„Und dann kommt Karl aus der Kiste“
Vor zwei Jahren musste er bei der Heim-WM noch zuschauen, jetzt ist er Skiflug-Weltmeister. Die Erfolgsgeschichte des Allgäuers Karl Geiger hat etwas Märchenhaftes. Mit dem Team reicht es nur zu Silber
Planica/Oberstdorf Vielleicht beginnt diese ungewöhnliche, fast märchenhafte Erfolgsgeschichte von Karl Geiger wirklich an diesem trüben 18. Januar 2018. Der damalige Bundestrainer Werner Schuster musste ihm reinen Wein einschenken: Ausgerechnet bei der SkiflugWM in seiner Heimat Oberstdorf war der heute 27-Jährige zum Zuschauen verdammt. Die Trainingssprünge waren einfach zu schlecht, um sich in der starken deutschen Mannschaft mit Markus Eisenbichler, Richard Freitag, Andreas Wellinger und Stephan Leyhe durchzusetzen. Geiger flog aus dem Team, verkrümelte sich damals im Wohnzimmer und grübelte.
Diesen tief sitzenden Stachel hat Geiger unmittelbar vor der WM in Planica noch mal erwähnt, wohlwissend, dass er ihn längst gezogen hat. Seine Formkurve zeigte fortan steil nach oben. Er holte Weltcup-Siege, kam auch beim Tournee-Auftakt mit der Bürde des Lokalmatadors deutlich besser zurecht und mauserte sich im Team der DSV-Adler zum Mister Konstant. Im Schatten von Severin Freund und Andreas Wellinger konnte er sich fast unbemerkt an die Weltspitze heranpirschen. In Planica setzte sich König Karl am Samstag erstmals die Krone als Einzel-Weltmeister auf, gestern ließ er mit dem Team noch die Silbermedaille folgen.
„Ich wusste, dass ich hier gut fliegen kann. Aber dass es gleich so gut läuft und ein Sprung nach dem anderen wie an der Schnur gezogen abläuft, da bin ich echt baff“, freute sich Geiger spitzbübisch über den Einzelerfolg. Bereits zur Halbzeit des Wettkampfes am Freitag hatte er nach Flügen auf 241 und 223,5 Meter vorn gelegen. Diese Führung gab er nicht mehr her, wehrte alle
Attacken von Teamkollege Eisenbichler und dem Norweger Halvor Egner Granerud ab. „Eisei hat seine Top-Form bestätigt und dann kommt der Karl aus der Kiste und holt hier den Weltmeister-Titel. Also wirklich großen Respekt vor ihm, wie er das gemacht hat. Besser geht’s nicht“, lobte Bundestrainer Horngacher.
Am Ende hatte der Oberstdorfer auch das Quäntchen Glück auf seiner Seite. Granerud gelang beim vierten und letzten Flug mit 243 Metern die zweitbeste Weite des gesamten Wettbewerbs. „Ich habe mitbekommen, dass es sehr laut wurde unten und wusste, ich muss noch einmal voll durchziehen“, beschrieb Geiger die Situation vor seinem finalen Sprung. Geiger flog zwar über die grüne Linie, musste aber lange bibbern, bis auf der Anzeigetafel endlich die Zahl „1“aufleuchtete. Mit einem Minimalvorsprung von 0,5 Punkten, das sind umgerechnet nur 40 Zentimeter, wurde Geiger Weltmeister, sank vor lauter Begeisterung auf die Knie und ließ sich kurz darauf von seinen Mannschaftskollegen feiern.
Wie macht Geiger das – zumal er in einer emotional ganz besonderen Lebensphase steckt? Die Geburt seines ersten Kindes ist seit über einer Woche überfällig, seine hochschwangere Frau Franziska sitzt zuhause (siehe auch Kommentar links). Geiger verrät sein Erfolgsrezept: „Ich begebe mich da in einen Tunnel hinein und wenn’s drauf ankommt, drücke ich drauf und dann riskiere ich Vollgas.“
Auch der Siegsdorfer Eisenbichler genoss die Hormon-Schübe in Planica. Ihm war am Freitag mit 247
Meter der weiteste Satz des Wochenendes gelungen. Wie oft er die Wörter „geil“und „yes“ins verlassene Skistadion ausstieß, lässt sich nicht mehr zählen. Hadern wollte er jedenfalls nicht mit seiner BronzeMedaille. „Ich gönne es Karl von Herzen“, sagte er über den Triumph seines Kumpels. Er rief dazu auf, jetzt schnell zwei, drei Bier zu trinken und dann den vollen Fokus auf das Mannschaftsfliegen am Sonntag zu legen.
Auch da sah es lange nach Gold aus. Doch am Ende mussten Geiger, Eisenbichler, Pius Paschke und Constantin Schmid mit Rang zwei vorliebnehmen. Der Norwegen Granerud drehte den Spieß diesmal um, nachdem sein Trainer Alex Stöckl gezockt hatte und seinen Topmann zwei Luken tiefer starten ließ. Auch Horngacher ließ sich auf dieses Spielchen ein – zum Leidwesen von Karl Geiger: „Es war schon nervig bei meinem letzten Sprung“, kommentierte der Oberstdorfer. Es gab ein ewiges Hin und Her mit der Startposition, „am Ende hat es nicht gereicht“, sagte ein dennoch zufriedener Geiger, der sich schon tags zuvor auf Instagram von seinem Image als Spezialist von kleineren Sprunganlagen verabschiedet hatte.
„Unglaublicher Tag! Kleinschanzen-Karle wird Skiflug-Weltmeister. Ich bin unendlich dankbar und glücklich. Diesen Tag werde ich wegen der besonderen Umstände niemals vergessen.“Und seine hochschwangere Frau Franziska ließ von zuhause ausrichten: „Mit seiner Nervenstärke überrascht und begeistert er mich jedes Mal aufs Neue.“
Betrübt war nur Eisenbichler: „Ich bin grad ein bisserl enttäuscht und traurig, ganz ehrlich. Ich wäre jetzt gern mit dem Team Weltmeister geworden. Schließlich fehlt uns Deutschen dieser Titel noch.“
WM IN SLOWENIEN