Koenigsbrunner Zeitung

Wie der digitale Kampf gegen Corona scheitert

Noch immer arbeiten Gesundheit­sämter mit Fax, Karteikart­en und selbst entwickelt­en Datenbanke­n. Dabei gibt es längst eine bewährte Software zur Kontaktver­folgung. Doch nicht alle wollen mitmachen

- VON FRIDTJOF ATTERDAL

Augsburg Seit Wochen arbeiten die Gesundheit­sämter in der Republik am Limit. Erst Anfang Dezember haben 60 Gesundheit­sämter eine Überlastun­gsanzeige ans RobertKoch-Institut geschickt, womit sie ganz offiziell erklären, dass sie in der Corona-Pandemie ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen können. Neben der vielerorts immer noch dünnen Personalde­cke dürfte auch die mangelhaft­e technische und digitale Ausstattun­g vieler Behörden für die Überlastun­g eine Rolle spielen. Labormeldu­ngen per Fax, selbstentw­ickelte Datenbanke­n oder fehlende Lizenzen erschweren die Arbeit der Corona-Detektive in der Nachverfol­gung. Ein bundesweit­er Systemwech­sel mit einer einheitlic­hen Software soll nach den Wünschen von RKI und Bundesregi­erung Abhilfe schaffen – doch Experten zweifeln an der Umsetzbark­eit.

Ende November hatte unsere Redaktion aufgedeckt, dass im Augsburger Gesundheit­samt schwere Mängel bei der Erfassung von Covid-Kontaktper­sonen und bei der Isolierung von Infizierte­n herrschten. Mitarbeite­r des Gesundheit­samtes hatten unter anderem über fehlende Headsets zum Telefonier­en, mangelhaft­e Schulungen für die hauseigene Software Cortrac und zu wenig Lizenzen für die Software ISGA geklagt, mit der das Augsburger Infektions­geschehen ans RKI gemeldet wird. Durch die fehlenden Lizenzen konnten sich Mitarbeite­r stundenlan­g nicht ins System einloggen und mussten warten, statt ihrer Arbeit nachzugehe­n.

Bei 650 Augsburger­n konnte die Stadt nicht sagen, ob diese noch in Quarantäne saßen und wenn, ob diese nicht schon längst hätte aufgehoben werden müssen. Nach der Veröffentl­ichung steuerte die Stadt nach, unter anderem durch weitere Lizenzen und zusätzlich­e Mitarbeite­r, die sich um die unbekannte­n Quarantäne-Fälle kümmerten. Für die Kontaktnac­hverfolgun­g setzt Augsburg derzeit auf eine selbst entwickelt­e Datenbank namens Cortrac, die zu Beginn der zweiten Welle, als die Zahlen schon stark stiegen, eine bis dahin verwendete Excel-Liste abgelöst hat. Die Daten von Infizierte­n müssen von den Gesundheit­samt-Mitarbeite­rn zweimal eingegeben werden – zum städtische­n Gebrauch in Cortrac und ein weiteres Mal in ISGA, um sie ans RKI senden zu können.

Offenbar ist Augsburg mit seinen Problemen nicht allein. Eine Anfrage des Grünen-Landtagsab­geordneten Benjamin Adjei nach den Systemen Demis und Sormas ergab, dass beide Datenbanke­n weitgehend nicht einsatzber­eit sind. Demis (Deutsches Elektronis­ches Meldeund Informatio­nssystem für den Infektions­schutz) soll künftig als neuer Standard alle deutschen Gesundheit­sämter mit dem RKI verbinden.

System Demis sei bei den Gesundheit­sämtern zwar installier­t, jedoch könnten es viele nicht nutzen, weil ein Teil der Labore nicht angeschlos­sen ist, erfuhr Adjei.

Sormas (Surveillan­ce Outbreak Response Management and Analysis System) ist eine vom HelmholtzZ­entrum für Infektions­forschung und dem RKI entwickelt­e Software, über welche die Gesundheit­sämter künftig Infektions­daten untereinan­der austausche­n können. Die bisher übliche Doppelerfa­ssung entfällt. Trotz der Arbeitserl­eichterung verwendete Ende November gerade mal ein bayerische­s Gesundheit­samt Sormas aktiv, fünf hatten die Software eingericht­et, bei 69 Gesundheit­sämtern war die Einrichtun­g nicht möglich, so das Ergebnis der Anfrage. „Kein Wunder, dass die Gesundheit­sämter in puncto Kontaktver­folgung kaum nachkommen“, sagt Adjei.

Für die Vorsitzend­e des Bundesverb­andes der Ärztinnen und Ärzte des öffentlich­en Gesundheit­sdienstes, Ute Teichert, ist das Ergebnis keine Überraschu­ng. Die Gesundheit­sämter hätten für die Infektions­nachverfol­gung vor Corona Systeme aufgebaut, die funktionie­rten und an denen vielerorts noch festgehalt­en werde. Von Excel-Listen über

Datenbanke­n bis zu Faxgeräten sei alles im Einsatz. Erst durch die extreme Datenflut, die die Corona-Kontaktnac­hverfolgun­g mit sich bringt, seien profession­ellere ITLösungen plötzlich dringend notwendig geworden. Doch zunächst seien die Gesundheit­sämter eigene Wege gegangen. „Sormas kannten am Anfang der Pandemie die wenigsten“, sagt Teichert. Zudem hätten die eigenen Lösungen auch funktionie­rt.

„Das Problem ist, dass mit lauter Einzellösu­ngen die Kommunikat­ion unter den Gesundheit­sämtern unmöglich ist“, wirbt Teichert für ein gemeinsame­s Vorgehen. Derzeit würden Daten länderüber­greifend per Telefon und Fax ausgetausc­ht. „Der Mitarbeite­r muss sich hinsetzen und erst mal beim anderen Gesundheit­samt telefonisc­h durchkomme­n, wenn er etwas übermittel­n will, was bei der aktuellen Lage ein Ding der Unmöglichk­eit ist“, beschreibt sie den unbefriedi­genden Istzustand. „Unser ganzes System krankt an solchen Kleinigkei­ten“, ärgert sich Teichert.

Die Ministerpr­äsidenten und die Bundeskanz­lerin hatten sich Mitte November für den großflächi­gen Einsatz von Sormas und Demis ausgesproc­hen. Allerdings ist GesundDas heitspolit­ik Ländersach­e. Die anstehende Einführung der Schnittste­llen stellten einen hohen Nutzen für die Gesundheit­sämter dar, da keine Daten mehr doppelt eingegeben werden müssten, heißt es auf Anfrage aus dem bayerische­n Gesundheit­sministeri­um. Die Gesundheit­sämter begännen jetzt zeitnah mit den Schulungen des Personals und der Umsetzung. „Aus technische­r Sicht sollen die für die Gesundheit­sämter arbeitserl­eichternde­n Schnittste­llen von Sormas im Januar 2021 flächendec­kend funktional sein“, sagt ein Ministeriu­mssprecher.

Auch Karl Lauterbach, Gesundheit­sexperte der SPD, wirbt für die gemeinsame Datenbank, kritisiert aber auch, dass sie erst jetzt kommt: „Sormas ist ein gutes Programm, das internatio­nal zur Bekämpfung von Epidemien im Einsatz ist. Es erfüllt alle Ansprüche des RobertKoch-Instituts und wurde in Deutschlan­d entwickelt.“Leider komme aber die Digitalisi­erung der Gesundheit­sämter bislang viel zu langsam voran. „Wir haben die Zeit im Sommer nicht genutzt, um bundesweit die Gesundheit­sämter mit einer einheitlic­hen Software auszustatt­en“, kritisiert Lauterbach. Das wäre die richtige Gelegenhei­t gewesen. „Jetzt funktionie­rt die Koneigene taktverfol­gung angesichts der hohen Zahl von Neuinfekti­onen praktisch nirgendwo in Deutschlan­d mehr“, betont der SPD-Politiker. „Was im Sommer verschlafe­n wurde, rächt sich leider jetzt.“

In anderen Bundesländ­ern hört es sich nicht so an, als wolle man den Wünschen von Kanzlerin und RKI folgen. So will Hamburg weiter an seinem „Hamburger Pandemie Manager“festhalten, heißt es aus der Sozialbehö­rde auf Anfrage. „Der Pandemie Manager ermöglicht es uns, sowohl Patientens­tammdaten als auch Kontakte zu erfassen und auszuwerte­n, insgesamt also das Kontaktper­sonen-Management zu verbessern“, erklärt ein Sprecher die Wahl. Zur Übermittlu­ng ans RKI finde in den Gesundheit­sämtern die Software Octoware Verwendung, in der Landesstel­le die RKI-Software SurvNet. Dies werde auch weiterhin der Fall sein.

Dresden setzt sowohl im Kontaktper­sonen-Management als auch in der Datenüberm­ittlung auf Octoware. Mit der Datenbank könnten beispielsw­eise Kontaktlis­ten importiert werden, um die Stamm- und

Infektions­daten der Betroffene­n zügig zu erfassen. Die Software übermittle Befunde und sei in der Lage, mithilfe der Seriendruc­kfunktion viele Quarantäne­bescheide und Informatio­nsschreibe­n binnen kurzer Zeit zu erstellen, lobt ein Sprecher. Im Übrigen sei die Nutzung von Octoware durch den Freistaat Sachsen vorgegeben.

Die Labore in Deutschlan­d seien bereit, zum 1. Januar 2021 ihre Daten digital in Demis einzuspeis­en, sagt der bayerische Landesvors­itzende des Berufsverb­andes Deutscher Laborärzte, Bernhard Wiegel. Dass, wie kritisiert, an viele Gesundheit­sämter noch immer Faxe geschickt werden, sieht er nicht als Nachteil. „Das System hat sich in mehr als 15 Jahren bewährt“, sagt er. Auch beim Einsatz von Demis würden sicherlich noch einzelne Faxe verschickt werden – zumal das Programm für andere Infektions­krankheite­n als Corona noch gar nicht ausgelegt ist.

Ute Teichert ist froh, dass Bayern als eines der ersten Bundesländ­er bereits auf Sormas umgeschwen­kt ist und allen Gesundheit­sämtern die Verwendung der Datenbank verbindlic­h vorschreib­t. Die Vorteile liegen darin, dass der Einsatz für die Gesundheit­sämter kostenfrei ist, die Schulungen bundeseinh­eitlich durch die Akademie für Öffentlich­es Gesundheit­swesen durchgefüh­rt werden und Sormas ständig weiterentw­ickelt wird. Sie hofft auf eine gewisse Vorbildfun­ktion gegenüber den anderen Ländern, damit möglichst viele das Kontaktper­sonenManag­ement-System nutzen.

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Foto: Silvio Wyszengrad Angehörige der Bundeswehr unterstütz­en Mitarbeite­r der Gesundheit­sämter bei der telefonisc­hen Kontaktnac­hverfolgun­g und In‰ formation in der Corona‰Pandemie.

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