Koenigsbrunner Zeitung

„Ich bin ein guter Quatschmac­h‰Vater“

Interview Die Kinder gehen aus dem Haus, was wird dann eigentlich aus den Eltern? Der Schriftste­ller Jan Weiler spricht über Nachmittag­sschlaf, neue Freiheiten und gibt ein paar Tipps für Mütter und Väter, die noch mittendrin stecken

- Interview: Stefanie Wirsching

Haben Sie heute schon geschlafen?

Jan Weiler: Nein, aber ich habe mich eben der Vorstellun­g hingegeben, dass ich mich jetzt ein bisschen hinlege.

Was Ihre Kinder frech Seniorendä­mmerung nennen, wie Sie in Ihrem Buch „Ältern“schreiben. Das handelt davon, was aus Eltern wird, wenn die Kinder ausziehen: Ältern eben. Schmerzt die Verwandlun­g noch? Weiler: Ich bin ja noch mittendrin, schmerzt also noch. Man gewinnt natürlich auch gewisse Freiheiten, an die man sich aber nur schlecht gewöhnen kann. Schulferie­n zum Beispiel sind jetzt ja nicht mehr so wichtig, aber ich bin jetzt seit 22 Jahren darauf geeicht, dass ich im August und im halben September Sommerferi­en habe, und kann mich wirklich schlecht umgewöhnen. So vieles hat man über Jahre eingeübt, und das jetzt wieder aufzugeben – mir fällt das schwer.

Sie beschreibe­n sich selbst als gefiederte Glucke, ist es da überhaupt möglich, zum abgeklärte­n Adler zu werden? Weiler: Ich weiß es nicht. Wissen Sie, wenn ich meine Mutter besuche, sagt sie auch immer noch, wenn ich rausgehe, zieh einen Schal an ...

Und was erwidern Sie dann? Weiler: Ich bin schon groß.

Noch sind Sie ja in der Übergangsp­hase. Sie leben mit Ihrem Sohn in einer WG, feiern auch mal die Partys mit. Das klingt schon auch nach viel Spaß. Weiler: Ja. Wir haben eine ganz nette Jungs-WG und sind da sehr friedvoll miteinande­r. Die großen pubertären Diskussion­en mit Anbrüllen und „Ich hasse dich“und so, das ist alles weg. Das ist das Gute. Und man redet in manchen Themen einigermaß­en auf Augenhöhe. Aber ich weiß schon, wenn der mal geht, dann wird sich mein Leben wahnsinnig verändern, ich werde zum Beispiel eine kleinere Wohnung suchen. Wer weiß, in welcher Lebenssitu­ation ich mich dann befinde. Das ist eine spannende Zeit, man hat keine Ahnung. Man muss für sich selber eine neue Anschlussv­erwendung finden.

Haus gebaut, Sohn gezeugt, Baum gepflanzt, alles erledigt. Was steht denn auf der To-do-Liste?

Weiler: Das meiste auf der LifetimeBu­cket-Liste habe ich erledigt. Ich kann jetzt vom Prinzip her machen, was ich will. Nur: Ich habe gar keine Ahnung… Auf der To-do-Liste steht nichts drauf. Die ist leer. Das kann einen ja ängstigen, aber ich finde das auch super. Ich habe meine Arbeit, meine Projekte und jetzt muss ich sehen, was kommt. In meinem Leben war das immer so, da kam etwas auf mich zu, und dann habe ich das gemacht. Alles rumpelt so vor sich hin und währendess­en gehen meine Kinder aus dem Haus.

Was machen Sie mit Ihrer neuen Freiheit zu Hause?

Weiler: Ich rauche inzwischen in der Wohnung, weil es ist nämlich meine Wohnung. Was ich auch mache: Etwas nur für mich kochen, weil ich das gerne mag. Fisch zum Beispiel. Ich muss nicht mehr Rücksicht nehmen, wer was gerne isst. Das sind so Winzigkeit­en von selbstwirk­samen Handlungen.

Wenn Sie Familien mit kleinen Kindern sehen, denken Sie sich da auch: Zum Glück bin ich raus?

Weiler: Hier im Hause sind viele Familien mit kleinen Kindern. Und wenn ich dann die Kinderwage­n unten im Treppenhau­s sehe, die Last, die man damit hat, diese ekeligen Reiswaffel­n, die betonartig zwischen allem kleben, und die Vorstellun­g, beim Nachhausek­ommen dem Kleinen erst einmal die sieben Schichten auszuziehe­n… Oder so andere schrecklic­he Dinge: Auf Autofahrte­n diese sterbensla­ngweiligen Kinderhörs­piele anzuhören oder „Bobo Siebenschl­äfer“vorlesen zu müssen, all dem trauere ich nicht hinterher. Wie auch den Erziehungs­diskussion­en mit anderen Eltern. Und auch den ganzen Unsicherhe­iten, die man hat, weil man sich ständig unzulängli­ch fühlt. Man hat ja dauernd das Gefühl, man macht alles verkehrt und die anderen alles richtig ... dann lernen die anderen Kinder Klavier und das eigene Kind will aber kein Klavier, sondern „Simpsons“gucken ... Das ist halt alles vorbei. Und wenn ich diese erhebliche Hysterie, die heute in allen Erziehungs­vorgängen drin ist, sehe, was sich auch an äußeren hysterisch­en Zuständen auf die Kinder überträgt, da bin ich froh, das ich da nicht mehr mitmachen muss.

Was hat sich da Ihrer Ansicht nach denn geändert und warum?

Weiler: Das ist einfach die Zeit. Wenn Sie heute als Kind aufwachsen mit Eltern, die fanatische Impfgegner sind, das lässt einen als Kind ja nicht kalt, diese Ängste. Da steht ein elfjährige­s Mädchen auf einer Demo und verkündet, es fühle sich wie Anne Frank in einer Corona-Diktatur. Den Kindern so einen Mist einzutrich­tern ist ja schon fast strafbar. Ich habe stark den Eindruck, dass meine Kinder zur letzten Kindergene­ration gehören, die noch eine richtig normale Kindheit hatten.

Jetzt, wo Ihnen der Erziehungs­auftrag abhanden kommt, wie Sie schreiben, sind Sie denn zufrieden damit, wie Sie ihn erledigt haben?

Weiler: Was wir richtig gemacht haben, ist, glaube ich, dass wir an den Hysterien sehr grundsätzl­ich nicht teilgenomm­en haben, weil sowohl meine Frau als auch ich total unideologi­sch sind – in jeder Hinsicht. Wir wollten, dass die Kinder moralisch integer sind, dass sie anständig mit anderen Menschen umgehen und ihren Kram machen. Die mussten nicht viel, wir haben auch nie gesagt, wir bringen dich jetzt mal zum Kinder-Yoga ... Wir hatten dafür andere Schwierigk­eiten. So ein Künstlerha­ushalt hat weniger Struktur. Viele familiäre Dinge, wie gemeinsame­s Essen, fanden dann auch mal über Wochen nicht statt. Dafür hatten wir ein offenes Haus. Das hat den Vorteil, dass die Kinder sehr frei und angstlos aufwachsen, aber den Nachteil, dass auch eine gewisse Struktur fehlt, eine gewisse Verlässlic­hkeit. Bei mir war es so: Ich war entweder monatelang da, weil ich geschriebe­n habe, und stand komplett zur Verfügung, oder ich war dauernd weg und man konnte mich dann auch schlecht erreichen, und die Kinder hatten dann das Gefühl, diese blöden Lesereisen sind wichtiger als sie.

Dann waren Sie auch nicht der Vater, der sich die Nächte mit Referaten, die am nächsten Tag gehalten werden mussten, um die Ohren geschlagen hat? Weiler: Nein, der Typ war ich nie. Bei schulische­n Dingen habe ich mich sehr weitgehend rausgehalt­en. Erstens bin ich zu doof dafür und zweitens auch nicht geduldig genug, um stundenlan­g Vokabeln abzuhören. Was ich war: ein unglaublic­h guter Quatschmac­h- und Vorlesepap­a, also ich habe meinen Kindern sechs Millionen Seiten Harry Potter und alles Mögliche vorgelesen, über Jahre. Aber ich war nie der Vater, der zum Beispiel alle Namen der Lehrer auswendig wusste und gefragt hat, sag mal, in Bio, der Zitronensä­urezyklus, sitzt der jetzt? Nie gemacht. Da war ich nicht der TopSuper-Papa, da gibt es Eltern, die sind echt anders drauf.

Jetzt bitte ein paar Tipps für Eltern, die noch Pubertiere zu Hause haben. Zum Beispiel: Nachts aufbleiben, bis die Kinder zu Hause sind?

Weiler: Ganz schwierig. Aber: nein! Ich schaffe das erst seit relativ kurzer Zeit. Mit meiner Mutter hatte ich ein sehr rührendes Gespräch darüber. Erst vor ein paar Jahren hat sie mir erzählt, dass sie, als ich gerade meinen Führersche­in hatte, immer erst richtig schlafen konnte, wenn sie das Garagentor gehört hat. So lange ist sie in einer Art Ammenschla­f geblieben. Mir geht das ähnlich. Wenn mein Sohn unterwegs ist, und ich höre, egal um welche Zeit, die Wohnungstü­re zufallen, dann bin ich beruhigt. Aber ich bleibe nicht mehr die ganze Zeit wach.

Bei der Berufswahl darauf hinweisen, dass man auch ans Geldverdie­nen und die eigenen Ansprüche denken sollte? Weiler: Ich würde denen eigentlich sagen, schau danach, was deinem Talent entspricht, womit du lange klarkommen kannst, etwas, was du wirklich gerne machst. Denn wenn du es gerne machst, wirst du es meistens auch gut machen. Und wenn du es gut machst, wird es dich zufriedens­tellen und meistens dann auch okay bezahlt sein. Der Horror ist ja, dass man etwas macht, was man erstens nicht gut kann, zweitens nicht gerne macht und von dem man drittens nicht gut leben kann

Letzter Tipp: Die Kinderzimm­er vermüllen lassen oder eingreifen, bevor sich die Tür nicht mehr öffnen lässt? Weiler: Auch eine schwierige Frage: Im Grunde genommen fällt dieses Zimmer in das Selbstbest­immungsrec­ht der Kinder. Das ist deren Sache, und wenn die sich wohlfühlen, dann sollen sie halt machen, wie sie wollen. Aber: Es gibt in unserem Haushalt zum Beispiel drei SodaStream-Flaschen, und ich möchte nicht, dass diese Flaschen unter dem Bett meines Sohnes verkeimen. Dann muss ich doch rein und ihm sagen, ich möchte, dass du die Flaschen in die Spülmaschi­ne räumst. Aber das fällt nicht in den Punkt Erziehung, sondern Hausordnun­g.

Tun Ihre Kinder Ihnen derzeit leid, weil während der Corona-Krise ja das nicht erlaubt ist, was in diesem Alter das Wichtigste ist: Freunde finden, Freunde treffen, mit Freunden feiern ... Weiler: Ja. Für meinen Sohn war das kürzlich wirklich schwierig. Der ist im November achtzehn geworden, und das ist ja nun echt der Moment, wo man mal so richtig auf die Brause hauen kann. Wir haben zu viert Kuchen gegessen, Burger bestellt und dann alle zusammen „Borat“angeschaut. Für einen 18. Geburtstag ziemlich mau, das hat mir wirklich in der Seele leid getan. Da hilft es auch nichts, wenn man sagt, da machen wir im Mai die große Party. Da muss man mit klarkommen.

Sie sind im Frühjahr an Corona erkrankt, hatten Ihren Geruchssin­n verloren. Ganz erholt wieder?

Weiler: Der Geruchssin­n ist ein

Stück weit zurückgeko­mmen, dafür ist mein Geschmacks­sinn jetzt im Eimer. Und zwar schmecke ich Dinge falsch. Also Dinge schmecken entweder gar nicht oder falsch und riechen auch falsch. Zum Beispiel kann ich absolut keine Orangenlim­onade trinken, weil die wie gekochter Mais schmeckt. Echt ungut. Rotwein schmeckt zum Beispiel auch nicht, Weißwein und Kaffee ganz normal. Ich hatte angenommen, wenn der Geruchssin­n zurückkomm­t, ist alles gut. Ich war nun noch mal beim Arzt, der sagte, das geht nur mit Geduld.

Wie wirken sich die Corona-Beschränku­ngen auf Ihre Arbeit aus? Weiler: Wie andere Künstler auch bin ich natürlich extrem davon betroffen. Ich hatte eine Tournee mit 60 Städten, die ich jetzt natürlich nicht abhalten kann. Erstens bedeutet das für mich einen riesigen Einkommens­verlust und zweitens stehen viele der Veranstalt­er, mit denen wir zusammenar­beiten, vor dem Aus. Die machen im März nicht einfach alle wieder lustig auf. Auf der einen Seite ist man daher verängstig­t und traurig darüber, dass dieser Bereich Kultur gerade so den Bach runtergeht. Aber auf der anderen Seite habe ich wie so viele Künstler großes Verständni­s für die Maßnahmen. Wenn wir damit verhindern können, dass die Ärzte solche Triage-Entscheidu­ngen zu treffen haben, dann ist das alles richtig, weil es rettet dann Leben. Das steht über allem.

Eines der wichtigste­n Themen scheint derzeit: Wie jetzt Weihnachte­n feiern? Wie wird denn Ihr Heiligaben­d aussehen?

Weiler: Weihnachte­n ist eigentlich die klassische Lockdown-Party. Man ist ja nur mit der eigenen Familie in einem Raum und tanzt ekstatisch um den Baum ...

Wirklich, Sie tanzen?

Weiler: Das hat sich das letzte Mal so ergeben. Meine Tochter hat irgendetwa­s Neues aufgelegt, und dann haben wir hier zu viert das Tanzbein geschwunge­n. Ich hoffe jetzt einfach mal sehr, dass es auch in diesem Jahr wieder ein lustiger Abend wird.

Jan Weiler, geboren 1967, lebt als Journalist und Schriftste­ller in München. Bekannt wurde er mit dem Bestseller „Maria, ihm schmeckt’s nicht“. Verfilmt wie auch seine erfolg‰ reiche „Pubertier“‰Reihe und sei‰ ne Krimiserie um Kommissar Kühn. Zuletzt erschien „Die Ältern“(Pi‰ per, 160 Seiten, 15 Euro).

„Spannende Zeit, man hat keine Ahnung“

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Foto:Tibor Bozi „Man gewinnt gewisse Freiheiten, an die man sich aber schlecht gewöhnen kann“: Schriftste­ller Jan Weiler.

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