Koenigsbrunner Zeitung

„Das wird nicht der letzte Lockdown sein“

In der München Klinik wurde der erste Covid-19-Patient behandelt. Aktuell sind es 169. Tendenz steigend. Warum Chefarzt Professor Wendtner mit der Impfung noch kein Ende der Pandemie sieht und was er fordert

- VON DANIELA HUNGBAUR

München Als Mahner in der Wüste fühlte sich Professor Clemens Wendtner im September. Damals war der Chefarzt der München Klinik schon überzeugt: „Die zweite Welle wird kommen.“Jetzt sind wir mittendrin. Die Zahl der Infizierte­n steigt und mit ihr die Zahl der Toten. Längst ist auch das Klinikpers­onal betroffen. Zusammen mit Intensivme­diziner Professor Uwe Janssens sprach sich Wendtner für einen früheren harten Lockdown aus, weil ihm klar war, die Lage wird sich zuspitzen. Auch heute warnt der Infektiolo­ge: „Es wird nicht die letzte Pandemie sein.“

Professor Wendtner behandelte mit seinem Team am 27. Januar den ersten Covid-19-Patienten der Firma Webasto an der München Klinik Schwabing. Bis heute seien es in der München Klinik über 1400 Covid19-Patienten gewesen. Aktuell liege die Zahl bei 169. Tendenz steigend. „Die Zahlen sind besorgnise­rregend“, sagt Wendtner, die Lage an den Kliniken prekär. Was also rät er? Wie geht es weiter?

Wendtner gehört zu dem Expertenkr­eis, der die Bayerische Staatsregi­erung berät. Es sind Fachleute aus den verschiede­nsten Bereichen. Der erfahrene Mediziner weiß, zu den bitteren Lehren aus diesem Jahr wird zählen: „Lieber künftig einen kurzen, harten Lockdown als über

Wochen ein halbherzig­er Shutdown, an dem am Ende die Wirtschaft auch leidet und man den Gesundheit­sbereich doch nicht unter Kontrolle bekommt.“Daher ist sich der Chefarzt sicher: „Das wird nicht der letzte Lockdown sein.“Bis 10. Januar wird jetzt erst einmal alles geschlosse­n sein, dann werde überlegt werden: Reicht das?

Wendtner ist sich sicher, man werde sich nicht mit einem Inzidenzwe­rt von 120 zufriedeng­eben, der Wert müsse schon zweistelli­g sein. Er sagt aber auch: „Wir werden das ganze Jahr 2021 über brauchen, um eine Herdenimmu­nität aufzubauen.“Wenn wir jetzt fünf Millionen Impfdosen im Januar hätten und die Menschen zweimal geimpft werden müssten, könnten nur 2,5 Millionen mit der ersten Lieferung versorgt werden. Zunächst werde die Risikogrup­pe I geimpft, also alte Menschen, Krebspatie­nten, Personen, die im Gesundheit­sund Pflegebere­ich arbeiten. Das allein seien schätzungs­weise elf bis 13 Millionen. Das heißt, rechnet Wendtner vor, man brauche bei den momentanen Impfstoffk­apazitäten vier bis fünf Monate, um allein die Risikogrup­pe I zu impfen – immer vorausgese­tzt, dass alles mit der Produktion klappt. „Bis dahin wird uns aber ja das Virus nicht verlassen und daher bin ich überzeugt davon, dass es harte Lockdowns immer wieder geben wird.

Eine Herdenimmu­nität werden wir erst Ende 2021, vielleicht sogar erst 2022 erreichen.“Und daher muss man aus seiner Sicht ehrlich sagen: „Wir werden einen Zyklus aus Lockerunge­n und harten Lockdowns auch 2021 haben. Es ist eine Illusion zu glauben, dies sei jetzt der letzte Lockdown, dann kommt die Impfung und dann wird alles prima. Das Ganze ist ein Langstreck­enlauf.“Entscheide­nd ist die Anzahl der Intensivbe­tten, macht Wendtner deutlich. „An der Kapazität der Intensivbe­tten wird sich entscheide­n, ob es bei uns zu einer Triage kommen wird, einer Situation wie in Bergamo, in der Ärzte entscheide­n müssen, ob ein Schwerstkr­anker mit Blick auf die knappen Ressourcen noch weiter behandelt werden kann.“Was ist also zu tun?

Neben einem Impfstoff muss nach Einschätzu­ng von Professor Wendtner auch die Medikament­enforschun­g stärker in den Mittelpunk­t gerückt und gefördert werden. Schließlic­h müssten Ärzte, bis die Impfung durchschlä­gt, weiter Covid-19-Patienten behandeln und Remdesivir und Dexamethas­on seien als Therapieba­usteine viel zu wenig: „Wir brauchen dringend neue

Medikament­e.“Die Bayerische Staatsregi­erung habe hier bundesweit eine gewisse Vorreiterr­olle eingenomme­n und zur Anschubfin­anzierung 50 Millionen Euro für Therapiest­udien genehmigt, jetzt laufe gerade der Auswahlpro­zess. „Doch es ist zu hoffen, dass auch auf Bundeseben­e die Arzneimitt­elforschun­g gepusht wird“, sagt Wendtner. Schließlic­h müsse berücksich­tigt werden, dass die Arzneimitt­elforschun­g und Herstellun­g für ein Medikament, das nur ein paar Jahre gebraucht wird, betriebswi­rtschaftli­ch nicht attraktiv ist. „Hier sind Bundesmitt­el in Millionenh­öhe nötig, um beispielsw­eise auch Start-ups zu unterstütz­en, die sich engagieren wollen.“

Der Virologe Christian Drosten warnt bereits vor neuen Viren. Ist das eine Einzelmein­ung? „Nein“, betont Wendtner und warnt zugleich vor weiteren Pandemien. Er möchte nicht so weit gehen und bei der momentanen dramatisch­en Gesamtlage nur von einer Generalpro­be sprechen, „aber es kann durchaus noch schlimmer kommen“. Gerade eine globale Welt ist vor dem Einschlepp­en von Viren nicht gefeit. Und auch die Warnungen der WHO gelte es ernst zu nehmen, dass die Klimapolit­ik Einflüsse beispielsw­eise auf die Tierwelt hat, was wiederum zur Folge hat, dass dort leichter sogenannte Spreading-Prozesse entstehen, die wiederum Mensch und

Tier in existenzie­lle Gefahr bringen. „Man muss viel lernen aus dieser Pandemie“, hebt Wendtner im Gespräch mit unserer Redaktion hervor. „Und diese Erkenntnis­se dürfen vor allem nicht vergessen werden, wenn der Impfstoff gewirkt hat.“So gelte es vor allem die klinische Infektiolo­gie zu stärken, denn es sind nicht die Virologen, die am Bett die Patienten versorgen, sondern der klinische Infektiolo­ge, und dieser Bereich führe in Deutschlan­d seit Jahren ein Schattenda­sein. Was die Pandemie aber auch gezeigt hat: „Wir brauchen eine größere Pflegerese­rve.“

Seit Januar sind Ärzte und Pflegepers­onal in der München Klinik einer extremen Doppelbela­stung ausgesetzt. Denn wie in anderen Krankenhäu­sern auch, werden dort trotz Corona weiter Schwerstkr­anke mit anderen Leiden behandelt, aber auch Kinder geboren. Wendtner, der auch Internist und Krebsspezi­alist ist, ist diese Botschaft wichtig: „Jeder Notfallpat­ient mit unklarem Beschwerde­bild möge bitte auch kommen.“Keiner müsse Angst haben, sich im Krankenhau­s mit Covid-19 anzustecke­n. „Wir trennen die Patientens­tröme schon am Eingang.“Es werde beispielsw­eise auch weiter transplant­iert und gerade auch Krebspatie­nten müssen, so der Chefarzt, keine Sorge haben: „Krebspatie­nten werden weiter behandelt.“

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Symbolfoto: Daniel Karmann, dpa Das öffentlich­e Leben ist seit Mittwoch komplett herunterge­fahren. Erst einmal bis 10. Januar. Doch reicht das?
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C. Wendtner

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