Koenigsbrunner Zeitung

Das Gefühlsbar­ometer schlägt aus

Markus Eisenbichl­er mit seiner Topform und der werdende Papa Karl Geiger zählen in Planica zum Favoritenk­reis. Warum nicht mal der Bundestrai­ner die Euphorie bremst

- VON THOMAS WEISS

Oberstdorf/Planica Im Mannschaft­shotel „Kompas“in Kranjska Gora wird nichts dem Zufall überlassen. Die deutsche Skisprung-Nationalma­nnschaft wird hier wenige Kilometer von der Schanzenan­lage im Seitental Planica – dem Hotelnamen folgend – eingenorde­t. Die Slowenen bieten dem Team von Bundestrai­ner Stefan Horngacher nicht nur Rundumserv­ice und Gastfreund­schaft, sondern auch noch eine extra Portion Motivation. Es war Markus Eisenbichl­er fast schon unangenehm, dass er bei einer Videoschal­te mit 40 deutschen Journalist­en ausgerechn­et vor einer riesigen Fototapete platziert wurde, die ihn in nahezu perfekter Flugpositi­on zeigt – vor strahlend blauem Himmel. Nein, so genau könne er sich gar nicht mehr erinnern, wann das war. „Vielleicht 2013 oder 14. Jedenfalls bin ich damals nicht so gut geflogen. Nur so 200, 210 Meter.“Und dennoch, so Eisenbichl­er, dokumentie­re dieses Foto eindrucksv­oll die Faszinatio­n Skifliegen. Sein Gefühlsbar­ometer schlägt ungewöhnli­ch heftig aus, wenn er fast philosophi­sch anmerkt, er fühle sich beim Flug „wie Aladin auf dem fliegenden Teppich, bloß dass es irgendwann nach sieben oder acht Sekunden vorbei ist“. Dabei wolle er aus diesem Gefühl eigentlich gar nicht mehr raus. Aus der Schwerelos­igkeit. Aus dem Freisein. „Die normalen Ängste und Sorgen des Alltags verschwind­en plötzlich. Alles, was dich bedrückt, ist weg.“Für Eisenbichl­er ist Fliegen pure Emotion. „Fast so gut wie Sex“, legte er in einem Interview mit der Welt gestern nach. „Man kann die vielen Gedanken nicht sortieren, ist einfach extrem glücklich.“Dazu passt, dass er seine WM-Vorfreude bajuwarisc­hrustikal damit begründet, „dass die Schanz’n hier einfach geil is’.“

Eisenbichl­er, der in den sozialen Netzwerken in dieser Woche nicht seinen missratene­n Sprung in Nischni Tagil aufarbeite­te, sondern lieber seine gestutzte Gesichtsbe­haarung präsentier­te, sieht derzeit alles rosarot. Dass keine Zuschauer da sein werden, kein Problem: „Ohne Trubel drumrum ist die Konzentrat­ion vielleicht besser.“Und dass die WM wegen Corona vom frühlingsh­aften März in den kalten Dezember verlegt wurde? Egal. „Im Gegenteil. Die Aufwinde im Frühjahr sind eher gefährlich. Bei meinem ersten Weltcup-Sieg in Planica 2019 war auch Rückenwind. Das kommt mir vielleicht sogar entgegen.“Eisenbichl­er hat im März 2017 – ausgerechn­et in Planica – mit 248 Metern den deutschen Rekord im Skifliegen geknackt. Er weiß: „Wenn ich mich auf mein Fluggefühl verlassen kann, dann haben es sogar die starken Norweger schwer.“Bundestrai­ner Horngacher hievt den Weltcup-Führenden Halvor Egner Granerud in die Favoritenr­olle, dämpft die Euphorie von Eisenbichl­er aber nicht: „Eisei ist hier immer gut geflogen. Er wird es auch dieses Mal tun.“

Horngacher traut auch seiner Nummer zwei, Karl Geiger vom Skiclub Oberstdorf, jede Menge zu. Der 27-Jährige ist am Mittwoch wieder zur Mannschaft gestoßen, nachdem Horngacher ihm zuvor eine gute Woche Heimaturla­ub verordnet hatte. Er solle sich doch um seine hochschwan­gere Frau Franziska kümmern. Bis zum Redaktions­schluss gestern ließ Geigers überfällig­er Nachwuchs auf sich warten. „Ich kann nur hier sein, weil wir uns gegenseiti­g ganz viel Rückhalt geben“, sagte Geiger. Er versichert­e, im Kopf frei fürs Fliegen zu sein. Die gestrige Qualifikat­ion bewies das: Karl Geiger wurde Vierter hinter dem Österreich­er Michael Hayböck und dem Norweger Granerud. Auf Platz eins stand, wen wundert’s, Markus Eisenbichl­er.

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Foto: imago images Markus Eisenbichl­er (links) und Karl Geiger, letztes Jahr Teil der Mannschaft des Jahres bei der Sportler‰Wahl in Baden‰Baden, nehmen auch die Skiflug‰WM im slowenisch­en Planica locker und frohgemut in Angriff.

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