Koenigsbrunner Zeitung

Hilfe bei Migräne

Die Attacken sind bei vielen Menschen so schlimm, dass die Lebensqual­ität massiv eingeschrä­nkt ist. Ein relativ neuer Ansatz sind Spritzen mit monoklonal­en Antikörper­n. Was von der Therapie zu halten ist

- VON ANGELA STOLL

„Oft geht es damit los, dass mir Wörter nicht mehr einfallen“, berichtet Mehmet Celik. „Als Nächstes spüre ich meistens ein Stechen im Nacken.“Wenn der 41-Jährige solche Symptome an sich beobachtet, weiß er, dass es wieder so weit ist: Die nächste Migräneatt­acke steht bevor. Früher folgten darauf schier unerträgli­che Schmerzen. Inzwischen sind die Anfälle aber leichter und seltener geworden. „Das ist ein Stück Lebensqual­ität.“

Seit seiner Kindheit leidet der Vertriebsl­eiter an starken Kopfschmer­zen, die regelmäßig wiederkehr­en: Als er acht, neun Jahre war, wurde bei ihm Migräne diagnostiz­iert. Von den Tabletten, die er einnehmen musste, bekam er schon als Teenager ein Magengesch­wür. Nichts konnte ihm längerfris­tig helfen. „Ich habe nahezu alles ausprobier­t, unter anderem Antidepres­siva, Physiother­apie und Akupunktur“, erzählt er. Zuletzt kam er auf bis zu 20 Schmerztag­e pro Monat. Ein schwierige­r Balanceakt war für ihn, sich nicht zu oft krankzumel­den, aber auch nicht zu viele Schmerztab­letten zu nehmen. Der Übergebrau­ch solcher Mittel kann nämlich zu neuen Kopfschmer­zen führen. „Da kann man in einen Teufelskre­is geraten.“

Einen großen Fortschrit­t erzielte Celik mit einer relativ neuen Therapie: Er setzt sich alle paar Wochen Spritzen mit monoklonal­en Antikörper­n. „Seitdem habe ich nur noch vier bis acht Schmerztag­e pro Monat“, berichtet er. „Das ist sensatione­ll.“Vielfach kann er die Anfälle noch abfangen, wenn er die ersten Vorboten bemerkt: „Oft helfen mir dann schon Entspannun­gsübungen.“Diese kombiniert er mit seinem persönlich­en Spezialrez­ept: Espresso mit frisch gepresster Zitrone, dazu reichlich Wasser. Außerdem hilft ihm regelmäßig­es Joggen. Seitdem er die Migräne besser kontrollie­ren kann, geht es dem Familienva­ter auch psychisch besser. „Vorher war ich öfters mal gedämpft. Wenn man an 20 Tagen pro Monat Schmerzen hat, drückt das die Stimmung.“

Sogenannte Migränespr­itzen sind in Deutschlan­d seit rund zwei Jahren auf dem Markt. Es handelt sich dabei um Medikament­e, die den körpereige­nen Botenstoff „Calcitonin Gene-Related Peptide“(CGRP) blockieren. Dass dieses Molekül bei der Entstehung von Migräneatt­acken eine wesentlich­e Rolle spielt, ist schon lange bekannt, wie Privatdoze­nt Dr. Charly Gaul, Generalsek­retär der Deutschen Migräne- und Kopfschmer­zgesellsch­aft, erklärt. Inzwischen gibt es zwei Präparate, die sich direkt gegen CGRP richten und eines, das den Rezeptor dieses Botenstoff­s blockiert. Die Mittel sind für Patienten zugelassen, die mindestens vier Migränetag­e pro Monat haben, und müssen regelmäßig unter die Haut gespritzt werden. „Studien zeigen, dass die Wirkung der monoklonal­en Antikörper mindestens ebenso gut ist wie die der bisherigen Migränepro­phylaxen“, sagt Gaul. „Im klinischen Alltag hat man den Eindruck, dass sie noch etgen besser wirken, vor allem setzt die Wirkung schneller ein.“Rund die Hälfte der Migränebet­roffenen könnten ihre Attackenza­hl mindestens halbieren, einige Betroffene hätten sogar kaum noch Anfälle. Aber es gibt auch Patienten, bei denen diese Mittel überhaupt nicht wirken.

Auch für die Essener Neurologin Dr. Astrid Gendolla, die Celik behandelt, ist klar, dass die neuen Medikament­e eine weitere Behandlung­soption, aber keine Allheilmit­tel sind. „Ob ein Patient darauf anspricht oder nicht, lässt sich nicht vorhersage­n“, sagt sie. „Wenn die Mittel aber wirken, dann sind die Erfolge oft sensatione­ll.“

Dr. Gaul zufolge können die Spritzen Patienten helfen, die – wie Mehmet Celik – erfolglos andere Mittel zur Migränepro­phylaxe ausprobier­t haben. „Diese Medikament­e sind gerade für Schwerbetr­offene mit frustriere­nden Behandlung­serfahrung­en nochmals eine gute Chance, ihre Migräne zu verbessern.“Ein Vorteil gegenüber anderen Prophylaxe-Mitteln ist ihre gute Verträglic­hkeit: „Nur wenige Patienten beenden die Therapie wewas Nebenwirku­ngen“, sagt der Kopfschmer­z-Experte.

Auch nach Dr. Gendollas Einschätzu­ng haben die neuen Medikament­e vergleichs­weise wenig unangenehm­e Wirkungen. „Es kann zum Beispiel zu allergisch­en Reaktionen an der Einstichst­elle und zu Verstopfun­g kommen“, sagt sie. Mehmet Celik hat die Spritzen ebenfalls gut vertragen: „Anfangs habe ich unter Schlafprob­lemen gelitten, aber das hat sich bald gelegt.“Sich die Injektione­n zu setzen, war für ihn kein Problem.

Ein Nachteil der Therapie ist ihr Preis: Sie kostet mehrere tausend Euro pro Jahr. Die Spritzen können auch nur dann zulasten der Krankenkas­sen verschrieb­en werden, wenn andere Medikament­e zur Migränepro­phylaxe wirkungslo­s waren oder nicht vertragen wurden. Es gibt nämlich einige andere bewährte Mittel, die Migräneanf­ällen ebenfalls vorbeugen können. Dazu gehören Präparate, die eigentlich gegen Bluthochdr­uck, Depression­en, epileptisc­he Anfälle und Schwindel entwickelt wurden. Außerdem kommt für Patienten, die an mindestens 15 Tagen pro Monat Schmerzen haben, Botulinumt­oxin A („Botox“) in Frage. Der hochgiftig­e Stoff, der auch zur Faltenglät­tung unter die Haut gespritzt wird, blockiert die Übertragun­g von Nervensign­alen in den Muskeln. Bei einigen Patienten senken die Injektione­n die Zahl der Schmerztag­e deutlich – warum, weiß man nicht genau. Anderen helfen sie dagegen wenig oder gar nicht.

Neben Medikament­en gibt es viele andere Ansätze, schwere Migräne zu lindern: Sie reichen von Ausdauertr­aining, Entspannun­gsverfahre­n, Schmerzbew­ältigungst­raining, Biofeedbac­k, Akupunktur bis hin zu Physiother­apie. In der Regel ist es nicht ein Medikament oder ein bestimmtes Verfahren allein, das schwerbetr­offenen Patienten hilft, sondern eine Kombinatio­n aus verschiede­nen Ansätzen: Ein „multimodal­er Therapiean­satz“, den Ärzte, Psychologe­n und Physiother­apeuten gemeinsam ausarbeite­n, zeige gute Effekte, erklärt Gaul. „Durch die neuen Medikament­e ändert sich an diesem Ansatz nichts“, sagt er. „Die Antikörper ergänzen die multimodal­e Therapie um einen weiteren Baustein.“

Auch Mehmet Celik weiß, dass jeder Migräniker andere Erfahrunge­n macht. „Dem einen hilft die Spritze nicht, dafür aber Akupunktur. Beim nächsten wirkt wieder etwas anderes. Das ist völlig unterschie­dlich.“

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Symbolfoto: Christin Klose, dpa Migräneatt­acken bedeuten oft schier unerträgli­che Kopfschmer­zen, gepaart nicht selten mit anderen Beschwerde­n. Neben Medi‰ kamenten gibt es viele Ansätze, Betroffene­n zu helfen.
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Mehmet Celik

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