Stille Feiertage und Lockdown bis Anfang Januar
Die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten fahren das Land ab Mittwoch herunter – mit offenem Ende. Kindergärten, Schulen und Geschäfte müssen schließen. Der Wirtschaft sind neue Milliardenhilfen in Aussicht gestellt
Berlin Bund und Länder ziehen die Notbremse ohne zu wissen, wann sie wieder gelockert werden kann. Ab Mittwoch werden auch Kindergärten, Schulen und die meisten Geschäfte geschlossen, um das Coronavirus wieder in den Griff zu bekommen. Kneipen, Gasthäuser, Hotels, Fitnessstudios und Museen bleiben weiter zu. Die vor nicht einmal zwei Wochen beschlossene Lockerung der Kontaktverbote zwischen Weihnachten und Neujahr haben Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten wieder kassiert. Das Trinken von Alkohol in der Öffentlichkeit wird verboten. Das Christfest und Silvester dürfen nur im engsten Kreis gefeiert werden. Während der Christmette darf nicht gesungen werden. Der Verkauf von Feuerwerk wird verboten. Zunächst bis zum 10. Januar gelten die am Sonntag beschlossen Zwangsmaßnahmen.
Merkel wollte keine Hoffnung verbreiten, dass sie danach aufgehoben werden können. „Solange wir nicht eine gewisse Herdenimmunität durch das Impfen haben, werden wir immer unter diesen Bedingungen leben“, sagte sie nach einer kurzen Telefonschalte mit den Länderchefs. Mehrere Ministerpräsidenten sehen es genauso.
Anders als in den zurückliegenden Wochen war für die scharfe Antwort des Staates auf die rasant kletternden Infektionszahlen keine stundenlange Diskussion nötig. Die Länder waren sich einig, dass gehandelt werden muss. Merkel musste dieses Mal nicht die strenge Mahnerin geben. Umstritten war lediglich, ob Kindergärten geöffnet bleiben könnten.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) begründete den Beschluss in dramatischen Worten. „Heute ist die Lage anders, denn Corona ist außer Kontrolle geraten“, sagte er. „Die Lage ist wieder fünf vor zwölf.“Der Erreger hat sich zuletzt durch den ganzen Freistaat gefressen. Ganz Bayern ist nun ein Hotspot mit vielen Infektionen in allen Regionen. Und das trotz der bestimmten Rhetorik Söders, der sich seit Monaten als entschiedener Corona-Bekämpfer präsentiert. Auch im Nachbarland Baden-Württemberg färbt sich die Corona-Karte tief rot. „Anders geht es nicht, deshalb fahren wir das öffentliche Leben im Land runter, und das ziemlich radikal“, erklärte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Im März wird im Südwesten ein neuer Landtag gewählt und Kretschmann versucht – ähnlich wie Söder – als Krisenmanager die Wähler von sich zu überzeugen.
Die verschärfte Seuchenpolitik greift erst ab Mittwoch, weil die Länder sie noch per Verordnung erlassen müssen. Außerdem sollten Familien und der Handel wenigstens zwei Tage Zeit bekommen, um sich auf die Situation vorbereiten zu können. In Kindergärten und Schulen wird es eine Notbetreuung für Kinder geben, die gerade noch ausgestaltet wird.
Den von der Schließung mitten im wichtigen Weihnachtsgeschäft betroffenen Unternehmen hat die Bundesregierung Unterstützung zugesagt. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) will dafür bis zu elf Milliarden Euro bereitstellen. Anders als bei den bisherigen Novemberund Dezemberhilfen sollen aber nicht mehr bis 75 Prozent des Umsatzausfalls durch den Staat ausgeglichen werden. Vorgesehen ist nun, dass je nach Stärke des Erlöseinbruchs bis zu 90 Prozent der Fixkosten übernommen werden, zum Beispiel Mieten, Pachten und Kreditzahlungen. Maximal gibt es eine halbe Million Euro. „Das Virus feiert keine stillen Weihnachten“, meinte Scholz. Es gehe darum, Schaden von der Bevölkerung abzuwenden und zugleich die Lebensleistung von Unternehmern und ihren Angestellten zu schützen.
Dem Handelsverband HDE gehen die geplanten Hilfen der Bundesregierung nicht weit genug. „Die bisher vorgesehenen Gelder reichen bei weitem nicht aus, um eine Pleitewelle in den Innenstädten zu verhindern.“Der bekannte Wirtschaftsprofessor Clemens Fuest hält die verschärfte Seuchenpolitik zwischen den Jahren für richtig. „Der harte Lockdown über Weihnachten ist auch wirtschaftlich richtig, weil über Weihnachten viele Betriebe und die Schulen ohnehin zu sind“, sagte der Präsident des Münchner ifo-Instituts.
Die scharfen Einschnitte in das öffentliche Leben sind die Folge der sich seit Wochen verschärfenden Pandemielage. Am Sonntagmorgen meldete das Robert-Koch-Institut (RKI) über 20000 neue Corona-Infektionen und 321 neue Todesfälle. Am Sonntag vor einer Woche waren es noch knapp 18000 Neuansteckungen und 255 Tote gewesen. Am vergangenen Freitag war der bisherige Höchststand mit knapp 30000 Neuinfektionen und 598 Toten erreicht worden. Am Wochenende sind die Zahlen des RKI für gewöhnlich niedriger, weil nicht alle Gesundheitsämter Daten übermitteln und weniger getestet wird.
Die Kanzlerin rechnet nicht damit, dass die Corona-Zahlen schon in den kommenden Tagen sinken.
Sie verwies darauf, dass strengere Maßnahmen mit einer Verzögerung von zehn Tagen ihre Wirkung entfalten. „Wir haben jetzt einen langen Weg vor uns“, sagte Merkel. Hoffnung macht ihr, dass in Nachbarländern der harte Lockdown die Ausbreitung der Seuche verlässlich eingedämmt hat. FDP-Chef Christian Lindner warf Bund und Ländern vor, in den letzten Wochen kein Konzept zum Schutz der Alten und Kranken entwickelt zu haben. Er forderte „eine dauerhaft durchhaltbare Strategie“in der Pandemie-Bekämpfung. „Unsere Sorge ist, dass wir uns sonst von einem Lockdown zum nächsten hangeln.“
Im Kommentar erläutert Christian Grimm, warum es zu diesem harten Lockdown keine andere Wahl gab. Dass sich Deutschland die CoronaSchulden leisten kann, steht im Leit artikel. Welche Maßnahmen ab Mittwoch genau gelten, lesen Sie auf der Politik. Wie Weihnachten für die ganze Familie sicherer wird, erklären wir auf der Seite Panorama.