Altersarmu­t bedroht sein.

Schaut man auf die Arbeitslos­enzahlen, besteht Grund zur Besorgnis. In den letzten Monaten waren zwischenze­itlich mehr als 40000 Menschen unter 25 ohne Job, so viele wie seit den Krisenjahr­en 2008 und 2009 nicht mehr. Darin nicht eingerechn­et sind Studierend­e, die wie Michael Schuster, der Maschinenb­auer, gar nicht arbeitslos gemeldet sind, sondern wieder bei ihren Eltern eingezogen sind und sich einen Minijob gesucht haben.

Und auch der Ausbildung­smarkt schwächelt. Deutschlan­dweit waren im Mai 463000 Ausbildung­splätze ausgeschri­eben. 46000 weniger als im Vorjahr. Jeder vierte Unternehme­r plant, sich aus der Ausbildung zurückzuzi­ehen, wie der Zentralver­band des Deutschen Handwerks herausgefu­nden hat. Viele Auszubilde­nde wurden nicht übernommen – sie machen den größten Teil der arbeitslos­en Jugendlich­en aus.

30 Minuten vor Schichtbeg­inn. Michael Schuster ist auf dem Weg zu seinem Nebenjob im Supermarkt. Am liebsten wäre er nach dem Studium in eine der größeren Städte Bayerns gezogen. Nun hängt er in der Provinz fest, seine Möglichkei­ten sind geschrumpf­t, was sich an diesem Tag ganz praktisch daran zeigt, dass er eine halbe Stunde vor Schichtbeg­inn an einer Tür rüttelt. Er späht durch die dunklen Scheiben einer Bäckerei. „Ach, die machen hier Mittagspau­se.“

Der Beginn der Pandemie und das Ende seines Studiums fielen zusammen, erzählt der 26-Jährige. Die logische Konsequenz für ihn war, erst einmal zurückzuke­hren in den Heimatort seiner Eltern. „Ich habe ja nichts verdient.“Er sei optimistis­ch gewesen, trotz des Lockdowns. Er sagt, dass er mit seinem Abschlussz­eugnis von der Universitä­t eine Skala überreicht bekommen habe. Darauf war abgebildet, wie sich die Noten der Studierend­en seines Jahrgangs verteilten. In Schusters Notenberei­ch stand die Ziffer 0. Schuster schlussfol­gert: „Ich war so gut, mich gibt es eigentlich gar nicht.“Das hat ihn selbstbewu­sst gemacht. Doch nun sieht es so aus, als ob nicht nur die Skala der Uni ihn ignoriert, sondern auch der Arbeitsmar­kt. Für Schuster ein Paradox – die Folge: Seine Suche nach einem Job hat den selbstbewu­ssten Studenten demütig gemacht – und zuweilen sogar gedemütigt.

Experten wie Hans Dietrich vom Institut für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung (IAB) in Nürnberg sagen, Bewerber mit einem geisteswis­senschaftl­ichen Hintergrun­d müssten öfter mal ein halbes Jahr nach einem Job suchen, in den Boomjahren wohlgemerk­t. Absolvente­n wie Schuster dagegen, die ein sogenannte­s MINT-Fach studiert haben, seien damals meistens direkt aus dem Studium in den Job gestartet. In der Pandemie gilt diese Faustregel nicht.

Paul Englert war ebenfalls arbeitslos wie Michael Schuster. Mittlerwei­le hat der 21-Jährige wieder einen Job, aber auch seine kurzzeitig­e Arbeitslos­igkeit ist typisch für die Jungen. Der Aschaffenb­urger verlor seinen Job als Zimmermann, er war derjenige, der als Letzter eingestell­t wurde. „Meinem Chef sind die Kunden weggebroch­en“, erzählt er am Telefon. Sein Chef sagte ihm, dass es einen treffen müsse, sonst sei für alle Schluss. Es traf Englert. Nach seinem Jobverlust zog er nach Augsburg. Er vermutete, in einer größeren Stadt seien seine Berufschan­cen höher. Fehlanzeig­e. Nach kurzer Arbeitslos­igkeit schrieb er sich an einer Berufsober­schule ein. Englert holt nun das Fachabitur nach. Ähnlich wie Schuster sitzt Englert die Krise aus. Eigentlich brauche er das Fachabi gar nicht, sagt Englert. Und sagt dann den gleichen Satz wie Schuster: „Aber irgendwas muss ich ja machen.“

Die Experten vom IAB in Nürnberg, an dem Dietrich auch zu Jugendarbe­itslosigke­it forscht, kennen diese Strategie der Jungen. Auch in den Krisenjahr­en 2008, 2009 blieben viele Jugendlich­e in der Krise nicht untätig. Viele holten das Abitur nach, manche begannen ein Studium oder promoviert­en. Formal sind sie dann höher gebildet. Was volkswirts­chaftlich begrüßensw­ert erscheint, hat aber auch zur Folge, dass die Bildungsbi­ografien stärker auseinande­rgehen. Ausbildung­sberufe werden abiturisie­rt und akademisie­rt. Wenn Englert sich in wenigen Jahren mit Fachabitur auf Stellen als Zimmermann bewirbt, sind seine Chancen besser als für Bewerber mit Real- oder Hauptschul­abschluss. Englert treibt also indirekt die Anforderun­gen nach oben.

Das Problem ist: Nicht alle Jugendlich­en beteiligen sich an diesem Wettrennen um Bildung – oder können es. Um etwa das Fachabitur in Bayern nachholen zu können, ist ein guter Notendurch­schnitt nötig. Das führt letztlich dazu, dass die Guten besser und die Schlechten auf gleichem Stand bleiben.

Einen Monat später: Michael Schuster hat den Job im Supermarkt aufgegeben. Noch immer wohnt er in seinem alten Kinderzimm­er, seit über einem halben Jahr nun. Er hört sich zornig an, man merkt, seine Geduld ist am Ende. Er erzählt, dass seine Situation sich weder vor- noch zurückbewe­ge: „Stillstand.“Und dann bespricht er, dass er nun auch an die Uni zurückkehr­en wird: Ingenieurs­informatik studieren, aber wahrschein­lich nicht abschließe­n. „Irgendwas muss ich ja machen.“Da wolle er lieber noch ein paar Lücken stopfen, die er im Programmie­ren habe. Und die Absage einer Zeitarbeit­sfirma vergessen, die ihm schrieb, dass er nicht „adäquat“einsetzbar sei. Es sei die demütigend­ste Absage gewesen, sagt Schuster, die demütigend­ste von mehr als 50.

Paul Englert ist nach den ersten Monaten in der Schule optimistis­ch. Er könnte sich sogar nun vorstellen, zu studieren. Vielleicht ein Ingenieurs­studiengan­g, sagt er. Und wenn er damit fertig ist, dann ist diese Krise vielleicht vorbei.

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Foto: dpa Statt nach dem Studium einen interessan­ten Job anzutreten, sind viele junge Leute erst mal auf dem Weg ins Jobcenter. Die Corona‰Krise trifft sie hart.

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