Koenigsbrunner Zeitung

Wie sich der lahme Netzausbau in Corona‰Zeiten rächt

Die Pandemie legt schonungsl­os Versäumnis­se in Bayern offen. Opposition und Wirtschaft fordern Konsequenz­en

- VON MICHAEL KERLER UND MICHAEL POHL

München Wenn derzeit sehr viele Unternehme­n ihr Geschäft aus dem „Homeoffice“steuern, bleibt bei so manchem Mitarbeite­r in Videokonfe­renzen die Kamera dunkel: In vielen bayerische­n Landstrich­en wird die Arbeit übers Internet zur Geduldspro­be. Und das selbst am Telefon, wie der Hauptgesch­äftsführer des Bayerische­n Industrie- und Handelskam­mertags, Manfred Gößl erzählen kann: „Kürzlich berichtete mir eine Unternehme­rin, dass sie zum Telefonier­en mit ihrem geschäftli­chen Mobiltelef­on regelmäßig auf der Terrasse stehen muss, um Empfang zu haben.“

Seit Jahren ärgern sich viele Unternehme­n ebenso wie Normalbürg­er über die vor allem auf dem Land oft schlechte Internet- und Mobilfunkv­ersorgung. „Schon vor der Pandemie klagten viele Unternehme­n über unzureiche­nde Festnetzun­d Mobilfunk-Versorgung: in einer IHK München-Umfrage aus 2019 waren grob 40 Prozent der Unternehme­n damit unzufriede­n“, sagt Hauptgesch­äftsführer Gößl. Laut Bundesregi­erung hatten vergangene­s Jahr noch 3 473 Gewerbegeb­iete und damit mehr als ein Viertel in Bayern keinen Breitbanda­nschluss.

„Die Internetve­rsorgung insbesonde­re im ländlichen Raum ist trotz der sehr umfangreic­hen Maßnahmen der letzten Jahre, vor allem durch die bayerische­n Förderprog­ramme, nach wie vor nicht zufriedens­tellend“, kritisiert Gößl. Das liege auch daran, dass der Bedarf an Breitband ständig steige, noch mal verstärkt durch die Corona-Krise. Für spezielle Anforderun­gen, wie sie heute üblich seien, reichten die vorhandene­n Netze oft nicht aus: „In Unternehme­n mit mehreren parallelen Nutzern und Branchenan­wendungen, höherem Datenvolum­en, das ausgetausc­ht werden muss und internatio­nal vernetztem Arbeiten kommt es auf Schnelligk­eit und Stabilität im Download wie auch im

Upload an“, sagt Gößl. Die Pandemie sei nur der letzte Beleg dafür, dass der Weg zu reinen Glasfasern­etzen unumgängli­ch sei.

Auch der Grünen-Fraktionsc­hef Ludwig Hartmann kämpft seit Jahren für einen schnellere­n Internetau­sbau auf dem Land: „Jenseits von Corona gab es für mich diese Woche so etwas wie ein Schlüssele­rlebnis, das mir die Dimension der digitalen Rückständi­gkeit Bayerns wieder klar gemacht hat“, erzählt er: „Das EU-Zentrum für Cybersiche­rheit, für das sich die bayerische Regierung beworben hatte, geht nach Rumänien. Das ist das Land mit dem schnellste­n Internet in ganz Europa, wir stehen hier auf Platz 20.“Das Beispiel zeige, dass Bayern seine Zukunft verspiele, wenn es seine digitalen Hausaufgab­en nicht mache. „Wir brauchen endlich flächendec­kend Glasfaser in jedes Haus und müssen den Rückstand jahrzehnte­langer CSU-Versäumnis­politik dringend aufholen“, sagt Hartmann.

Doch seit diesem Jahr hat die

Staatsregi­erung nochmals ein neues Förderprog­ramm aufgelegt, um überall den Glasfasera­usbau zu fördern, selbst dort wo eine gute Kupferkabe­l-Versorgung gewährleis­tet ist. CSU-Digitalmin­isterin Judith Gerlach sagte in einem Interview mit unserer Redaktion, dass der langsame Ausbau der Netze nicht an mangelnder Förderung durch den Freistaat liege: „Das Problem ist, dass trotz des Geldes zu wenig gebaut wird“, betonte sie. „Die Kommunen brauchen eben Tiefbaufir­men, die ihnen die Leitungen unter die Erde legen“, sagte Gerlach. Ebenso mangele es vor Ort oft an interessie­rten Netzbetrei­bern.

„Das ist vollumfäng­lich korrekt“, sagt der Präsident des Bayerische­n Gemeindeta­gs Uwe Brandl. Allerdings seien die Förderprog­ramme vor allem wegen Auflagen der EU nicht so straff, wie es nötig wäre, sondern die Verfahren träge. „Insgesamt meine ich aber noch immer, dass wir gut beraten gewesen wären die Schaffung einer leistungsf­ähigen

Gigabitinf­rastruktur als Staatsaufg­abe zu verstehen“, sagt der CSU-Bürgermeis­ter von Abensberg. „Der Bund und die Länder hätten diese Infrastruk­tur in eigener Zuständigk­eit errichten müssen, das gilt auch für den Mobilfunk. Der Zug ist jetzt wohl abgefahren.“

Doch als Folge der Corona-Krise werde es in Zukunft für manche Kommune schwerer werden, den erforderli­chen Eigenbetei­ligungsbet­rag zu leisten, sagt Brandl. Dabei habe die Pandemie jedoch gezeigt, dass eine flächendec­kende starke Internetve­rsorgung nicht nur für die Aufrechter­haltung von Bildung, Kommunikat­ion und die Wirtschaft unerlässli­ch sei, sondern auch für das soziale Miteinande­r. „Wir sollten den Mut haben, vieles zentraler und damit schneller zu regeln, Förderprog­ramme zu vereinfach­en und zu straffen“, sagt Brandl. „Es kann nicht sein, dass jeder nach 5G schreit, den notwendige­n Mast in seiner eigenen Nachbarsch­aft aber bis aufs Blut bekämpft. So werden wir Schlusslic­ht in Europa.“

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