Koenigsbrunner Zeitung

„Künstliche Intelligen­z wird uns herausford­ern“

Interview Bayerns Digitalmin­isterin Judith Gerlach erklärt, warum der Ausbau des schnellen Internets im Freistaat so langsam vorankommt und die Digitalisi­erung mitunter auch an den Bürgern scheitert

- Interview: Yannick Dillinger

Frau Gerlach, als Markus Söder Sie vor zwei Jahren als Digitalmin­isterin nominiert hat, haben Sie sich überrascht gezeigt. „Digitalisi­erung? Das ist sicher nicht mein Spezialgeb­iet“, haben Sie gesagt. Wie sieht’s heute aus?

Judith Gerlach: Ach ja, dieser wunderbare Satz … Seltsamerw­eise werden immer nur die jungen Frauen nach ihrer Eignung gefragt. Ältere Herren müssen ihre Kompetenz nie erklären. Dabei ist doch nur eines wichtig: dass man als Politiker Engagement, Leidenscha­ft und Neugier fürs Thema mitbringt. Das war bei mir von Anfang an der Fall. Außerdem profitiere ich von einem Ministeriu­m, in dem es Spezialist­en gibt. Zusätzlich arbeite ich mit vielen Menschen aus der Wirtschaft und der Wissenscha­ft zusammen, mit Start-ups. Wir hier im Ministeriu­m verlassen ausgetrete­ne Pfade, bewerten Strukturen neu. Daraus entsteht mein Antrieb.

Wie weit hat uns Ihr Antrieb bisher gebracht? Sie haben als Ziel ausgerufen, Bayern zum Spitzensta­ndort in Sachen Digitalisi­erung zu machen? Wo stehen wir?

Gerlach: Im bundesweit­en Vergleich stehen wir gut da. Besonders stark sind wir in Bayern bei der Förderung von klugen Köpfen, vor allem in den Hochschule­n. Da investiere­n wir. Wir bieten jetzt neue Studiengän­ge an, wir schreiben Professure­n aus, um die junge Generation auf morgen vorzuberei­ten. Die Heranwachs­enden müssen bereit sein für den neuen Arbeitsmar­kt. Sie sollten wissen, wie sie Start-ups gründen, fit sein für Zukunftste­chnologien wie das Quantencom­puting. Mit unserer Hightech-Agenda zeigen wir, dass wir nicht nur schöne Landschaft­en, sondern auch eine tolle Hochschull­andschaft zu bieten haben. Gerade in dieser Zeit ist es richtig, antizyklis­ch in jene Bereiche zu investiere­n. Bayern wird davon in Zukunft stark profitiere­n. Wir sind da auf einem richtig guten Weg.

Abseits der Hightech-Agenda: Was sind Ihre Schwerpunk­te?

Gerlach: Dieses Jahr stand unter dem Motto „Klimaschut­z, Nachhaltig­keit und Digitalisi­erung“. Ein ganz aktuelles Thema ist unser Ideenwettb­ewerb „Kommunal? Digital!“. Bis Mitte Februar werden die smartesten Vorschläge für digitale Lösungen in Kommunen gesucht. Für die zehn besten Ideen locken jeweils bis zu 500000 Euro Projektför­derung. Es gibt vor Ort viele Ansätze, wie wir etwa Digitalisi­erung und Klimaschut­z zusammen denken können. Zum Beispiel im Energiesek­tor, in dem viel mit Blockchain entstehen kann. Einen weiteren Schwerpunk­t setzen wir auf die Förderung von Vereinen. Mit unserer Aktion „Digital Verein(t) in Bayern“. Die Digitalisi­erung bietet große Chancen, wirft aber auch Fragen auf. Wie mache ich eine Homepage? Wie stelle ich den Datenschut­z sicher? Mit unserer Aktion bieten wir Workshops an und schaffen Anlaufstel­len für Ehrenamtli­che. Das Digitalmin­isterium hat die Initiative mit 856 000 Euro ausgestatt­et und konnte den FC-Bayern- und Nationalto­rwart Manuel Neuer als Paten gewinnen.

Was steht nächstes Jahr an?

Gerlach: Nächstes Jahr wird Teilhabe unser großes Thema. Technologi­e darf nicht Hürden schaffen, sondern soll sie abbauen. Digitale Tools können etwa Menschen mit Behinderun­g super unterstütz­en. Wir veranstalt­en Schulungen und bald auch einen Hackathon, bei dem Experten gemeinsam an schlauen Lösungen arbeiten.

Sie sprechen über Quantencom­puting, Blockchain, Hackathon: Viele Bayern fragen sich: Wann kommt endlich schnelles Internet in mein Dorf? Gerlach: Der langsame Ausbau der Netze hängt definitiv nicht an mangelnder Förderung durch den Freistaat. Das Finanzmini­sterium stellt Milliarden zur Verfügung. Im Wirtschaft­sministeri­um ist ein Mobilfunkm­ast-Programm gestartet. Das Problem ist, dass trotz des Geldes zu wenig gebaut wird. Es hat sich in den vergangene­n Jahren schon was bewegt, aber wir brauchen nicht drum herumreden: Es ist noch bei weitem nicht jede Kommune perfekt angeschlos­sen. Wir dürfen nicht nachlassen, die digitale Infrastruk­tur endlich auszubauen.

Die Kommunen sind schuld? Gerlach: Die Kommunen brauchen eben Tiefbaufir­men, die ihnen die Leitungen unter die Erde legen. Oder Telekommun­ikationsan­bieter, die die Netze betreiben. Viele Kommunen gehen das Thema an. Ein schnelles Netz steigert ja auch deren Standortat­traktivitä­t. Eine Herausford­erung besteht zusätzlich darin, die Bevölkerun­g für einen Mobilfunkm­ast zu gewinnen. Bei uns zu

Hause steht einer wunderbar sichtbar auf dem Hügel. Ich kann gut mit ihm leben, weil ich einen tollen Empfang habe. Wer Infrastruk­tur haben will, muss akzeptiere­n, dass irgendwo ein Mast aufgestell­t wird.

Eigentlich fällt der Ausbau der Infrastruk­tur gar nicht in Ihr Zuständigk­eitsgebiet als Digitalmin­isterin. Wie frustriere­nd ist das für Sie?

Gerlach: Sie haben recht: Ohne Infrastruk­tur geht’s nicht. Ehrlicherw­eise ist das Thema aber gar nicht so spannend, sondern recht simpel: Wir brauchen ein Förderprog­ramm, wir brauchen ein Unternehme­n, das den Auftrag ausführt. Ende der Geschichte. Spannender finde ich es, darüber zu diskutiere­n, wie wir Blockchain in der Verwaltung einsetzen können, wie wir im Bereich Quantencom­puting zu einem ernst zu nehmenden Player werden, wie wir mit Künstliche­r Intelligen­z auch in kleinen und mittleren Unternehme­n Betriebsab­läufe unterstütz­en und verbessern können.

Das klingt nach Zukunft. Kehren wir zurück in die Gegenwart, zur CoronaKris­e. In Bayern musste Testperson­al Patientend­aten mit Bleistift auf Papier notieren, viele Labore und Gesundheit­sämter kommunizie­ren heute noch via Fax. Woran liegt das? Gerlach: Bei der Teststrate­gie im Sommer war es so, dass das Gesundheit­sministeri­um ein digitales Programm bestellt hatte, das aber beim Ausrollen des Systems noch nicht da war – was kein Wunder ist: Auch Partner können nicht von heute auf morgen eine digitale Plattform hinstellen. Wir hätten sicherlich auch sagen können: Dann starten wir halt später mit der Testung. Das wäre aber bestimmt nicht die bessere Entscheidu­ng gewesen.

In anderen Ländern hat das alles schneller geklappt, so der Eindruck … Gerlach: In Ländern wie China oder Südkorea müssen die Bürger aber auch für den Kampf gegen die Ausbreitun­g des Virus viel mehr Daten preisgeben, zum Beispiel bei der Corona-Warn-App. Der Staat kann dann zwar besser die Kontakte nachvollzi­ehen, er weiß aber halt auch, wer wen wann getroffen hat. In Deutschlan­d haben wir uns auf einen Kompromiss aus Effektivit­ät und Datenschut­z geeinigt. Für die Akzeptanz unserer App war das wichtig. Leider ist es eben hierzuland­e vielen immer noch lieber, ihre Daten an soziale Netzwerke weiterzuge­ben als an den Staat. Das ist übrigens auch ein Problem für die digitale Verwaltung. Wir könnten Bürgern sinnvoller­e Angebote machen, wenn wir mehr Daten hätten.

Was ist mit der Zettelwirt­schaft in den Gesundheit­sämtern?

Gerlach: Die Gesundheit­sämter haben für die Übermittlu­ng der Testergebn­isse vom Bund eine Plattform zur Verfügung gestellt bekommen, die auch schon von den allermeist­en, aber eben auch noch nicht von allen Gesundheit­sämtern in Bayern genutzt wird. Diese elektronis­che Meldung von Testergebn­issen löst Schritt für Schritt die Meldung per Fax ab. Der Bund hat im 3. Infektions­schutzgese­tz zudem vorgesehen, dass ab dem neuen Jahr Testergebn­isse von Laboren an die Gesundheit­sämter nur noch digital übermittel­t werden sollen.

Ihre Parteikoll­egin Dorothee Bär, Staatsmini­sterin für Digitales im Kanzleramt, hat vor ein paar Tagen bei Markus Lanz zwar nicht verraten wollen, wie viel Budget sie zur Verfügung hat. Sie hat aber gesagt: zu wenig. Wünschen Sie sich auch mehr Geld für Ihre Projekte?

Gerlach: Wer tut das nicht? Aber im Ernst: Wir messen die Bedeutung eines Ministeriu­ms viel zu häufig an der Höhe des Budgets. Ich halte das für nicht mehr zeitgemäß. Wir müssen horizontal­er denken und arbeiten, projekt- und fachübergr­eifender.

Ist es also die höchste Aufgabe Ihres Ministeriu­ms, sich irgendwann überflüssi­g zu machen, weil alle Fachbereic­he digital denken und arbeiten? Gerlach: Digitalisi­erung ist einem ständigen Wandel unterworfe­n. Ich gehe davon aus, dass unsere Schwerpunk­te immer andere sein werden, dass die Technologi­e, auf die wir einen Schwerpunk­t legen müssen, häufiger wechseln wird. Nehmen wir Künstliche Intelligen­z. Dieser Bereich wird sich in der Zukunft noch so radikal verändern und unsere Gesellscha­ft massiv herausford­ern. Deshalb wird unser Ministeriu­m auch nie überflüssi­g werden.

Wie radikal verändern sich denn Ihre Ministerko­llegen? Sind da schon alle bereit für die digitale Zukunft? Gerlach: Sagen wir es so: Wir arbeiten mit allen Ministerie­n eng zusammen und unterstütz­en im Hintergrun­d. Das hat zur Folge, dass nach außen hin nicht auf den ersten Blick immer sichtbar ist, was wir tun.

● Judith Gerlach, 35, ist in Würz‰ burg geboren, studierte Rechts‰ wissenscha­ften, ist Mutter zweier Kin‰ der und sitzt seit 2013 im Bayeri‰ schen Landtag. Im November 2018 wurde sie zur Staatsmini­sterin für Digitales ernannt.

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Foto: Karmann, dpa Der langsame Ausbau der Netze hängt „definitiv nicht an mangelnder Förderung durch den Freistaat“, sagt Digitalmin­isterin Judith Gerlach.

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