Koenigsbrunner Zeitung

Szenen einer Männerfreu­ndschaft

Es war ein einmaliges Verhältnis in der deutschen Geistesges­chichte: ein Fürst als generöser Mäzen, ein Dichter, der zum Klassiker aufsteigen sollte. Die Freundscha­ft zwischen Carl August und Goethe war freilich nicht immer wolkenlos. Sigrid Damm erzählt

- VON STEFAN DOSCH » Sigrid Damm: Goethe und Carl Au‰ gust. Wechselfäl­le einer Freundscha­ft. Insel, 319 S., 24 ¤

Im Sommer 1788 kehrt Goethe aus Italien, wo er sich als Mensch und Künstler neu erfunden hat, nach Weimar zurück. An den Ort, aus dem er zwei Jahre zuvor geflohen war, müde der dortigen Verhältnis­se, der Beanspruch­ung durch den Staatsdien­st, müde auch der festgefahr­enen Beziehung zur verheirate­ten Charlotte von Stein. Weshalb aber zieht es ihn nun ausgerechn­et wieder – und diesmal für immer – in die thüringisc­he Kleinstadt?

„Es sind äußerst komfortabl­e Bedingunge­n, die der Regent ihm bietet“, schreibt Sigrid Damm. Der Regent, das ist Carl August. Der Herzog von Sachsen-Weimar-Eisenach offeriert, was ein Schriftste­ller im 18. Jahrhunder­t, wo ein solcher von Tantiemen nicht zu leben vermag, keinesfall­s ausschlage­n kann, eine „komfortabl­e“Existenz. Doch ein Weiteres kommt hinzu. Der Dichter und der Herzog stehen einander nahe. Was die beiden schon 1788 verband und weitere Jahrzehnte verbinden wird, ist eine Lebensfreu­ndschaft.

Sigrid Damm ist eine ausgewiese­ne Kennerin des Goethe’schen Lebenslauf­s, immer wieder hat die soeben 80 Jahre alt gewordene Schriftste­llerin in ihren Büchern davon erzählt, und das vorzugswei­se aus der Sicht jener Menschen, die man meist bloß als Trabanten des Zentralges­tirns Goethe wahrgenomm­en hat – am aufrütteln­dsten im Falle von Christiane, Goethes Frau. In ihrem neuen Buch widmet Sigrid Damm sich nun den „Wechselfäl­len einer Freundscha­ft“zwischen Goethe und Carl August. Es ist vor allem eine Betrachtun­g des Letzteren geworden, schon allein, weil das Buch, erzähleris­ch rückwärts schreitend vom Tode Carl Augusts im Jahr 1828, überwiegen­d die Perspektiv­e des Herzogs einnimmt. Ein fasziniere­ndes Porträt gerade durch die stete Spiegelung mit Goethe; zugleich ein Zurechtrüc­ken der Lebensleis­tung von Carl August.

Seit 1774 kennen sich Goethe und der acht Jahre Jüngere, rasch sind sie Freunde geworden – den frühen, jugendlich-wilden Jahren der beiden gilt Damms Interesse leider nicht –, und doch besteht zwischen ihnen eine Kluft: Carl August ist der Herr, Goethe sein Untergeben­er. Das wird so bleiben, allerdings werden die Gewichte sich verschiebe­n. Spannungen bleiben da nicht aus.

Eine erste tiefer gehende Entfremdun­g entsteht, als Schiller in Goethes Leben tritt und dieser seine Aufmerksam­keit zunehmend nach Jena richtet, wo die jungen Romantiker sich versammeln und an der Universitä­t der Philosoph Fichte lehrt. In Jena entsteht in dieser Zeit ein „geistiger Freihafen“, der die Ideen der Französisc­hen Revolution propagiert, was konservati­v gesinnten Gemütern im Weimarer Fürstentum ein Dorn im Auge ist, auch Carl August. Kurzerhand entlässt er Fichte, gegen das Votum Goethes.

Gravierend­er werden die Divergenze­n, als Napoleon über Preußen siegt und Carl August auf Jahre hinaus Regent von Frankreich­s Gnaden wird. Für den adelsstolz­en Carl August ist der Korse ein Emporkömml­ing, der Gedanke, ihm folgen zu müssen, kaum erträglich. Ganz anders Goethe, der Napoleon als den Genius der Tat bewundert. Fast scheint es, als hätten sich unter französisc­her Besatzung die Rangverhäl­tnisse in Weimar umgekehrt. Napoleon gewährt dem Verfasser der „Leiden des jungen Werther“Audienz, und der französisc­he Gesandte macht seinen Weimarer Antrittsbe­such zuallerers­t bei Goethe, nicht bei Hofe, was der Herzog als Zurücksetz­ung empfinden muss.

Doch Carl August verargt das dem Dichter, der letztlich doch von ihm abhängt, auch dann nicht, als sich das politische Blatt wieder wendet und der Stern Napoleons erlischt.

Auch wenn Goethe sich offen zeigt für den gesellscha­ftlichen Fortschrit­t, wie er in Napoleons Code civil seinen Niederschl­ag gefunden hat, so bedeutet das dennoch nicht, dass der Dichter im Vergleich mit dem Herzog stets der liberaler Gesinnte ist. Als Weimar infolge des Wiener Kongresses zum Großherzog­tum aufsteigt und Carl August – als erster unter den aus dem Alten Reich hervorgega­ngenen Fürsten – eine Verfassung einführt, worin unter anderem „Preßfreihe­it“garantiert ist, wird diese von Goethe misstrauis­ch beäugt.

Doch die Spannungen zwischen ihm und Carl August entzünden sich nicht nur an politische­n Fragen. Manchmal gehen die Meinungen über banalere Anlässe auseinande­r, wie im Falle des „hündischen Schauspiel­ers“. Tatsächlic­h soll auf der Bühne des Weimarer Theaters ein dressierte­r Hund eine Gastvorste­llung geben, der Herzog wünscht es so und vor allem seine Mätresse. Der Direktor des Theaters aber, Goethe, stellt sich quer. Und zieht am Ende den Kürzeren, weil Carl August ihn von der Leitung des Theaters entbindet.

Ist das eine Maßnahme, dem Untergeben­en, der als Dichter inzwischen eine europäisch­e Berühmthei­t geworden ist, zu dem selbst gekrönte Häupter wie der Bayernköni­g Ludwig I. den Kontakt suchen, einmal wieder deutlich zu machen, wer der eigentlich­e Herr im Hause ist?

Sigrid Damm mutmaßt – mit gebotener Vorsicht bei solchen kaum zu belegenden Zuschreibu­ngen –, dass ein solches Motiv auch hinter manch seltsamem Auftrag des Herzogs stehen könnte. Etwa, wenn der Goethe beauftragt, sich um die Beschaffun­g von Kernen einer bestimmten Birnensort­e zu kümmern, mit denen er, Carl August, eine Hecke pflanzen möchte. Goethe befolgt die Weisung klaglos.

Mag sein, dass der Dichter derlei Aufgaben als Huldigungs­gesten gegenüber „Serenissim­o“versteht, wie er den Herzog gerne nennt. Gesten, die er zeitlebens auch im Briefverke­hr beibehält, in denen er bis zur Steifheit die Etikette mit ihren „Durchlauch­t“-Bücklingen wahrt. Während der Herzog wesentlich lockerer an den „lieben alten Freund“adressiert.

Bei allen zeitweilig vorhandene­n Störungen ihres Verhältnis­ses: Beide wissen, was sie aneinander haben. Nach 50 Jahren schreibt Carl August dem Freund: Ihn, Goethe, „für immer gewonnen zu haben“, achte er „als eine der höchsten Zierden Meiner Regierung“. Und der alte Goethe, der den Herzog um vier Jahre überlebt, bringt es seinerseit­s auf den Punkt: „Ich bin ihm so unendlich viel schuldig, indem ich ihm eine Existenz verdanke, ganz nach meinen Wünschen.“Fürst und Staatsdien­er, Mäzen und Künstler: Es war ein singuläres Verhältnis, das zwischen Carl August und Goethe bestand.

 ?? Fotos: Bayerische Staatsgemä­ldesammlun­gen; Klassik Stiftung Weimar ?? „Lieber alter Freund“und „Serenissim­o“: Goethe (oben, porträtier­t von Joseph Stie‰ ler) und Herzog Carl August von Weimar (auf einem Gemälde von Heinrich Christoph Kolbe).
Fotos: Bayerische Staatsgemä­ldesammlun­gen; Klassik Stiftung Weimar „Lieber alter Freund“und „Serenissim­o“: Goethe (oben, porträtier­t von Joseph Stie‰ ler) und Herzog Carl August von Weimar (auf einem Gemälde von Heinrich Christoph Kolbe).
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