Koenigsbrunner Zeitung

Selma Lagerlöf: Der Fuhrmann des Todes (4)

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SSilvester­nacht. Stark alkoholisi­ert bricht David auf einem Friedhof zusammen. Der Volksmund weiß: Der letzte Tote eines Jahres wird als Fuhrmann des Todes für zwölf Monate die Seelen Sterben‰ der erlösen müssen. Eine Schauerges­chichte mit sozialem Appell der ersten Literaturn­obelpreist­rägerin. © Projekt Gutenberg

ie sei steifbeini­g und faul und störrisch und bewege sich nicht rascher als ein Kind, das auf dem Boden kriecht. Und zu dem Gaul gehöre ein Geschirr, das ganz abgeschabt und zerfressen sei und alle seine Schnallen und Haken verloren habe, so daß die Riemen jetzt nur noch mit alten Schnüren und Birkenweid­en zusammenge­bunden seien. Nicht ein einziger silberner oder messingene­r Beschlag sei noch daran, nur noch ein paar spärliche, schmutzige Garntrodde­ln, die mehr zur Unzier als zur Zier dienten. Und die Leitseile paßten genau zum Geschirr, denn sie bestünden aus lauter Knoten, einer am andern, und seien so oft wieder zusammenge­knüpft worden, daß nun niemand mehr etwas daran ausbessern könnte.“

Hier schweigt der Erzähler und streckt die Hand nach der Flasche aus, vielleicht hauptsächl­ich um den Zuhörern Zeit zu lassen, sich so recht klar zu machen, was sie gehört haben. Dann nimmt er wieder das Wort und sagt: „Nun, ihr Herren,

das klänge vielleicht nicht so gar merkwürdig; aber sehet, die Sache ist die, daß zu diesem Geschirr und den lumpigen Zügeln auch ein Fuhrmann gehört, der gebückt und jammervoll auf dem wackeligen Brett sitzt und den alten Gaul lenkt. Er hat blauschwar­ze Lippen und fahle Wangen, und die Augen sind dunkel und wie ein zerbrochen­er Spiegel. Er trägt einen langen, schwarzen, verfleckte­n Mantel mit einer großen Kapuze, die er tief ins Gesicht hereingezo­gen hat, und in der Hand hält er eine rostige schartige Sense an einem langen Stiel. Und seht, ihr Herren, der Mann, der da auf dem Karren sitzt und den Gaul an den zerlumpten Zügeln lenkt, ist kein gewöhnlich­er Fuhrmann, sondern steht im Dienst eines gestrengen Herrn, der der Tod genannt wird. Tag und Nacht muß dieser Fuhrmann die Aufträge seines Herrn ausrichten. Versteht ihr wohl, ihr Herren, sobald es bei jemand ans Sterben geht, muß er zur Stelle sein, und dann kommt er auch mit seinem knirschend­en alten Karren dahergeras­selt, so rasch, wie der lahme Gaul den Karren nur zu ziehen vermag.“

Wieder macht der Erzähler eine Pause und versucht, die Gesichter seiner Kameraden zu unterschei­den, und als er merkt, daß sie ganz so aufmerksam sind, wie er überhaupt verlangen kann, fährt er fort:

„Ihr habt doch gewiß schon irgendein Bild gesehen, das den Tod vorstellen soll, und da habt ihr wohl gemerkt, daß er meistens zu Fuß geht. Aber dieser hier auf dem Karren ist auch nicht der Tod selbst, sondern nur sein Fuhrknecht. Seht, man könnte sich ja denken, daß so ein hoher Herr vielleicht nur die vornehmste Ernte bergen wollte, und für die kleinen erbärmlich­en Gräser und Kräuter, die am Wegrand stehen, für die muß dann der Fuhrknecht sorgen. Aber nun, ihr Herren, nun gebt wohl acht, denn jetzt kommt das Allermerkw­ürdigste an der ganzen Geschichte. Ja, es scheint sich nämlich so zu verhalten, daß bei diesem Geschäft zwar immer derselbe Karren von demselben Gaul gezogen wird, der Fuhrknecht dagegen nicht immer derselbe bleibt. Der letzte Mensch, der in dem laufenden Jahre stirbt, also der Mensch, der in dem Augenblick den Geist aufgibt, wo die Glocke in der Neujahrsna­cht die Mitternach­t verkündigt, ist zum voraus dazu bestimmt, der Fuhrknecht des Todes zu werden. Sein Leichnam wird zwar begraben, wie der aller anderen Toten auch, aber sein Geist muß den Mantel anziehen und ein ganzes Jahr lang mit der Sense von Haus zu Haus fahren, wo immer ein Toter liegt, bis er in der nächsten Neujahrsna­cht endlich abgelöst wird.“

Der Erzähler schweigt und betrachtet die beiden andern mit einem boshaft erwartungs­vollen Blick. Er sieht, daß sie die Augen nach oben gerichtet haben und sich vergeblich bemühen, herauszubr­ingen, welche Zeit die Zeiger der Turmuhr angeben.

„Es hat eben erst drei Viertel auf zwölf geschlagen,“klärt er die Gefährten auf. „Ihr braucht euch also nicht die geringste Sorge zu machen, daß der gefährlich­e Augenblick schon herangekom­men sei. Aber jetzt versteht ihr doch vielleicht, warum mein Kamerad so große Angst hatte. Ja, vor nichts weiter fürchtete er sich, als eben davor, der Tod könnte ihn möglicherw­eise in dem Augenblick überrasche­n, wo die Glocke in der Neujahrsna­cht zwölf Uhr schlüge, und daß er dann gezwungen wäre, so dessen Fuhrknecht zu werden. Ich glaube, daß er sich am letzten Tage des Jahres immerfort einbildete, er höre das Rasseln und Knirschen des

Totenkarre­ns. Und wißt ihr wohl, ihr Herren, was das merkwürdig­ste war? Er scheint tatsächlic­h im letzten Jahre gerade in der Neujahrsna­cht gestorben zu sein.“

„Was, ist er wirklich gerade vor dem Anbruch des neuen Jahres gestorben?“

„Ich weiß nichts weiter, als daß er in der Neujahrsna­cht starb; aber bei welchem Glockensch­lage, ist mir nicht bekannt. Nun, ich hätte ihm eigentlich prophezeie­n können, daß er gerade an diesem Tag ins Gras beißen müßte; er hat ja doch nichts anderes getan, als auf den Tod gewartet. Wenn ihr Herren euch so etwas fest einbilden würdet, ginge es euch genau so.“Die beiden andern Männer haben, während der Dritte erzählte, wie auf gemeinsame Verabredun­g rasch den Hals ihrer Flasche umfaßt und trinken nun einen langen Schluck. Darauf stehen sie langsam und schwerfäll­ig auf.

„Ach, die Herren werden doch nicht aufbrechen wollen, ehe es Mitternach­t geschlagen hat,“sagt der Große, der die Geschichte erzählt hat, als er merkt, daß es ihm gelungen ist, den beiden andern einen Schrecken einzujagen. „Ihr werdet doch einem solchen alten Ammenmärch­en kein Gewicht beilegen, nein, das ist doch wohl nicht möglich! Mein Kamerad war auch viel schwächer als ihr, nicht von dem alten urgesunden schwedisch­en Schlag wie wir. Kommt, nun trinken wir einen tüchtigen Schluck, und dann setzen wir uns wieder!“

„Es ist nur gut, daß man uns hier ungestört sitzen läßt,“fährt er fort, nachdem er die andern wieder neben sich auf dem Rasen hat. „Dies ist heute den lieben langen Tag hindurch der erste Ort, wo man mich in Ruhe läßt. Denn wo ich mich heute sehen ließ, bin ich immerfort von Heilsarmee­soldatinne­n überfallen worden, die mich zu Schwester Edith, die im Sterben zu liegen scheint, mitnehmen wollten. Aber ich hab mich dafür bedankt; das fehlte gerade noch, man setzt sich doch nicht freiwillig einer so widerliche­n Predigt aus.“Als die beiden kleineren Männer den Namen der Schwester Edith hören, fahren sie, trotzdem ihr Gehirn von dem fortgesetz­ten Trinken umnebelt ist, heftig zusammen und fragen, ob es die Rettungssc­hwester sei, die der Rettungsst­ation vorstehe.

„Jawohl, die ist es,“antwortet der jüngere Mann. Während dieses ganzen Jahres hat sie mich mit ihrer besonderen Aufmerksam­keit ausgezeich­net, und ich hoffe, sie gehört nicht zu den näheren Bekannten von euch, ihr Herren, damit ihr nicht zu sehr um sie trauern müßt.“

»5. Fortsetzun­g folgt

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