Wie die Pandemie Jugendliche trifft
Jobverlust in der Corona-Krise: Viele junge Menschen sitzen die Krise aus – an Universitäten und weiterbildenden Schulen. Doch besonders Jugendliche mit abgeschlossener Ausbildung bleiben zurück
Augsburg Den Bachelor mit der Note 1,2 bestanden, den Master mit 1,0. Vor einem Jahr wäre Michael Schuster, 26, mit diesen Noten und seinem Studienfach Maschinenbau ein Traumbewerber auf dem Arbeitsmarkt gewesen. Doch bei MAN, Kuka und Co. kriselt es wegen der Corona-Pandemie, was zur Folge hat, dass Schuster keine Maschinen baut, sondern ein schwarzes Polohemd trägt, auf das ein gelbes Edeka-Logo gestickt ist. Schuster heißt eigentlich anders. Seinen Namen will er nicht in der Zeitung lesen. Hier soll es dennoch um seine Geschichte gehen – und das, was ihn mit anderen jungen Menschen in der Krise verbindet.
Schnellen Schrittes betritt er seinen Arbeitsplatz, einen Supermarkt in einer Kleinstadt nahe Augsburg. Ein Gruß an die Kollegen, dann geht es los: Die nächsten sechs Stunden wird er dafür sorgen, dass die Kunden des Supermarkts im Nachbardorf seines Elternhauses ein gut gefülltes Getränkeregal vorfinden. Was er hier macht? „Palettenschubsen“, sagt Schuster.
Die Jungen haben in der CoronaKrise ein Problem. Zwar verläuft Covid-19 bei ihnen meist glimpflich, aber die wirtschaftlichen Folgen treffen sie hart. Vor der Krise trat Arbeitslosigkeit in jungen Jahren in der Regel dann auf, wenn sich die Jugendlichen in Übergangsphasen befanden. Dann, wenn sie die Schule beendeten und eine Lehrstelle suchten. Wenn das Studium vorbei war und der erste Job gefunden werden musste.
Doch nun hat sich etwas verändert. Detlef Scheele, der Chef der Bundesarbeitsagentur, nennt das einen „gefrorenen Arbeitsmarkt“. Gefroren ist er vor allem für die Jungen. Manche Arbeitsmarktexperten beschworen gar das Schreckensbild einer „Generation Corona“herauf, einer Generation also voller schlecht ausgebildeter junger Menschen, mit Lücken im Lebenslauf und in der Bildung. Denn es gilt: Wer schlecht in die Arbeitswelt startet, der hat auch im weiteren Lebenslauf ein höheres Risiko, in prekären Jobs zu landen, und könnte später sogar von Altersarmut bedroht sein.
Schaut man auf die Arbeitslosenzahlen, besteht Grund zur Besorgnis. In den letzten Monaten waren zwischenzeitlich mehr als 40000 Menschen unter 25 ohne Job, so viele wie seit den Krisenjahren 2008 und 2009 nicht mehr. Darin nicht eingerechnet sind Studierende, die wie Michael Schuster, der Maschinenbauer, gar nicht arbeitslos gemeldet sind, sondern wieder bei ihren Eltern eingezogen sind und sich einen Minijob gesucht haben.
Und auch der Ausbildungsmarkt schwächelt. Deutschlandweit waren im Mai 463000 Ausbildungsplätze ausgeschrieben. 46000 weniger als im Vorjahr. Jeder vierte Unternehmer plant, sich aus der Ausbildung zurückzuziehen, wie der Zentralverband des Deutschen Handwerks herausgefunden hat. Viele Auszubildende wurden nicht übernommen – sie machen den größten Teil der arbeitslosen Jugendlichen aus.
30 Minuten vor Schichtbeginn. Michael Schuster ist auf dem Weg zu seinem Nebenjob im Supermarkt. Am liebsten wäre er nach dem Studium in eine der größeren Städte Bayerns gezogen. Nun hängt er in der Provinz fest, seine Möglichkeiten sind geschrumpft, was sich an diesem Tag ganz praktisch daran zeigt, dass er eine halbe Stunde vor Schichtbeginn an einer Tür rüttelt. Er späht durch die dunklen Scheiben einer Bäckerei. „Ach, die machen hier Mittagspause.“
Der Beginn der Pandemie und das Ende seines Studiums fielen zusammen, erzählt der 26-Jährige. Die logische Konsequenz für ihn war, erst einmal zurückzukehren in den Heimatort seiner Eltern. „Ich habe ja nichts verdient.“Er sei optimistisch gewesen, trotz des Lockdowns. Er sagt, dass er mit seinem Abschlusszeugnis von der Universität eine Skala überreicht bekommen habe. Darauf war abgebildet, wie sich die Noten der Studierenden seines Jahrgangs verteilten. In Schusters Notenbereich stand die Ziffer 0. Schuster schlussfolgert: „Ich war so gut, mich gibt es eigentlich gar nicht.“Das hat ihn selbstbewusst gemacht. Doch nun sieht es so aus, als ob nicht nur die Skala der Uni ihn ignoriert, sondern auch der Arbeitsmarkt. Für Schuster ein Paradox – die Folge: Seine Suche nach einem Job hat den selbstbewussten Studenten demütig gemacht – und zuweilen sogar gedemütigt.
Experten wie Hans Dietrich vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg sagen, Bewerber mit einem geisteswissenschaftlichen Hintergrund müssten öfter mal ein halbes Jahr nach einem Job suchen, in den Boomjahren wohlgemerkt. Absolventen wie Schuster dagegen, die ein sogenanntes MINT-Fach studiert haben, seien damals meistens direkt aus dem Studium in den Job gestartet. In der Pandemie gilt diese Faustregel nicht.
Paul Englert war ebenfalls arbeitslos wie Michael Schuster. Mittlerweile hat der 21-Jährige wieder einen Job, aber auch seine kurzzeitige Arbeitslosigkeit ist typisch für die Jungen. Der Aschaffenburger verlor seinen Job als Zimmermann, er war derjenige, der als Letzter eingestellt wurde. „Meinem Chef sind die Kunden weggebrochen“, erzählt er am Telefon. Sein Chef sagte ihm, dass es einen treffen müsse, sonst sei für alle Schluss. Es traf Englert. Nach seinem Jobverlust zog er nach Augsburg. Er vermutete, in einer größeren Stadt seien seine Berufschancen höher. Fehlanzeige. Nach kurzer Arbeitslosigkeit schrieb er sich an einer Berufsoberschule ein. Englert holt nun das Fachabitur nach. Ähnlich wie Schuster sitzt Englert die Krise aus. Eigentlich brauche er das Fachabi gar nicht, sagt Englert. Und sagt dann den gleichen Satz wie Schuster: „Aber irgendwas muss ich ja machen.“
Die Experten vom IAB in Nürnberg, an dem Dietrich auch zu Jugendarbeitslosigkeit forscht, kennen diese Strategie der Jungen. Auch in den Krisenjahren 2008, 2009 blieben viele Jugendliche in der Krise nicht untätig. Viele holten das Abitur nach, manche begannen ein Studium oder promovierten. Formal sind sie dann höher gebildet. Was volkswirtschaftlich begrüßenswert erscheint, hat aber auch zur Folge, dass die Bildungsbiografien stärker auseinandergehen. Ausbildungsberufe werden abiturisiert und akademisiert. Wenn Englert sich in wenigen Jahren mit Fachabitur auf Stellen als Zimmermann bewirbt, sind seine Chancen besser als für Bewerber mit Real- oder Hauptschulabschluss. Englert treibt also indirekt die Anforderungen nach oben.
Das Problem ist: Nicht alle Jugendlichen beteiligen sich an diesem Wettrennen um Bildung – oder können es. Um etwa das Fachabitur in Bayern nachholen zu können, ist ein guter Notendurchschnitt nötig. Das führt letztlich dazu, dass die Guten besser und die Schlechten auf gleichem Stand bleiben.
Einen Monat später: Michael Schuster hat den Job im Supermarkt aufgegeben. Noch immer wohnt er in seinem alten Kinderzimmer, seit über einem halben Jahr nun. Er hört sich zornig an, man merkt, seine Geduld ist am Ende. Er erzählt, dass seine Situation sich weder vor- noch zurückbewege: „Stillstand.“Und dann bespricht er, dass er nun auch an die Uni zurückkehren wird: Ingenieursinformatik studieren, aber wahrscheinlich nicht abschließen. „Irgendwas muss ich ja machen.“Da wolle er lieber noch ein paar Lücken stopfen, die er im Programmieren habe. Und die Absage einer Zeitarbeitsfirma vergessen, die ihm schrieb, dass er nicht „adäquat“einsetzbar sei. Es sei die demütigendste Absage gewesen, sagt Schuster, die demütigendste von mehr als 50.
Paul Englert ist nach den ersten Monaten in der Schule optimistisch. Er könnte sich sogar nun vorstellen, zu studieren. Vielleicht ein Ingenieursstudiengang, sagt er. Und wenn er damit fertig ist, dann ist diese Krise vielleicht vorbei.